II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 431

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14: Der Schleier der Beatrice
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F. Lienhard, Vom deutschen Theater.
Lienhard, Vom deutschen Theater.
So, unwissentlich, was sie verschuldet, ist sie heimgekehrt und hat sich
ge, seelisch rätselhafte Beatrice ist die Heldin; ihr Ver¬
zur Ehe mit Vittorino bereit erklärt, „ausruh'n möchte ich bei dir, weil ich
ännern innerhalb dreier Tage ergibt des Stückes Inhalt.
so müde bin“. Und nun da sie dem Herzog begegnet, gewinnt der Traum
keine äußerliche Rolle. Will man ihn sinnbildlich nehmen,
wieder über sie Gewalt — von Filippo verstoßen um einen Traum, glaubt sie
en: ein Nebelschleier liegt über dem Labyrinth dieser
sich frei und verspricht sich dem Herzog. Doch da die Trauung vollzogen, eilt
sie vom lärmenden Hochzeitsfest durch den lichtdurchflackerten Garten, dann
wie bei Schnitzler oft — des Weibes überhaupt in
durch die dunklen, stillen Gassen zu Filippo. Sie fühlt, daß sie alle Größe
Manne. Immer? Hier fängt die Schnitzler sche Spielerei
hingibt und alles Glück der Erde, Licht und Leben, um einmal noch in Filippos
das weibliche Wesen aus der Bahn des Instinktes und
Arm zu ruhen. Sie kommt, um mit Filippo zu sterben. Filippo leert den Gift¬
gejagt ist, wird sie diesen Schriftstellern „interessant“.
becher, doch sie vermag es nicht — ihr graust vor dem Tod. Verzweifelt wirft
Kokette, halb verlogenes Kind, halb liebende Jungfrau
sie sich über den toten Geliebten, dann, gehetzt von Todesangst und Lebens¬
kurz, wie sie dasteht, eine nicht überzeugende und nicht
verlangen, stürzt sie davon, zurück zu ihrem Hochzeitsfest, zu dem Herzog....“
nsmögliche Gestalt.
Von Filippo zu Vittorino, von Vittorino zum Herzog, vom Herzog zu
vorwerfen, ich berichte über den Inhalt des Stückes, das
schade, daß Vittorino nicht mehr lebt,
Vanna“ gegeben wird, in tendenziöser Wortwahl. Ich Filippo, von Filippo zum Herzog —
sichen Inhaltsbericht mit den unbefangenen Worten einer die Abwechslung hätte sich gemehrt.
Um die Inhaltsangabe kurz zu enden: bei Filippo hat sie ihren Schleier
liegen lassen. Sie kommt ins Schloß ohne Schleier. Der Herzog fragt und
ist's, zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Cäsar von Borgia
forscht; sie weigert jede Aussage. Schließlich mit Tor bedroht, führt sie den
t mit großer Heeresmacht, und auf den Straßen Bolognas
Herzog dahin, wo sie den Schleier gelassen. Verworren und psychologisch un¬
fire morgen der jüngste Tag. .. Und ein wunderlich Gerücht
möglich ist dies gesamte Benehmen des Herzogs, bei dem auch hier wieder die
ssen: der junge Herzog sei gewillt, eine Schöne zu erwählen
Wollust durchbricht, bis er an Filippos Leiche stößt, an des Poeten Leiche, den
vor dem Entscheidungskampf. Der Herzog lächelt darob ...
Straße Beatrice, des alten, halbtollen Nardi schöne Tochter, er lange zu gewinnen gesucht, der sich ihm aber zu e ziehen gewußt. Mit Filippo
Int es ihn wie ein Wunder. Er wirbt um Beatrice; — das also hat sie ihn betrogen — nein, vielmehr: sie hat Filippo betrogen — nein,
folgen, doch nicht so, daß man sie schmähen darf als Dirne: eigentlich: sie hat Vittorino betrogen — oder wie soll man denn eigentlich sagen?
tin, als Herzogin. Ihrer Schönheit Zaubermacht, die Er= Der klare Herzog wächst vor unseren Augen und findet in diesem Nebel die
, der Fiebertaumel, der angesichts der drohenden Feindes¬ Lösung: „sie ist ein Kind“ ...
... „Wir sind allzu streng
ma ergriffen — das alles schafft ungewöhnliche und schnelle
kommt im Augenblicke die Entscheidung: in einer Stunde
Und lindern's nicht, und jeder von uns wollte
do Bentivoglio mit Beatrice vor den Traualtar. Als Beatrice
Nicht nur das winz'ge Spielzeug sein — nein, mehr,
gnete, war sie auf dem Wege zur Kirche zur Trauung
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
obten, dem jungen Vittorino, der sich nun, da sie dem
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind!“
in jäher Verzweiflung den Dolch ins Herz stößt (was
Wenn Cressida in des gesunden Shakespeare „Troilus und Cressida“, eine
t, aber gar nicht beachtet! D. Ref.). Verloren freilich hat
der gedankenkürzesten und vom Organ des Treuseins geradezu körperlich ver¬
seit drei Tagen ist Beatrice die Geliebte Filippos,
lassenen Dirne, ein Kind ist — dann ist auch Beatrice ein Kind. Was bei
#ters, der um ihretwillen seine Braut Teresina aufgegeben
Shakespeare Burleske und Karrikatur ist: hier wird's tragisch genommen. Ihr
haft hatte die beiden, F'lippo und Beatrice, zusammengeführt.
Bruder denkt anders: er sticht die Lebensmüde kurzweg nieder. Und die
les opfern, schon sind alle Vorbereitungen zu gemeinsamer
Schnitzler'schen Bologneser — die der Maeterlinck'schen Pisaner durchaus würdig
da erzählt ihm Beatrice naiv und ihrer Empfindungen
vom Herzog geträumt hat: „... Grüne Kerzen brannten in
sind — ziehen endlich, nach einer so verworrenen, verbuhlten und verschwatzten
m Bett, ich sah des Herzogs Augen leuchten über mir und
Nacht, zum Kampf hinaus.
nahe den meinen, noch spürt' ich ihren Hauch — und so
über diese Beatrice und ihr Tun und Lassen kann man sich aus einem
ppo ist entsetzt, daß sie so mit beschmutzter Seele zu ihm
Hauptgrunde, aus einem vernichtenden Grunde weder den Kopf zerbrechen, noch
Seele auf Abenteuer ausfliegen konnte, daß in den frechen
ärgern: man spürt nach ganz kurzem Zusehen, daß das alles Konstruktion
äume sie an andere Männer hat denken können. Und er
und Gedankenwerk ist, keine blutvolle, herzerschütternde Poesie. Man erschrickt
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