II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 436

14. Der Schleier der Beatrice box 20/4
Theater.
Kunstberichte.
260
sie ihm, während ihr Verlobter verzweifelt Hand an sich le
feine geistige Organe verlangte. Die so gegebene Blöße unserer Zeitgenossen
Herzog, dieser Mächtige, „der an jedem Tag sein Leben trinkt
soll uns indessen nicht hindern, diesen unbequemen Schleier aufmerksam zu
klaren Quellen“, ladet ganz Bolognas Adel zu diesem Fest,
betrachten.
für heut ist Schönheit Adel, nicht Geburt, Kommt alle, nu
„Hat's nicht der Vater uns gar oft erzählt? Von einem, der den
Ihr seid willkommen!“ — Doch wie nun der lärmende Hochz
Kopf ins Wasser tauchte, und träumte da von so viel Abenteuern, daß sie
hebt, ergreift Beatrice plötzlich eine zwingende Sehnsucht n
im Wachen zwanzig Jahre währten, — Und taucht' empor, da war's ein
lassenen Geliebten, es treibt sie heimlich zu ihm, lieber mit der
Augenblick.“ So spricht Beatrice, die Tochter des geistesgestörten Wappen¬
sterben als mit einem anderen zu leben. Aber als Filippo!
schneiders zu Bologna. And in diesem Märchen ist des Schauspiels Wesen
fährt ihr die Todesangst in die kindlichen Glieder, die Leben
selber erzählt, es scheint, als sei der Dichter jener „Eine“, der in einem
wieder auf — zitternd flieht sie zurück, während Filippo, an
einzigen Traum, einem wildbunken Renaissancekraum eine Fülle der Ge¬
ihrer Furcht, in dem Gefühl grenzenloser Vereinsamung de
sichte erlebt, „daß sie im Wachen zwanzig Jahre währten — und taucht
leert. Sie stürzt zurück zum Gewühl des Hochzeitsfestes.
empor, da war's ein Augenblick.“
alles in größter Aufregung. Der Herzog hat ihre Flucht bem
In Bologna, der Stadt und Stätte alter Kultur geht es wild und
auf sie fahnden. Plötzlich ist sie wieder da! Bleich tritt sich
stürmisch her wie niemals noch. Vor den Toren steht Cesare Borgia, des
Säule hervor. Und ihr Schleier? Die kostbare Hochzeitsga
furchtbaren Alexander fürchterlicher Sohn. Die stählernen Klammern seines
er? Die Ausflüchte der Erschrockenen werden bald durchsch
Heeres schließen sich um der Etruskerstadt betagte Mauern, die morgen
Herzog zwingt sie, ihn dorthin zu führen, wo sie den Schleier
schon, vielleicht im ersten Ansturm fallen werden. Das sind eilige, rasende
Schweigsam ist ihre nächtliche Wanderung durch die Straß
Stunden —: Verzweifeln und Begehren, Todesbangen und aufbäumende
Hand treten sie in des Dichters Haus. Noch flackern die tiefher
Lebenslust wechseln und folgen einander so jäh wie Blitz und Donner.
Kerzen im Gemach. Hinter den schweren Vorhängen stößt de
Bürgersöhne und Edle, Männer und Knäben haben ihre Klingen geschliffen,
Filippos Leiche. Wunderliche Fügung! so trifft er ihn tots
ihre Rüstungen gerüstet für den Kampf der Entscheidung. And gleich als
Leben immer ausgewichen war! Hatte er diesen Sänger, dess
ginge morgen die Welt unter, tobt heute allerorten, in jeder Brust ein
ihm von jeher liebe Begleiter in Lust und Schlacht waren, i
wahnsinniges Verlangen, die Neige der letzten Stunden in einem einzigen
letzte Nacht zu sich gebeten? um ihn endlich kennen zu ler
berauschenden Zuge auszukosten, Anendlichkeit in die kurze Spanne bis zum
seineres geistigeres Fest mit ihm zu feiern als die sinnliche 2
Morgenrot zu pressen. Wie ein Gluthauch wehl es durch die Stadt. Ein
letzten Nacht? Denn —
einziger großer Brunstschrei hallt zu den ewigen Sternen hinauf. Wunder¬
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
voll ist diese trunkene Lust, die gleichsam schon dem Leben entrückt, über
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
ihm schwebt, vom Dichter gemalt. In den leuchtenden Farben der alten
Lebendig jeder neuen zu bestellen
Meister ist hier die Renaissance geschildert, die wilde, lebenschlürfende, tod¬
Und hinzuwandeln über allen Tod.
verachtende Zeit mit ihren stolzen Männern und wundersamen Frauen.
Nur einer ahnt hinter den hohen Mauern seines Gartens und seiner Seelen¬
Nun stößt er auf ihn, zum erstenmal und ...
einsamkeit nichts davon, daß die Welt rings in Flammen steht. Ein Doet
kalten Körper ... Neben ihm aber steht dies Frauenrätsel
ist's, Filippo, der eingesponnen in seine Träume und in die Liebe zur sechzehn¬
seinen Schleie verlor .. Was ist die Wahrheit? Währen
jährigen Beatrice, Zeit und Welt vergessen hat. ... Aber Zeit und Welt
noch dem Geheimnis nachsinnt, das über diesen Dingen webt,
rächen sich, wenn wir sie vergessen, sie wissen auf geheimnisvolle Weise,
ein Blitz durch die Luft, Beatricens Bruder, ein zweiter 2
auf Wegen des Traumes an unsere Sinne zu schleichen und sie zu berücken.
der Schwester den Dolch ins Herz. Sie selber hat zuletzt
Arglos erzählt das blühende Mädchen dem Geliebten: sie hat gekräumt, sie
gewünscht:
wäre Herzogin, und mit einem brennenden Kuß des jungen Herzogs auf
. .. Jetzt aber bin ich müd', so müd',
ihren Lippen ist sie erwacht. Lachend erzählt sie's, aber der Geliebte lacht
Glaub' ich, wie nie auf Erden jemand war —
nicht. Mit furchtbarem Ernst fragt er sie: „And so kommst du zu mir ...
Warum gerade mir dies alles, sagt?
als Dirne deines Traums? Kommst so beschmutzt hier her?“.. Träume sind
Und warum war ich ausersehn vor allen,
ihm, dem idealen Schwärmer, Begierden ohne Mut, freche Wünsche, die
So vielen Leid zu bringen, und weiß doch:
vom Licht des Tages in die Winkel unserer Seele zurückgejagt, die bei Nacht
Ich wollte keinem Böses!
erst auszukriechen wagen: — „Geh, Beatrice! Graun vor dir hat mich er¬
Sie geht. Ohne ihn zu verstehen. Geht und — reicht die
faßt.“
Sie wollte keinem Böses. Und doch log sie allen: den
Hand einem braven Handwerksknaben, der lange schon um sie wirbt zur
Geliebten, dem Bräutigam, dem Herzog. So war sie „nur
Vermählung. Schon schreitet das Paar zur Kirche, da begegnet ihnen der
mit der Krone spreite, weil sie glänzte? mit eines Dichters
junge Herzog, der auf der Suche nach der Begehrenswertesten für diese
voll Rätsel? mit eines Jsinglings Herzen, weil's ihr just
letzte Nacht, Beatrice nun in trunkener Laune freit. Wie im Traume folgt