II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 421

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14. Der Schleier der Beatrice
lichen Schauspielhause wieder einen neuen Beweis. Warum
importiert man ein solches Stück von Frankreich? Den Typ,
den es darstellt, den Typ, um es kurz zu sagen, des Rührstücks
besitzt das Vaterland der Iffland, Kotzebue, Birch=Pfeiffer, Philippi,
doch selbst in genügendem Reichtum; die im Dialog etwa vorhandenen
spezifisch gallischen Feinheiten aber gehen erfahrungsgemäß in der
Übersetzung zum größten Teil verloren. Trotzdem lauschte man drei
Akte lang mit Entzücken dieser rührenden Geschichte von einer schönen
und unglücklichen Frau, die mit ihrem scheusäligen Gatten in Scheidung
liegt und von einem edelmütigen Millionär aus allen Fährlichkeiten
gerettet wird. Als aber zum Schluß ernstliche Schwierigkeiten auf¬
tauchen und der beredte Herr Capus auch diese mit glatter Red¬
seligkeit bei Seite schieben will, erwachte schließlich das bessere
Empfinden, und es gab eine ziemlich heftige Opposition. Das Be¬
merkenswerteste an diesem Stück ist, daß es in Paris so starken Erfolg
haben konnte. Man ist vermutlich dort der psychologischen Spitz¬
findigkeiten müde und schwört der Abwechslung halber einmal wieder
zur Philosophie des bon sens.
Giebt sich Capus mit der Psychologie seiner Helden zu wenig
Mühe, so motiviert und reflektiert Arthur Schnitzler in seinem
Renaissance=Drama „Der Schleier der Beatrice“ das zu Beginn
des Mrz nach einem Buchdasein von mehreren Jahren bezw. einer
ohne Eindruck gebliebenen Uraufführung in Breslau zum ersten Male
am Deutschen Theater vor ein größeres Publikum trat, im Gegen¬
teil zu viel. Schnitzler versetzt seine Menschen und seinen Konflikt
zwar in die Renaissance=Zeit, aber vom Geiste jener Zeit ist weder er,
der Sohn eines von des Gedankens Blässe angekränkelten Zeitalters,
noch seine Gestalten beseelt. Das Problem, das ihn angezogen hat,
ist durchaus modern: er will die Frau als ein Triebwesen darstellen,
das Glück und Unglück stiftet, ohne es zu wissen und zu wollen.
Von dieser Art soll seine Beatrice sein, die liebt, verrät und wieder
verrät und wieder liebt, ohne es zu wollen und zu wissen. Aber
Schnitzlers Beatrice ist nicht von jenem holden Reize und zugleich
von jenem Schauer umflossen, den eine solche Elementargestalt besitzen
müßte. Sie ist nicht aus der inneren Phantasie=Anschauung geboren,
in der die Gegensätze in Harmonie aufgelöst sind, sondern ist mit dem
Verstande zusammengedacht. Ihr Gegenstück ist der Dichter Filippo