II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 500

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14: Der Schleien der Beatrice
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Die fürchtende Tiebe sieht weit.
Frl. Kirch gaben die genußsüchtigen Florentinerinnen etwas zu auf¬
und die vielen Tränen, die sie dem Kinde des Geliebten zeigt, konnten
dringlich. Mit etwas mehr Zurückhaltung lassen sich viel größere
lange nicht die Wirkung erzielen, wie der stumme, dumpfe Schmerz
Wirkungen erzielen. Auch die anderen zahlreichen Mitwirkenden waren
und der tiefe innere Kampf, den die Rejane zeigte. Die Rejane
gut am Platze, und wenn die unendlich langen Pausen nicht gewesen
weinte auch, aber nicht fassungslos und haltlos, sondern beherrscht
wären, so hätte man von der wohlgelungenen und interessanten Auf¬
von dem großen heiligen Gefühl: Hier in dieses Heiligtum der Familie
führung noch mehr Genuß gehabt.
darfst du nicht hinein, hier mußt du ferne stehen und ein Glück nicht
Hatte sich uns Irene Triesch an ihrem ersten Gastspielabend
vernichten, worauf du selbst deinen Anspruch verwirkt hast. Im fünften Akt
von einer geradezu glänzenden Seite gezeigt, so wurde unser Urteil am
dagegen fand Irene Triesch sehr glücklich den überlegenen Ton, den Frauen
zweiten Gastspielabend durch ihre Darstellung der Zaza in der gleich¬
so oft haben, wenn sie über Gräber der Erinnerung schreiten. Es
namigen Sittenkomödie von Pierre Berton und Charles Simon
klopften Tränen in der Stimme und der Mund lächelte, als sie zum
leider etwas herabgestimmt. Man muß die „Zaza“ von der
letzten Abschied dem Geliebten die Hand reichte, sie hinein ins Leben
Rejane oder einer anderen Französin gesehen haben, wenn man die
schreitend, eine bezahlte Komödiantin, von Glanz und Flitter umgeben,
richtige „Zaza“ sehen will.
So was liegt unseren deutschen
aber leeren Herzens, und er zu Weib und Kind mit der Erinnerung
Künstlerinnen nicht. Die „Zaza“ von Irene Triesch war gewiß eine
an Zaza, die er nicht vergessen kann. Die den Alkohol liebende
sehr schätzenswerte künstlerische Leistung, aber ihr fehlte eines, das ganz
Mutter Zazas wurde von Katharina Winkler mit der ganzen
unsagbare Parfüm, das wie ein Hauch, wie ein undefinierbares Etwas
Unverfrorenheit dargestellt, die diese saubere Theatermutter charakterisiert.
die Pariserin umgibt. Zuerst schon die Szene in der Garderobe
Herr Emil Wirth war ein sehr pfisfiger Varietee=Theater=Direktor,
mit Bernard Dufresne, der übrigens von Herrn Lothar Mehnert
Herr Bernhard Wildenhein als Cascart ein guter Gesangs¬
mit vornehmer Eleganz und warmem Gefühl überaus glücklich ge¬
komiker und edelmütiger Liebhaber und Freund. Else Wernow
spielt wurde. Um die Szene so durchzuführen, wie es beispielsweise
gab eine sehr farblose Natalie, Frl. Kirch eine vornehme, von all
die Rejane tut, muß man die leichte Unbefangenheit der Franzosen
dem um sie her Vorgehenden nichts begreifende, vertrauensvolle Gattin.
haben, die vom Leben nur den Schaum nehmen. Esprit und Grazie
Hannchen Stickel, welche die kleine Toto spielte, scheint ein echtes
müssen hier das Gewagte der Situation verdecken, sonst wirkt alles plump
Theaterkind zu sein, das sich so leicht nicht verblüffen läßt. Die übrigen
und unschön. Ebenso wird die Prügelszene Zazas mit der Neben¬
Mitwirkenden fügten sich mit mehr oder minder Geschick in das
buhlerin Floriane unerträglich, wenn die Künstler es nicht verstehen
Ensemble. Die Regie, die Herr Eggeling führte, war gut. Sehr
Maß zu halten. Hier darf nicht mehr gegeben werden, als unbedingt
stimmungsvoll war der Schluß=Akt vor dem Theater. Im Schein der
zur Charakteristik notwendig ist. Die besten Momente hate Irene
Gaslampe Zazas Wagen, der die Geseierte stolz davon führen soll und
Triesch in den Liebesszenen mit Dufresne. Feuer, Leidenschaft und
am Eingang wie ein Bettler der Mann, der sie
verriet,
Grazie, aber doch ein wenig zu fest zupackend in den Haupt¬
ihrer harrend mit klopfendem Herzen, nur noch einmal sie zu sehen,
momenten der Rolle, die hauptsächlich im Unausgesprochenen liegen.
die einem schimmernden Traum gleich von dannen fliegt — für immer.
So ging beispielsweise der sonst so sehr wirkungsvolle dritte Akt, wo
Irene Triesch wurde sehr gefeiert. Die interessante Künstlerin auch in
Zaza zu Dufresnes Gattin kommt, entschlossen, für ihr Glück zu
anderen Rollen zu sehen, beispielsweise als „Nora“ dürfte ein be¬
kämpfen und selbst das äußerste zu tun, in der großen Szene mit
rechtigter Wunsch vieler sein, die Gelegenheit hatten, diese eigenartige,
Dufresnes Töchterchen fast ganz verloren. Die wilde Leidenschaftlichkeit
temperamentvolle Gastin kennen zu lernen.
Anny Wothe.
von der Frau des Hofes, der freundlichen Mutter Jörns, zutraulich
Frauengestalten aus Frenssens
und gut behandelt worden — diese freundliche Güte hat die Magd nie
„Jörn Uhl.“
vergessen. So jung sie auch noch war, hatte Wieten keine rechte
Jugend mehr kennen gelernt; sie blieb verschlossen und oft verdüstert,
Von Annelise Messow.
war „hintersinnig“ und besaß die unglückliche Gabe, böse Ereignisse
Wohl selten ist ein Werk so schnell und fast allgemein gelesen
voraus zu sehen oder zu ahnen. Diese Eigenschaften hatten ihr auch
und vielgerühmt worden wie Gustav Freussens „Jörn Uhl“, selten
den Spottnamen Wieten Klook eingetragen. — „Wieten muß bei den
wohl — und ganz besonders in der neueren Literatur — berührt aber
Kleinen bleiben,“ mit diesen Worten sucht sich die in ihrer größten
auch ein Buch so tief und warm. Ist es nicht oft, als seien unsere
Not von ihrem Manne verlassene Frau das Sterben leichter zu
eigenen innersten Gedanken und Gesühle offenbart, einfach und klar
machen. Der Bauer, der behäbige, lachende Klaus Uhl, wird den kleinen
ausgesprochen, was man dunkel empfunden haue? Das sind individuelle
Jörn und dem jungen Wesen, das geboren werden soll, keine Stütze
Menschen, die da reden und handeln, auerdings kluge, philosophisch
im Leben sein, das weiß die Sterbende wohl; sie findet nicht eher
angelegte Naturen, wie man sie aber gerade bisweilen auf dem Lande
Ruhe, als bis ihr Wieten, die Zuverlässige, in die Hand versprochen
antrifft: nur wenig berührt vom modernen Zeitgeist und manchmal
hat, bei den Kindern zu bleiben. Mit diesem Versprechen bringt die
vielleicht ein wenig zu ideal — aber nachdenklich, „hintersinnig“
Magd ein großes Opfer: verzichtet sie doch damit auf ihr eigenes
und originell. — Das Buch ist so recht mit Liebe geschrieben; warme,
Lebensglück, das sie in Dietrich, dem Großknecht auf der Uhl, zu finden
stolze Liebe für Heimatland und Leute spricht sich in jeder Persön¬
gehofft hatte. In ihrer ruhig verständigen Art setzt sie ihm kurz
lichkeit aus, und deren gibt es gar viele in „Jörn Uhl“. Von der
auseinander, warum sie ihn nicht heiraten könne, und er „tröstete sich
stark ausgeprägten Persönlichkeit des Helden selber sowie seines Intimus
bald und ist ein Junggeselle geblieben.“
— So ist Wieten Wirt¬
Fiete Krey, Thieß Thiessen und anderen Freunden will ich abstehen und
schafterin auf der Uhl geworden und hat ihre schwierige Stellung zu
nur die Hauptpersonen unter den Frauengestalten zu charakterisieren
behaupten gewußt, auch dem steis sorglos lachenden Bauern und den
versuchen.
erwachsenen leichtsinnigen Söhnen gegenüber, die sie gelegentlich als
Wieten Penn, die aufopfernde, treue Seele, verdient wohl
dumme, unfertige Jungen abzukanzeln verstand. Was sie dem früh¬
an erster Stelle genannt zu werden. „Unverständige Menschen gaben
reifen Jörn und der wilden kleinen Elsbe war, zeigt sich deutlich an
ihr den Namen Wieten Klook und taten das ihre, daß sie sich in sich
einem Beispiel aus deren Kindheit, wo sich die beiden altklug darüber
selbst einschloß.

Ein armes Waisenkind, verrichtete sie schon als
unterhalten, was eine Mutter eigentlich täte, und warum nur sie keine
ganz junges Ding geringe Dienste bei einem Bauern, unter dessen Ob¬
hätten? Da macht Jörn den Vorschlag, Wieten bei nächster Gelegen¬
hut sie von der Armenverwaltung gestellt worden war. Gar Wunder¬
heit „Mutter Klook“ zu nennen! — So schön wie Wieten weiß nie¬
bares hat das junge, warm empfindende Kind auf diesem Bauernhofe
mand den Kindern zu erzählen, und es ist kaum zu glauben, daß es
kennen gelernt, wo nüchternes Vorwärtsstreben und phantasievolle
außer Jörn, „der garnichts glaubt“, noch iemanden gab, der „immer
Schwärmereien, sichere, kalte Berechnung und zaghafte, träumerische
alles besser wissen wollte“ nämlich Theodor Storm. Doch wie schwer
Weichheit Hand in Hand gingen. Der Bauer kümmerte sich um Frau
trifft sie Fiete Kreys Vorwurf, daß sie ihm mit all ihren seltsamen
und Kinder nur wenig; die reiche Bauerntochter war dem damaligen
Erzählungen die „Nücken“ in den Kopf gesetzt hätte, um deretwillen er
Knecht ihres Vaters in ihrer Leidenschaf lichkeit zu sehr entgegen¬
den Hof verlassen muß! Wie konnte sie denken, daß der praktisch an¬
gekommen, hatte ihm später in der Ehe zu wenig Frauenstolz gezeigt,
gelegte Junge diese alten Geschichten wie Spaten und Kälberstock hank¬
sodaß sie zeitlebens eine einsame, ungeliebte Frau geblieben war. Ihre
haben würde, um sie in der hellen Sonne über den Hosplatz zu
Kinder, ein Mädchen und ein Knabe, arteten nach der schwachen,
schreien?“ Ihr schwerblütiges Temperament konnte sich lange nicht
schwärmerischen Mutter, die die Erziehung fast allein in Händen
der Gedanken an den verlassenen Knaben entschlagen, in dessem Kopf
hatte; ganz besonders wurde der sonst so begabte Knabe ein nervöser,
es doch gar zu bunt aussah, und „sie weinte leise.“
Seit diesem
willenloser Träumer, der nach dem Tode der Mutter, voller Ein¬
Tage wurde Wieten noch stiller, und ihie unheimliche Gabe, längst
bildungen und Visionen wie er war, bald ein schreckliches Ende sand.
vergangene Menschenschicksale vor ihrem Geist auftauchen zu sehen,
Die Tochter hatte doch mehr von dem praktischen Sinn des Vaters ge¬
schien noch zuzunehmen. Erst im späteren Alter, als sie ein friedvolles
#erbt und ist bei fleißiger, häuslicher Arbeit und ohne den vielsach un¬
Leben in Jörns Familie fand, gewann sie Ruhe vor derartigen Er¬
gesunden Einfluß der Mutter sicher noch mit ihrem Seemann glücklich
Keiner verstand es besser wie sie, Jörn richtig zu
geworden, obschon sie seine

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