II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 453

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14.
Der SchlefenderBeatrice




Neurasthenikers wird, eines Menschen, der „Dichter“ ge¬
wenn man von solchen Entgleisungen absieht, muß man
Die heutige Sportrubrik enthält das voll¬
nannt und ziemlich redselig, aber allerdings mit geistreichen
ständige Programm des heutigen Wiener feststellen, daß Schnitzler in der „Beatrice“ eine so üppige
Worten, wie die meisten Personen in diesem Stück, vor¬
pastose Behandlung der Sprache erreicht hat, wie nie
Trabfahrens samt fachmännischen Chancen¬
geführt wird, was sollen wir mit der als schön geschilderten,
zuvor. Das ist das eine, die Grundlage. Von der Sprache
berechnungen.
aber leider ein wenig verrückten Bologneserin, die aus
aber steigen die Feinheiten des Stückes weiter empor zu
den Händen ihres Dichters in die eines bürgerlichen
seiner Mache und der Verarbeitung seiner Motive. Darin
Feuilleton. 9 fl.,
Bräntigams, von diesem an einen Herzog, dann wieder zu
bewährt Schnitzler die starke Logik, die man an ihm immer
ihrem Geliebten zurück und dann von neuem dem Herzog
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gekannt hat. Eine Art logisches Vergnügen bereitet es,
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in die Quere kommt, und alles dies im „Traum nur einer
Berliner Theater.
etwa dem Genuß des Schachspieles vergleichbar, dem In¬
Nacht“? Was soll uns daran interessiert haben? So
einandergreifen und dem Aufbau des Szenengefüges zu folgen,
Die letzte Zeit hat dem Berliner Theater nicht viel
fragen wir am Schluß, erschöpft von den vielen über¬
zu dessen Gliederung und Verbindung oft die über¬
Neues gebracht. „Pelleas und Melisande“ von Maeterlinck,
künstlichen Verwicklungen. Die Antwort bleibt aus. Es
raschendsten“ und feinsten Uebergänge notwendig waren —
das als eine Art Entdeckung behandelt wurde, ist von
war ein Spiel, das ist alles. Ein Spiel? Für ein Spiel
Züge, um im Gleichnis des Schachspiels zu bleiben, die
Reinhardt in einem Gastspiele zu Wien schon gespielt
war es zu motiviert, zu ängstlich und „geistreich“ gemacht
nur dem genialen Spieler einfallen. Das ist das zweite.
worden. Dagegen kennt man gerade in Wien ein Stück
und man verläßt enttäuscht das Theater.
Aber nachdem man alle diese Feinheiten der Sprache und
noch immer nicht, dessen Première in Berlin vor mehreren
Zwei Schwächen lassen sich zur Charakteristik dieses
des Aufbaues während der Lektüre nach Maß aus¬
Wochen stattfand: Schnitzlers „Schleier der Veatrice“.
Stückes, wenn man tiefer geht, herausheben aus der bunt
gekostet hat, blickt man mit durstig suchendem Auge
Ein paar Worte zum Nachruf für dieses Stück! Es
sacettierenden Schar seiner Eigenschaften. Die eine ist das
auf den Sinn des Ganzen zurück, und da macht
ist vom Deutschen Theater zwar wieder verschwunden,
Kleben an einer gewissen lyrischen Phraseologie, womit
man die peinlich überraschende Entdeckung, daß dieser
aber es wird vermutlich da und dort, und auch in Wien,
die oben gerühmte Kunst der Sprache sehr wohl vereinbar
Sinn des Ganzen in nichts zerflattert. Als Ganzes
wieder auftauchen. Und es wird anderwärts, wie hier,
ist; an eine Phraseologie, die so anmutet, als ob sie von
gesehen, versagt das Stück. Damit hängt das
von der Kritik wahrscheinlich die Marke bekommen, daß es
Hofmannsthal, bei dem sie ursprünglich erwachte und echt
ungünstige Bühnenschicksal zusammen, das es in Berlin
ein literarisches Stück sei und von einem andern als dem
ist, nur äußerlich herübergenommen wäre. Das Wort
fand. Vor der Bühne strebt ja alle Aufmerksamkeit des
Theaterstandpunkt aus zu Schnitzlers besten gehiire.
„seltsam“ ist das dafür charakteristische Stichwort. Alles
Ein literarisches Stück? Was will damit gesagt Zuhörers von dem Moment an, da der Knoten geschürzt
ist „seltsam". Und da man dieses „alles“ am lyrischesten
ist, einem Ende zu, das sich, noch schwebend in den Um¬
sein? Daß es im Lesen fesselt und daß es den Verstand
durch das Wort „Leben“ — ein gleichfalls sehr geliebtes
rissen, langsam dem Blicke entschleiert. Dieses Ende mag
der Gebildeten zu beschäftigen vermag. Das trifft in der
Vokabel! — ausdrückt, kann man den Inhalt dieser Lyrik am
ein problematisches sein, gleichviel, notwendig nur, daß
Tat bei diesem Stücke zu. Es ist vor allem in einer
schlagendsten in den Satz zusammenfassen: Das Leben ist
es soweit vorhanden ist, um dem Gegenstand, dem
Verssprache geschrieben, die mit ihrem Bilderreichtum, mit
seltsam. Nun mag das ja eine sehr berechtigte und für
Stoff des Dramas rückwirkend sein eigentliches Gepräge,
feinen Uebergängen und selbstgeschaffenen Wendungen ein
den Dramatiker gerade die richtige Empfindung sein, und
seine höhere Legitimation zu geben. In solcher Erwartung
literarisches Vergnügen bereitet; und wem man von
sie auf der Bühne gestaltet zu sehen, ist gewiß von außer¬
saß man im Deutschen Theater vor der „Beatrice“.
müßglückt wienerischen Konstruktionen absieht, wie etweher:
weiter man kam, desto mehr Aufklärung ordentlicher Wirkung. Aber bei Schnitzler sieht man sie
# dieselben, die läglich in den Gassen ich begegne,“
Je
wünschte man. Was sollen wir mit dieser Goldschmieds=leider nicht gestaltet, man hört sie nur inausgesetzt aus¬
einer anderen, auch für Wien zu östlich gehaltenen, wie:
„Nun drückt er sich auf einmal vornehm aus,“ lochter, die die Geliebte eines eitlen, unangenehmen sprechen. Man hört sie vom Dichter, vom Herzog, von