II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 430

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14. Der schleier der Beatrice
F. Lienhard, Vom deutschen 2
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F. Lienhard, Vom deutschen Theater.
So, unwissentlich, was sie verschuldet,
Eine sechzehnjährige, seelisch rätselhafte Beatrice ist die Heldin; ihr Ver¬
zur Ehe mit Vittorino bereit erklärt, „ausruh'
hältnis zu mehreren Männern innerhalb dreier Tage ergibt des Stückes Inhalt.
so müde bin“. Und nun da sie dem Herzog
Ein Schleier spielt nur eine äußerliche Rolle. Will man ihn sinnbildlich nehmen,
wieder über sie Gewal# Filippo verstoß
so kann man etwa sagen: ein Nebelschleier liegt über dem Labyrinth dieser
sich frei und verspricht sich dem Herzog. Doch
Mädchenseele und — wie bei Schnitzler oft — des Weibes überhaupt in
sie vom lärmenden Hochzeitsfest durch den lich
seinem Verhältnis zum Manne. Immer? Hier fängt die Schnitzler'sche Spielerei
durch die dunklen, stillen Gassen zu Filippo.]
an. Denn nur wenn das weibliche Wesen aus der Bahn des Instinktes und
hingibt und alles Glück der Erde, Licht und Lebe
der seelischen Gesundheit gejagt ist, wird sie diesen Schriftstellern „interessant“.
Arm zu ruhen. Sie kommt, um mit Filippo zu
becher, doch sie vermag es nicht — ihr graust y
Diese Beatrice ist halb Kokette, halb verlogenes Kind, halb liebende Jungfrau
sie sich über den toten Geliebten, dann, gehetz
halb schlaue Bürgerin — kurz, wie sie dasteht, eine nicht überzeugende und nicht
verlangen, stürzt sie davon, zurück zu ihrem Hoch
erwärmende, nicht lebensmögliche Gestalt.
Von Filippo zu Vittorino, von Vittorino
Man könnte mir vorwerfen, ich berichte über den Inhalt des Stückes, das
schade, d
im Theater der „Monna Vanna“ gegeben wird, in tendenziöser Wortwahl. Ich Filippo, von Filippo zum Herzog —
gebe also einen oberflächlichen Inhaltsbericht mit den unbefangenen Worten einer die Abwechslung hätte sich gemehrt.
Um die Inhaltsangabe kurz zu enden: bei
Tageszeitung:
liegen lassen. Sie kommt ins Schloß ohne Schl
„In Bologna ist's, zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Cäsar von Borgia ;
bedrängt die Stadt mit großer Heeresmacht, und auf den Straßen Bolognas forscht; sie weigert jede Aussage. Schließlich mit
Herzog dahin, wo sie den Schleier gelassen. Ver
spricht man, als wäre morgen der jüngste Tag. .. Und ein wunderlich Gerücht
läuft durch die Gassen: der junge Herzog sei gewillt, eine Schöne zu erwählen möglich ist dies gesamte Benehmen des Herzogs,
für diese letzte Nacht vor dem Entscheidungskampf. Der Herzog lächelt darob... Wollust durchbricht, bis er an Filippos Leiche stö
Da sieht er auf der Straße Beatrice, des alten, halbtollen Nardi schöne Tochter, er lange zu gewinnen gesucht, der sich ihm aber zu
und nun überkommt es ihn wie ein Wunder. Er wirbt um Beatrice; — das also hat sie ihn betrogen — nein, vielmehr: sie h
Mädchen will ihm folgen, doch nicht so, daß man sie schmähen darf als Dirne: eigentlich: sie hat Vittorino betrogen — oder wie
nur als seine Gattin, als Herzogin. Ihrer Schönheit Zaubermacht, die Er= Der klare Herzog wächst vor unseren Augen un
regung der Stunde, der Fiebertaumel, der angesichts der drohenden Feindes¬
Lösung: „sie ist ein Kind“..
gefahr ganz Bologna ergriffen — das alles schafft ungewöhnliche und schnelle
„Wir sind all
Entschlüsse, und so kommt im Augenblicke die Entscheidung: in einer Stunde
Und lindern's nicht, und jeder von 1#
tritt Herzog Lionardo Bentivoglio mit Beatrice vor den Traualtar. Als Beatrice
Nicht nur das winz'ge Spielzeug seit
dem Herzog begegnete, war sie auf dem Wege zur Kirche zur Trauung
Die ganze Welt. So nannten wir
mit ihrem Verlobten, dem jungen Vittorino, der sich nun, da sie dem
Betrug und Frevel — und du war
Herzog folgen will, in jäher Verzweiflung den Dolch ins Herz stößt (was
Wenn Cressida in des gesunden Shakespeare
Beatrice zwar hört, aber gar nicht beachtet! D. Ref.). Verloren freilich hat
der gedankenkürzesten und vom Organ des Treu
er sie schon früher — seit drei Tagen ist Beatrice die Geliebte Filippos,
lassenen Dirne, ein Kind ist — dann ist auch
des gefeierten Dichters, der um ihretwillen seine Braut Teresina aufgegeben
hat. Jähe Leidenschaft hatte die beiden, Filippo und Beatrice, zusammengeführt.
Shakespeare Burleske und Karrikatur ist: hier wit
Filippo will ihr alles opfern, schon sind alle Vorbereitungen zu gemeinsamer
Bruder denkt anders: er sticht die Lebensmüd
Flucht getroffen — da erzählt ihm Beatrice naiv und ihrer Empfindungen
Schnitzler'schen Bologneser — die der Maeterlinck
unbewußt, daß sie vom Herzog geträumt hat: „... Grüne Kerzen brannten in
sind — ziehen endlich, nach einer so verworrenen
einer Ampel ob dem Bett, ich sah des Herzogs Augen leuchten über mir und
Nacht, zum Kampf hinaus.
fühlte seine Lippen nahe den meinen, noch spürt' ich ihren Hauch — und so
über diese Beatrice und ihr Tun und Lass
erwacht' ich.“ Filippo ist entsetzt, daß sie so mit beschmutzter Seele zu ihm
Hauptgrunde, aus einem vernichtenden Grunde wi
komme, daß ihre Seele auf Abenteuer ausfliegen konnte, daß in den frechen
ärgern: man spürt nach ganz kurzem Zusehen,
Wünschen ihrer Träume sie an andere Männer hat denken können. Und er
und Gedankenwerk ist, keine blutvolle, herzerschi
stößt sie von sich.