II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 439

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14. Der schleier der Beatrice
Kunstberichte.
Theater.
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so spricht der Herzog ernst — „sind allzustreng und leiden's
ber wir“
und Motive hineingewebt, es fehlt das Rückgrat eines aufrechten dramati¬
icht und jeder von uns wollte nicht nur das einz'ge Spielzeug sein —
schen Willens. Im einzelnen wird unser Genuß an den schönen Versen
ein, mehr! Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun Betrug und
nur selten gestört, so durch das aufdringliche Zugeständnis an die Ver¬
Frevel — und du warst ein Kind!“ So hebt der Herzog, während
erbungsschnüffler: daß die Mutter der Beatrice als ein schlechtes Weib,
ie letzte Sonne, die sie alle sehen werden, heraufdämmert und vor den
der Vater als irrsinnig geschildert wird, eine Aberflüssigkeit, die dem Sinn
doren schon der Kampf beginnt, den Schleier ihres Wesens.
des Dramas, wenn man tiefer hinlauscht, widerspricht. Gleichviel: wir
Was ist's mit diesem Schleier, der nun als leere Hülle zwischen
haben es hier mit einer feinen, sehr bedeutenden Dichtung zu tun, die
en beiden Toten, dem Dichter und dem Mädchen liegt? Ist es das, was
namentlich mit der gewaltigen Erhebung des tragischen Tones im letzten
ie Alltagsmenschen „Gewissen“ nennen? Das dieses Kind nicht kannte,
Akt einen tiefen Eindruck hinterläßt, und wenn nicht als Bühnenwerk, so
las sie, an solche Tracht nicht gewöhnt, bei der ersten Gelegenheit abstreift,
doch als Buch, als Gedankenfreund im Hause ein bleibender Schatz der
hne es zu merken, und das — als sie es wiederfindet — zum erstenmal
deutschen Literatur ist, „rein und fein, dem Edelsteine gleich, bestrahlt von
n müdes Todesverlangen in ihr weckt¬
den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist.“...
Ist es der Schleier, den Mutter Natur uns allen geheimnisvoll mit¬
egeben, unserer Bestimmung, unseres Wesens Kern verhüllend? Das
Kätsel des Geschöpfes wie der Schöpfung? Das, wenn es unser Tun ent¬
Es ist ein sehr bemerkenswerter Zug im literarischen Weben unserer
füillt, unsere große Schuld zeigt und zugleich unsere große Anschuld? Und
Tage, daß zu einer ähnlichen Auffassung der Weibes= und Menschheit¬
egt hier nicht das rätselechteste aller Schöpfungsrätsel, das große Geheimnis
sendung wie Schnitzler im Schleier der Beatrice ein anderer der wenigen
ks Weibes, das verschleierte Bild der Frauenseele? die alles Große und
Ragenden unter den gegenwärtigen Dramatikern gekommen ist, freilich auf
blänzende im Leben nur als ein buntes Spielzeug ihrer Triebe ansieht?
ganz anderen Wegen nach Sonderheit seiner Beanlagung: Maeterlinck in
in geheimnisvolles Walten, verderblich und doch immer neu das Leben
seiner Dichtung „Pelleas und Melisande“. Die beiden Dichter, die
ebärend, erbärmlich und doch groß wie das Genie, das auch rein instinktiv
hier das Rätselhafte, Traumhafte, Anbewußte in der weiblichen Psyche
hndelt! Alle diese Männer hielten nur ein verschleiertes Bild in ihren
schildern, haben ohnehin viel Gemeinsames, man sieht es nur nicht auf den
rmen. Allen log der Schleier der Beatrice, dieser seltsame Schleier, der
ersten Blick, weil sie sich eben auf dem Grunde ihrer Dichtungen begegnen.
s Nächste und Fernste verknüpft. Hinter dem sich die Arkeime aller
Der Kampf zwischen Todesangst und Liebe ist eines der Grundmotive aller
kreatur regen. Der des Weibes Bewegungen wohl erkennen läßt, aber
Schnitzlerschen Werke. Und Maeterlinck singt uns in fast allen seinen
hre Seele verhüllt. „Dein Schleier ist ein Teil von deinem Selbst
Dichtungen das eine Lied: daß wir Menschlein an den grausamen und un¬
nd dennoch zupf und zerr' ich stets an ihm und hätt' ihn gestern gern dir
beugsamen Spielen, die Tod und Liebe mit den Lebenden spielen, nichts
bgerissen“. Und als sie ihn endlich abgerissen haben, diese begehrenden
ändern können ... Auch in „Pelleas und Melisande“ ist dies das große
Männer, da stehen sie enttäuscht, vergrämt, zornig. So liebt der Mann
klagende Leitmotiv, das wie der stete dumpfbrausende Orgelton des hinter
#ur die Hülle des Weibes, die glänzende, berückende. And wenn diese
der Szene brandenden Meeres die Dichtung von der ersten bis zur letzten
ülle fällt, wird das Wort des Einsiedlers von Maria — Sils wahr:
Zeile begleitet.
Wer begriff es ganz, wie fremd sich Mann und Weib sind?“
Das Drama ist 1892 entstanden und obwohl inzwischen hie und da
der auch sprach das Wort: „Wer von euch Schleier und Aberwürfe und
gelegentlich aufgeführt, ist es doch in diesem Winter erst zu seiner vollen
Farben und Gebärden abzöge: gerade genug würde er übrig behalten, um
dramatischen Bedeutung gelangt, dank einer außerordentlich feinsinnigen
ke Vögel damit zu erschrecken“. And an anderer Stelle: „Alles am Weibe
Inszenierung, die Max Reinhardt, der jetzige Direktor des Neuen Theaters
st ein Rätsel .... Der Mann ist für das Weib ein Mittel ... Wenig
unter Mitarbeit der Maler Louis Corinth und Leo Impekoven mit
lersteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber dies sei eure Ehre, immer
glänzendem künstlerischem Erfolg ins Werk setzte. Elf Jahre hat also dies
zehr zu lieben als ihr geliebt werdet . . . Der Mann fürchte sich vor dem
Drama eines bekannten Dichters auf Verständnis eines Bühnenleiters
Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes Opfer und jedes andere Ding
warten müssen — ein beschämender Beweis für die Tatsache, daß wir mit
filt ihm ohne Wert. ... Also sprach das Eisen zum Magneten: ich hasse
kaum einer Ausnahme Geschäftsbühnen statt Kunstbühnen haben. Elf Jahre
sich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, an dich zu
und das wunderliche Schicksal will es, daß gerade jetzt, wo diese alte
ehen... Der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber
Dichtung zu neuem Leben erwacht, ihr Dichter selber, fortschreitend mit den
st dort schlecht Und gehorchen muß das Weib und eine Tiefe finden
Lustren, auf einem anderen Pol seiner Kunst angelangt ist und beinahe auf
seiner Oberfläche ... Des Mannes Gemüt aber ist tief, sein Strom
dem Dunkte steht, sie zu verleugnen. In der Vorrede zur neuen Gesamt¬
uscht in unterirdischen Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift
ausgabe seiner dramatischen Werke, die Herr von Oppeln=Bronikowski
enicht ...“
besorgt hat (Leipzig, E. Diederichs), sagt Maeterlinck mit einem Rück¬
In der Tat, es ist erstaunlich, wie greifbar die Philosophie Nietzsches
lick auf seine früheren Dramen, Pelleas und Melisande eingeschlossen:
diesen Schleier der Beatrice verwoben ist. Und das ist die Schwäche

.. heute scheint mir das alles nicht mehr hinreichend ... Es ist
es Werkes als Drama: es sind zuviel Gedanken und Symbole und Bilder
dem Lyriker vielleicht erlaubt, etwas wie ein Theoretiker des Anbekannten