II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 493

Die Nation.
Nr. 24.
vermag
Fähig¬
Theaker.
in der
Deutsches Theater: „Der Schleier der Beatrice“ Schauspiel in 5 Akten von Arthur
jetzt in
Schnitzler.
ünstler,
ver¬
Der Vorhang war zum letztenmal über Arthur
Schnitzler's Schleier der Beatriee" gefallen, und der Ein¬
inner¬
druck auf das Parquet war ein ungewisser, unsteter ge¬
fs und
blieben. Es soll hier auch keineswegs bestritten werden,
ltungs¬
daß Schnitzler's Schauspiel auf der Bühne
zumal bei
Kern
der sehr ungleichen, zum Theil recht dürftigen Aufführung
aus
des Deutschen Theaters — ohne tiefere Wirkung bleiben
cht im
mußte. Doch lohnt es sich, den dramatischen Geschehnissen
ge, die
noch einmal nachzusinnen, die Gestalten, wie Schnitzler sie
kalt.
ursprünglich erfaßt, wachzurufen und ihrer wehmüthigen
ht des
Schicksale zu gedenken.
Liebe,
Beatrice! Ihr Urbild mag ein leichtfüßiges, leicht¬
prun¬
sinniges Kind der Wiener Vorstadt gewesen sein. Sie ist
keinen
der Schmetterling, der von dem einen Mann zum andern
stiges
gaukelt, den einen aus instinktiver Zuneigung liebt,
steht
den anderen um seines Ansehns und seiner Stellung
enüber,
willen, den dritten, weil er ihr ein gesichertes Dasein ver¬
Einheit
spricht. Sie ist sich keiner Schuld bewußt, denn Untreue
e Vor¬
liegt ihr im Blute. Und warum soll sie nicht vielen gut
durch¬
sein, da viele sich gar so freundlich um sie mühen? Ganz
4 und
unschuldig flattert sie vom einen zum andern, denn nie sind
# nur
ihr die Augen aufgegangen; sie hat nie begriffen, was das
Besstes¬
Leben, wer sie selbst und wie die andern; alles war und
Zug
bleibt für sie ein Spiel. Ganz unschuldig ist Beatrice,
egeben.
denn sie hat keine Seele. Weil sie so seelenlos, ist sie
sten
so hold.
r Ton¬
Dieser Beatrice, die Schnitzler aus seiner Eigenart
olge¬
heraus nicht tragisch und nicht lächelnd nehmen konnte, die
er mit weichen, elegischen Empfindungen umspinnt, stellt
e
sich die Künstlergestalt entgegen, deren Wesensbedingungen
n
der Wiener Poet letzthin in seinen „Lebendigen Stunden“
8
nachgegangen ist. Doch zeichnet sich ihm im „Schleier der
Beatrice“ der Künstler, der diesmal ein Dichter ist, in ganz
anderen Farben. Nicht mehr ist er der Vampyr, der das Weib,
1
das er liebt, für seine Kunst aussaugt; durchaus nicht; mit
mit
unendlich feinen Organen umfängt er ihr Wesen; was ihm
gen
hoch und werth, trägt er hoffend, ahnend in sie hinein. In
iger] Beatrice glaubt er die Geliebte seiner Dichterträume ge¬
und
funden zu haben. Er ist dazu verdammt, die Seele der
Seelenlosen zu lieben.
der
nen
Deshalb: wie Beatrice ihm nichtsahnend, heiter plau¬
eist¬
dernd von einem Traum erzählt, in dem sie sich wohlge¬
ston¬
fällig als Weib eines anderen, in Macht und hoher

Irfe
t-gesehen hat, ist sie für ihn verloren. Ihm bleibt
ießen.
nur eines, sich von ihr zu trennen. Deshalb muß, da sie von
Zeit,
der Hochzeitsfeier mit jenem anderen fortschleicht, um ihm an¬
um
zugehören und dann mit ihm zu sterben, er sie vorerst auf die
keinem
Probe stellen. Für ihn ist ihre Liebe nur dann begehrens¬
s und
werth, wenn ihre Seele ganz der seinen lebt, wenn Beatrice
beit, in
wirklich fähig ist, auch die letzte Lebensstunde mit ihm vereint
er den
zu beschließen. Und damit taucht ein Problem auf, das
er nur
Schnitzler bereits in seiner frühen Erzählung Sterben“
Lange¬
beschäftigt hat. Beatrice ist gekommen, um mit ihrem Ge¬
die er¬
liebten vereint aus dem Leben zu scheiden. Da er ihr aber
braven
vorspiegelt, sie habe in dem Wein, den er ihr gereicht, be¬
sinnen¬
reits das tödtende Gift getrunken, erlischt an der Todes¬
Stunden
furcht all' ihre Liebe. Und wie sie vollends den Freund
e“ bald
sterbend vor sich sieht, packt sie ein Schauer, und sie flüchtet
Schutz¬
von ihm, zurück zu jenem andern, mit dem der Priester
eben sie vereint. Leben um jeden Preis, auch um den der
Liebe!
*
Beatrice, das Kind des Lebens, ein Wesen gleichsam
instinktiv spielender Natur, diese Beatrice angesichts des
Todes
das Bild erheischte in Schnitzler's Sinn einen
großen, bewegten Hintergrund. Er schuf ihn aus dem
Bologna der Renaissance. Cesare Borgia hält die Stadt
in eiserner Umklammerung, morgen schon soll der Ent¬
scheidungskampf geschlagen werden, niemand zweifelt, daß
mit dem grauenden Tag der Tod durch die verödeten Gassen