II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 444

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14. Der Schleier der Beatrice
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Dramatische Rundschau.
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Gewalt ein einheitlich gefügtes Drama aus den
Sich unter den unendlich vielen fanden,
Tiefen menschlicher Natur und menschlicher Cha¬
Hat nie mit tiefem Schauer dich erfüllt.
raktere aufsteigen zu lassen, die aber mit magi¬
Und daß dein Vater toll, füllt nicht mit Bangen,
scher Kraft etwas von der nervösen Grazie, der
Daß Vittorino starb, der dich geliebt,
Nicht mit dem fürchterlichsten Gram dein Herz.
bunten Launenhaftigkeit, der prangenden Lebens¬
Und daß du Fürstin von Bologna bist,
fülle des Cinquecento heraufbeschwört und ein
Macht dich so wenig staunen, Beatrice,
paar funkelnde Renaissancefiguren über die Bühne
Wie wenn sich eine Mück' auf deine Hand setzt ..
wandeln läßt: diesen jungen Herzog Lionardo
Nur ist's dein Wesen, daß mit jedem Pulsschlag
Bentivoglio, den hellen Daseinsüberwinder, der
Durch deine Adern andre Wahrheit rinnt.
„an jedem Tag sein Leben trinkt aus tausend
Schwer gefaltet wie der Schleier, der sie umhüllt,
klaren Quellen, und jede weckt den Durst und
liegt um sie das Rätsel der letzten Stunden, da
löscht ihn“, der über Menschen wie über feuch¬
der Tod über allen Dächern schwebt, da „jedes
tes Gras dahinschreitet, „daß ihm der Fuß vom
Ja und Nein zum Zeichen wird und mehr be¬
Tau des Lebens dampft, das er zertrat“; die¬
deutet als sich selbst.“ Diese Ausnahmestimmung
sen jungen Poeten Filippo Loschi, den leicht¬
des letzten Tages, der zwölften Stunde, hat
beflügelten Sinnen= und Augenblicksmenschen,
Schnitzler freilich — auch die ungleiche Darstellung
dem im Gaukelspiel der Dichterträume die Wirk¬
des „Deutschen Theaters“ in Berlin verhalf nicht
lichkeit entschlüpft; vor allem aber Beatrice Nardi
zu dem Eindruck — mit aller Milien= und Ge¬
selbst, in welcher der Dichter jene unfertige Kind¬
staltenverschwendung nicht recht zu entzünden ver¬
lichkeit und reife Grausamkeit zu paaren gesucht
mocht, so wenig wie die stolze Lebenslohe der
hat, die wir auf gewissen Bildern der italienischen
Renaissance. Sein Bologna liegt an der blauen
Frührenaissance finden. Mit diesenlechten Zügen
Donau, unter dem Wahrzeichen des Stephan¬
der Zeit aber vermischen sich in ihr, stärker als
turmes und leider auch zum Teil des Café Grien¬
jene, Züge der modernen Decadenee, und so kommt
steidl. Gewiß, der „Schleier der Beatrice“, Schnitz¬
ein mehr kapriziöses als charaktervolles Porträt
lers bisher weitaus gehaltvollstes Werk, ist ein
einer Mondäne zu stande, die zwischen Wien und
schillerndes, reich mit Gedanken verbrämtes Ge¬
Bologna auf losen Pfaden hin= und herschweift.
spinst, Menschliches, Allermenschlichstes ist hinein¬
Nach der Absicht des Dichters aber soll diese
gestickt, hohe Namen der dramatischen Dichtkunst,
Beatrice, ähnlich der verschleierten Maja der an¬
wie Grillparzer („Jüdin von Toledo“) und Heb¬
tiken Mythologie, den Natur= und Lebenstrieb
bel („Gyges und sein Ring“), dürfen auftauchen,
schlechthin verkörpern, jene dämonische, rätsel= und
ohne allzusehr zu verstimmen. Im Grunde aber
widerspruchsvolle Macht des Weiblichen, die, jen¬
erscheint uns doch auch der Dichter der Beatrice
seit von Gut und Böse, „sich nicht faßt und nicht
nur unter dem Zeichen seines Paracelsus, jenes
das Nichts.“ Wurzel= und heimlos, ein trüber
von ihm verherrlichten geistreichen Gauklers, der
Gast nur auf der dunklen Erde, spielt sie mit
den Zuschauern tausend Rätsel aufgibt, ihnen
dem Tod wie mit dem Leben. Ihre Tränen
dann und wann auch wohl einen Schimmer der
fließen um einen zerbrochenen Fächer so heiß wie
Lösung zeigt, am Ende aber alle nur in einer
um ein zelbrochenes Herz. Sternen gleich, die
grenzenlosen Verwirrung des Gefühls zurückläßt.
in einem einzigen Augenblick den Himmelsraum
Ein feines ästhetisches Gedankenspiel, aber doch
durchmessen, jagt sie durch eine ganze Welt aben¬
nur ein Spiel, ohne Charakter, ohne Ethos! Was
teuernder Gefühle, von denen doch keins den glat¬
fehlt, ist die aufbauende männliche Kraft des
#ten Spiegel ihrer flachen Seele auch nur kräuselt.
schöpferischen Genius, die immer auch zugleich
Wie der Herzog, so erkennt auch der Dichter in der
eine sittliche ist. Statt dessen beherrscht die femi¬
letzten „lebendigen Stunde“ hinter dem Schleier,
nine Note, die die gesamte jungwienerische Lite¬
daran seine Hand vergebens zupfte, etwas von
ratur beherrscht, auch dieses Werk, das so reich
ihrem wahren Wesen:
ist an stillen, feinen, intimen Reizen wie arm an
Niemals hat dich
heroischer Energie. Nicht bloß den „Helden“ des
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Stückes, auch dem Dichter selber wirkt hier die
Nie bist du vor der Buntheit dieser Welt
Frau das Schicksal.
In Andacht hingesunken, und daß du,
Friedrich Düsel.


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