II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 437

14: Der Schleier der Beatrice box 20/4
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Theater.
Kunstberichte.
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sie ihm, während ihr Verlobter verzweifelt Hand an sich legt. Und der
feine geitige Organe verlangte. Die so gegebene Blöße unserer Zeitgenossen
Herzog, dieser Mächtige, „der an jedem Tag sein Leben trinkt aus tausend
soll uns indessen nicht hindern, diesen unbequemen Schleier aufmerksam zu
klaren Quellen“, ladet ganz Bolognas Adel zu diesem Fest, „doch merkt!
betrachten.
für heut ist Schönheit Adel, nicht Geburt, Kommt alle, nur seid schön!
„Hat's nicht der Vater uns gar oft erzählt? Von einem, der den
Ihr seid willkommen!“ — Doch wie nun der lärmende Hochzeitsjubel an¬
Kopf ins Wasser tauchte, und träumte da von so viel Abenteuern, daß sie
hebt, ergreift Beatrice plötzlich eine zwingende Sehnsucht nach dem ver¬
im Wachen zwanzig Jahre währten, — And taucht' empor, da war's ein
lassenen Geliebten, es treibt sie heimlich zu ihm, lieber mit dem Dichter zu
Augenblick.“ So spricht Beatrice, die Tochter des geistesgestörten Wappen¬
sterben als mit einem anderen zu leben. Aber als Filippo Ernst macht,
chneiders zu Bologna. Und in diesem Märchen ist des Schauspiels Wesen
fährt ihr die Todesangst in die kindlichen Glieder, die Lebenslust flackert
sselber erzählt, es scheint, als sei der Dichter jener „Eine“, der in einem
wieder auf — zitternd flieht sie zurück, während Filippo, angewidert von
keinzigen Traum, einem wildbunten Renaissancetraum eine Fülle der Ge¬
ihrer Furcht, in dem Gefühl grenzenloser Vereinsamung den Giftbecher
sichte erlebt, „daß sie im Wachen zwanzig Jahre währten — und taucht
leert. Sie stürzt zurück zum Gewühl des Hochzeitsfestes. Dort trifft sie
empor, da war's ein Augenblick.“
alles in größter Aufregung. Der Herzog hat ihre Flucht bemerkt und läßt
In Bologna, der Stadt und Stätte alter Kultur geht es wild und
auf sie fahnden. Plötzlich ist sie wieder da! Bleich tritt sie hinter einer
stürmisch her wie niemals noch. Vor den Toren steht Cesare Borgia, des
Säule hervor. And ihr Schleier? Die kostbare Hochzeitsgabe? Wo ist
furchtbaren Alexander fürchterlicher Sohn. Die stöhlernen Klammern seines
er? Die Ausflüchte der Erschrockenen werden bald durchschaut — der
Heeres schließen sich um der Etruskerstadt betagte Mauern, die morgen
Herzog zwingt sie, ihn dorthin zu führen, wo sie den Schleier verloren hat.
schon, vielleicht im ersten Ansturm fallen werden. Das sind eilige, rasende
Schweigsam ist ihre nächtliche Wanderung durch die Straßen. Hand in
Stunden —: Verzweifeln und Begehren, Todesbangen und aufbäumende
Hand treten sie in des Dichters Haus. Noch flackern die tiefherabgebrannten
Pebenslust wechseln und folgen einander so jäh wie Blitz und Donner.
Kerzen im Gemach. Hinter den schweren Vorhängen stößt der Herzog auf
Bürgersöhne und Edle, Männer und Knäben haben ihre Klingen geschliffen,
Filippos Leiche. Wunderliche Fügung! so trifft er ihn tot, der ihm im
Ihre Rüstungen gerüstet für den Kampf der Entscheidung. And gleich als
Leben immer ausgewichen war! Hatte er diesen Sänger, dessen Rhythmen
inge morgen die Welt unter, tobt heute allerorken, in jeder Brust ein
ihm von jeher liebe Begleiter in Lust und Schlacht waren, nicht noch diese
kahnsinniges Verlangen, die Neige der letzten Stunden in einem einzigen
letzte Nacht zu sich gebeten? um ihn endlich kennen zu lernen? um ein
berauschenden Zuge auszukosten, Anendlichkeit in die kurze Spanne bis zum
seineres geistigeres Fest mit ihm zu feiern als die sinnliche Menge in dieser
Morgenrot zu pressen. Wie ein Gluthauch wehl es durch die Stadt. Ein
letzten Nacht? Denn —
inziger großer Brunstschrei hallt zu den ewigen Sternen hinauf. Wunder¬
holl ist diese trunkene Lust, die gleichsam schon dem Leben entrückt, über
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
Ihm schwebt, vom Dichter gemalt. In den leuchtenden Farben der alten
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
Meister ist hier die Renaissance geschildert, die wilde, lebenschlürfende, tod¬
Lebendig jeder neuen zu bestellen
berachtende Zeit mit ihren stolzen Männern und wundersamen Frauen.
Und hinzuwandeln über allen Tod.
Nur einer ahnt hinter den hohen Mauern seines Gartens und seiner Seelen¬
Nun stößt er auf ihn, zum erstenmal und ... auf einen starren
Einsamkeit nichts davon, daß die Welt rings in Flammen steht. Ein Doet
kalten Körper ... Neben ihm aber steht dies Frauenrätsel, das bei ihm
st's, Filippo, der eingesponnen in seine Träume und in die Liebe zur sechzehn¬
seinen Schleier verlor .. Was ist die Wahrheit? Während der Herzog
ährigen Beatrice, Zeit und Welt vergessen hat. ... Aber Zeit und Wel¬
noch dem Geheimnis nachsinnt, das über diesen Dingen webt, fährt es wie
fächen sich, wenn wir sie vergessen, sie wissen auf geheimnisvolle Weise,
ein Blitz durch die Luft, Beatricens Bruder, ein zweiter Valentin, stößt
Auf Wegen des Traumes an unsere Sinne zu schleichen und sie zu berücken.
der Schwester den Dolch ins Herz. Sie selber hat zuletzt sich den Tod
Arglos erzählt das blühende Mädchen dem Geliebten: sie hat gekräumt, sie
gewünscht:
wäre Herzogin, und mit einem brennenden Kuß des jungen Herzogs auf
... Jetzt aber bin ich müd', so müd',
hren Lippen ist sie erwacht. Lachend erzählt sie's, aber der Geliebte lacht
Glaub' ich, wie nie auf Erden jemand war —
hicht. Mit furchtbarem Ernst fragt er sie: „And so kommst du zu mir ...
Warum gerade mir dies alles, sagt?
hls Dirne deines Traums? Kommst so beschmutzt hier her?“.. Träume sind
Und warum war ich ausersehn vor allen,
hm, dem idealen Schwärmer, Begierden ohne Mut, freche Wünsche, die
So vielen Leid zu bringen, und weiß doch:
om Licht des Tages in die Winkel unserer Seele zurückgejagt, die bei Nacht
Ich wollte keinem Böses!
rst auszukriechen wagen: — „Geh, Beatrice! Graun vor dir hat mich er¬
faßt.“
Sie geht. Ohne ihn zu verstehen. Geht und — reicht die
Sie wollte keinem Böses. Und doch log sie allen: den Eltern, dem
Hand einem braven Handwerksknaben, der lange schon um sie wirbt zur
Geliebten, dem Bräutigam, dem Herzog. So war sie „nur ein Kind, das
Vermählung. Schon schreitet das Paar zur Kirche, da begegnet ihnen der
mit der Krone spielte, weil sie glänzte? mit eines Dichters Seel, weil sie
unge Herzog, der auf der Suche nach der Begehrenswertesten für diese
voll Rätsel? mit eines Jünglings Herzen, weil's ihr just geschenkt war?
letzte Nacht, Beatrice nun in trunkener Laune freit. Wie im Traume folgt