II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 408

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14: Der Schleier der Beatrice
Der Schleier der Beatrice.
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Schuft, endlich auf!.. Der Mann ist tot. Der Mann, Herzog, hieß Filippo
Loschi. So sieht Bentivoglio seinen Dichter, den Menschen zum ersten Male
der Mensch. Für diese Nacht hatte er sich die feinste Freude aufgespart; und
steht, in dieser Nacht, nun vor des Sängers Leiche. Alle kleinen Gefühle
fallen, wie bunte Plunderfetzen von einem nackten Leib, und in der Seele bleibt
nur ein großes Staunen. Der starb um Dich, Beatrice? Den ließest Du um
ein Bischen Prunk? Und aus dem Staunen wird andächtig“s Weltempfin¬
den. So Vieles geschah in so wenigen Stunden; so blind tappten wir in Ver¬
hängnisse. Wer wagt, zu enträthseln, was uns der neue Morgen heraufbringt,
der eben erwacht? Kau zuckt das Herz noch, da die Herzogin vom Dolch
Francescos, ihres Bruders, fällt. Hundert werden fallen, Tausend vielleicht,
ehe der Sonne heißester Strahl unseren Scheitel sengt; ob ihre Leiber die
Siegesstraße pflastern oder den Wegdes Todes: wer weißes? Noch der nächste
Augenblick ist weit. Durch Schleier nur, die wir selbst webten, wir Klugen,
schauen wir ihn, und wundern uns dann, wenn das Gewebe reißt und eine
Wirklichkeit dröhnend ins Erleben tritt. Dort liegt ein Dichter, hier steht
ein Fürst und zwischen Beiden verblutet die schönste Frau von Bologna. Der
Dichter wollte ihr Gott sein, ihr Himmel, ihr Weltgericht; der Fürst nahm
sie, fragte den Wurzeln ihres Wesens nicht nach und glaubte, Alles, was ihr
vorher ins Bewußtsein gedrungen war, sei in der Glühhitze seiner Gunst bis
auf die letzte Faser weggebrannt; und der Bruder forderte, sie solle dem Ideal
seiner bürgerlichen Ehrbarkeit gleichen. Keiner sah sie, suchte in ihr den be¬
sonderen Menschen. Jeder sah sie anders; und als aus Morgen und Abend
ein Tag geworden war, zeigte sich, daß alle Drei, der Geliebte, der Gatte,
der Bruder, ein verschleiertes Bild in die Arme geschlossen hatten und daß
die Klügsten nicht viel klüger sind als der irre Greis, der die tote Tochter
fragt, ob der ungeschickte Junge Francesco ihr auch nicht wehgethan habe.
Ein schönes, von feinem Gewebe verhülltes Weib, um dessen Saum
die Männer sich drängen, in dessen Schleierfalten, wie auf glatter Wasser¬
fläche, die wechselnde Spiegelung alles Gewordenen sichtbar wird: die Ost¬
provinz ältester Mythologie thut sich auf und das Erinnern führt Frau Maja
heraus, die ewig=unsterbliche Trugschafferin, die Jeden täuscht, Jeden als
Werkzug des Geschlechtswillens verbraucht. Ansie mag Herr Arthur Schnitzler
gedacht haben, als er die reifende Kraft sammelte und ein Werk besann, das
mehr sein sollte als saubere Wiedergabe kleinen Lebensspieles. Allerlei Weibchen
hatte sein behender Finger schon geformt, meist nach Modellen vom Tändel¬
markt. Das genügte ihm nicht. Staunend stand der Arzt, der Dichter, der
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