II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 405

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14: Der Schleier der Beatrice
Die Zukunft.
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den Jüngling das Eheglück ungeschmälert zu gönnen, wenn das Mädchen
freien Willens dem Verlobten folgt. Beatrice zaudert; ihr Blick sucht das
Herrnauge und freut sich des Feuers, das ihre Schönheit in dem von Frauen¬
gunst Uebersättigten entfacht hat. Und nun wirbt Bentivoglio. Den Eltern
bietet er Haus und Garten, der Schwester reiche Mitgift und einen Eheherrn aus
edlem Blut, dem Bruder Hauptmannsrang und Beatrice selbst gehäufte Schätze
in bunter Fülle: kostbare Steine, Prunkgewänder, Perlenschnüre und einen
Schleier von sohohem Werth, wie er nie noch in der Romagna den Leibeiner Her¬
zogin schmückte. Herzogin? Das Mädchen horcht auf. Nur dürftige Nothehe
wärs mit dem Blonden; doch eine Ehe: sittsame Versorgung und ruhiges
Leben. Beatrice liebt nicht und kann deshalb nüchtern wägen. Nicht als für
eine Nacht theuer gekaufte Dirne: als Herzogin nur folgt sie dem Herzog
ins Schloß. Ihr unbeirrtes Auge las richtig. Kein Weib hat Lionardos
kühlen Stolz je solches Entzücken gelehrt. Und geht seiner Macht, seinem Leben
nicht in wenigen Stunden die letzte Sonne auf? Ihr Frühroth leuchte einer
aus konventioneller Ordnung erlösten Welt. Der Herzog vermählt sich
einem Kleinbürgerkind. Die Schönsten, mag ihre Herkunft dunkel sein und
ihr Wandel sündig, sind am Hof willkommene Hochzeitgäste. Frei finde sich
Trieb zu Trieb. Und was gestern ein Makel war, den unehelich Gezeugte
nie aus den Windeln zu maschen vermögen, gerade Das sei heute einem
Adelsbrief gleich. In einer Stunde steht Bolognas junge Herzogin vor dem
Traualtar. Und dann bricht eine Hochzeitnacht an, der selbst das schranken¬
lose Lustbegehren des Principe Borgia sich nicht zu schämen brauchte.
Die Nacht bricht an; aber ihre Kerzen brennen keinem Bräutigams¬
glück. Mitten aus heißen Brünsten jagt herrischer Befehl den Troß der
Gäste: Hinaus! Peitscht mir die nackten Dirnen! Und still die Musik! Kein
Mädchenleib schmiegte sich in des Brautbettes Kissen. Und als die Sonne
den ersten Strahl über den Reno sendet, steht der Herzog vor zwei Leichen,
wurde er Witwer, bevor er des Gattenrechtes wild begehrte Wonnen erlebte.
Langt schon der Vorsatz, alte irdische Ordnung, und sei es für kurze Stunden,
willkürlich umzustoßen, frevelnd über Menschenvermögen hinaus?
Die Herzogin stahl sich vom Hochzeitmahl weg und ist nicht im
Schloß, nicht im Garten zu finden. So mußte es kommen, grinsen die Höf¬
linge; wer hieß ihn eine Straßenschönheit denn auf den Thron erheben? Als
der Bischof von San Petron den Segen sprach, fiel, im selben Augenblick,
ein schwarzer Adler mit zerschossenen Flügeln aus dem Himmelsgewölk her¬
ab. Das sah man nie vorher. Das war schon ein Unheilszeichen. Ruhelos