II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 499

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Lob ist dem Guten ein Sporn, dem Bölen ein Dorn.
Leipziger Schauspielhaus.
Morgen tagt, gehört das Leben noch ihnen, an Filippos Herzen will
sie dem Morgen entgegenträumen. Und der Dichter füllt die Becher,
Der Schluß der Saison des Leipziger Schauspielhauses gestaltet
und sie trinken daraus, und als Beatriee den Kelch geleert, da sagt ihr
sich überaus glänzend. Zuerst das interessante Sarah Bernhardt
Gastsp
Filippo, daß er ihr Gift gereicht. Wie ein Schlag wirkt seine Eröffnung
, dem sich unmittelbar das von Irene Triesch vom
auf Beatrice.
Deutschen Theater in Berlin anschließt, und zuletzt zu Pfingsten die
Uebermächtig erwacht in ihr der Drang zum Leben. Sie, die
Aufführung von Paul Heyses Maria von Magdala mit Frl.
sterben wollte freien Willens, mit Bewußtsein, sieht sich gewissermaßen
Immisch vom Landestheater in Prag in der Titelrolle. Das Gast¬
aus dem Hinterhalte gemordet. „Ich hasse dich“, ruft sie voll Todes¬
spiel von Irene Triesch machte uns aber nicht nur mit einer
grauen und Furcht Filippo zu, und dieser erkennt, auf welch schwanken
interessanten Künstlerin bekannt, sondern es übermittelte uns auch die
Füßen die Liebe Beatricens steht. Da nimmt er den wirklichen Gift¬
Bekanntschaft des neuesten Schauspiels von Arthur Schnitzler,
becher und setzt ihn an die Lippen und sinkt tot zu Boden. Beatriee
„Der Schleier der Beatrice.“ Warum uns der Dichter hier
aber stürzt, von Grauen gepackt, zurück zum herzoglichen Palast. Man
ein „Renaissance=Drama“ auftischt, ist eigentlich unerfindlich, denn das
hat sie vermißt, man hat sie gesucht, und der Herzog verlangt Rechen¬
ganze Sück scheint nur geschrieben zu sein, um eine Weibnatur zu
sest, wo sie gewesen. „In der Kirche“, gibt sie zur Antwort. Man
schildern, die eigentlich unbegreiflich erscheint, und die doch so lebens¬
beweist ihr, daß es Lüge ist und verlangt die Wahrheit zu wissen. Aber
wahr ist mit all ihren Fehlern und Schwächen, daß man sie
sie kann und will keine Auskunft geben. Da vermißt der Herzog an
recht gut in unsere moderne Zeit verpflanzen könnte. Hätte der Dichter
seiner Gattin den Schleier, das kostbare Geschenk, das er ihr gemacht.
das getan, so hätte er sich aber all das romantische Beiwerk schenken
„Hole den Schleier“, gebietet er, „und alles sei dir verziehen.“ Beatrice
müssen, das er brauchte, um die ganze Handlung glaubwürdig er¬
veigert sich, denn sie weiß, der Schleier liegt bei Filippos Leiche. Da
scheinen zu lassen. Was tut man nicht alles einem schönen Weibe zu
überantwortet der Herzog sie seinen Hofleuten zum Gericht. Sterben
Liebe, und der Dichter hat viel Liebe für seine Heldin und ein so
soll sie, aber Beatriee hat eine unglaubliche Furcht vor dem Tode, und
seines Verständuis für das spezifisch Weibliche, daß wir ihm gern in
während schon die Schergen sie fassen, fleht sie um Gnade, sie selbst
die Irrgänge des Herzens seiner Beatrice folgen. Die Haupthandlung
des Stückes ist folgende:
will den Herzog dahin führen, wo der Schleier ist. Und sie kommen in
Filippo Loschis Haus, und Beatrice findet den Schleier und der Herzog
Filippo Loschi, ein gefeierter Dichter Bolognas, der mit der
des Dichters Leiche. Aber wie Frieden und Erlösung überkommt es
Tochter einer vornehmen Familie verlobt ist, entbrennt in heißer Liebe
plötzlich Beatriee, alles Todesgrauen ist von ihr gewichen, als einzige
zu Beatrice, der Tochter des Wappenschneiders Nardi. Auf der Straße
Wohltat erscheint ihr jetzt der Tod an Filippos Seite. Ihr Bruder
hat er sie gesehen und sie, die sechzehnjährige, ist ihm in sein Haus
Francesco führt mitleidig den Todesstreich, um sie zu entsühnen von der
gefolgt, bereit, mit ihm aus der belagerten Stadt zu fliehen, um ihm
großen Schuld und ihre Ehre rein zu waschen von dem Makel. Der
ganz zu gehören, ihm, den sie kaum kennt. Vergessen ist die Braut,
Herzog aber preist noch im Tode den Dichter, dessen Liebe auch Beatrice
der Filippo Treue geiobt, und die jetzt am Sterbebette ihrer Mutter
geadelt hat, und geht siegesmutig Cäsare Borgia entgegen, der vor den
weilt, allein in Gram und Verzweislung. Vergessen hat er Ehre und
Toren Bolognas steht.
Pflicht, er will nur eins, Beatrice!
Die Geschehnisse einer einzigen Nacht, die uns der Dichter hier
Beatrice ist ein Kind. Ein süßes, vertrauendes, aber auch ver¬
in diesem Drama bietet, sind zu gedrängt und überstürzt für eine
langendes Kind. Im Vaterhaus ist sie heimatlos, ihre Sehnsucht nach
wirkungsvolle Tragödie, aber Schnitzler motiviert das am besten durch
Unbegreiflichem, Wunderbarem läßt sie nicht Wurzel schlagen, sie will
den Schlußsatz des Schauspiels, indem er den Herzog sagen läßt:
fort in unbekannte Fernen, wo das Glück wohnt. In schwärmerischer
„Die Fülle ist das Leben, nicht die Zeit
Verzückung läßt sie den Dichter einen Einblick tun in ihre verlangende
Und auch der nächste Augenblick ist weit.“
Seele. Geträumt hat sie, einen seltsamen Traum. Der junge Herzog
Wie man nun auch über Aufbau und Handlung des Schnitzlerschen
von Bologna, der sie jüngst auf der Gasse, geblendet von ihrem Lieb¬
Stückes denken mag, welche Mängel ihm auch anhaften mögen, eines
reiz, vor allen anderen Mädchen gegrüßt, führe sie an der Hand durch
bricht immer wieder siegreich daraus hervor, eine wundervolle, echt
hohe, dunkle Mauern, über denen flammend rote Wolken standen, in ein
dichterische Sprache, eine Fülle von tiefen Menschheitsgedanken, die uns
Gemach mit grünen Lichtern. Und sie läge auf einem Ruhebelt und
zeigen, welche Schätze die Schnitzler'sche Muse zu verschenken hat.
der Herzog beuge sich über sie, um sie zu küssen. Entsetzt hört Filippo
Die Aufführung war gut vorbereitet und durch Herrn Reg'sseur
diesem verzückten Geplauder zu, das ihm sagt, daß nicht sein Bild allein
Eggeling vortrefflich insceniert. Eine ganz eigenartige, hochin¬
ihre Seele erfüllt, sondern daß, wenn auch vielleicht unbewußt, andere
teressante Leistung bot der Gast des Abends, Irene Triesch, als
Wünsche in ihrer Brust schlummern, die ihn mit Grauen erfüllen.
Beatrice. Die ganze Erscheinung der Künstlerin deckte sich sehr
Empört stößt er Beatrice von sich. Zuerst versucht sie durch Schmeicheln
glücklich mit der Gestalt, die der Dichter uns zeigen wollte. Besonders
den Geliebten zurück zu gewinnen, aber vergebens, er weist sie aus
gut gelang der Künstlerin das „Visionäre“ im ersten Akt und die halb
dem Hause und von seinem Herzen. Filippo versucht zwar sich mit dem
unbewußte Kindlichkeit, die über der slammenden Leidenschaft liegt. Und
leichtfertigen Getändel zweier berüchtigter Courtisanen zu trösten, aber heim¬
dann das Siegeslächeln in den großen strahlenden Augen als sie be¬
lich hofft er auf Beatrices Wiederkehr. Sie kommt auch, das wilde,
gehrend die Hand nach der Herzogskrone ausstreckt. Ein leidenschaft¬
schwärmerische Kind, aber anders als Filippo gedacht. Gebrochen, verzweifelt
liches, siegesgewisses Weib, das kindlich lächelnd über Leichen schreitet.
ist Beatrice, nachdem Filippo ihr den Lauspaß gegeben, heimgekehrt zu
Zuweilen lag die Lüsternheit einer Salome, die Grausamkeit einer
ihrem halbverrückten Vater, der lasterhaften Mutter und der heimtückischen,
Indith in dem bleichen Gesicht, und dann war es wieder als fliege ein
lüsternen Schwester. Ihr Bruder Francesco muß morgen hinaus ziehen um
Schimmer darüber hin, ein goldner Schimmer von Unschuld und Rein¬
zu kämpfen, denn Cäsare Borgia steht vor den Toren Bolognas und be¬
heit Irene Triesch ist eine ganz ausgezeichnete Künstlerin und ihre
droht die Stadt. Ihm bangt davor Beatrice allein zu lassen, unbewacht, un¬
Beatriee wird gewiß stets eine ihrer Glanzrollen bleiben. Wie verstand
beschützt und er bittet und beschwört sie, ihre Hand in die seines
sie es beispielsweise rein mimisch die Furcht und das Todesgrauen
Freundes und Gehilfen des Vaters, Vittorino zu legen, der Beatrice
wiederzugeben, als sie glaubt, den Gistbecher gelernt zu haben
schon lange liebt, und Beatriee, der alles gleichgiltig geworden ist, seit
und dem Tode verfallen zu sein. Und zuletzt, als sie Grauen packt
dem sie den Geliebten verloren, willigt ein, die Gattin Vittorinos zu werden.
vor dem Entsetzlichen, ihre Hochzeitsnacht neben Loschis Leiche zu halten,
Diese ganze Episode ist ein arger Mißgriff des Dichters. Wenn
wie verändern sich da ihre Züge, ihr ganzes Sein, ihre ganze Gestalt.
er durch das Einschieben derselben die Wankelmütigkeit Beatrices
Das kostbare Brautgewand, die schimmernden zerstreuten Orangenblüten
kennzeichnen wollte, so war das überflüssig, denn dadurch, daß
in dem dunklen Haar, die der Erscheinung einen so eigenen Reiz ver¬
sie sich eine kleine Weile später dem Herzog zuneigt, ist schon eine
leihen, alles verblaßt vor den flammenden Augen, die nun endlich den
genügende Charakterisierung gegeben. Zweimal dasselbe tun, hebt be¬
Weg sehen, den Beatrice wandeln muß, zum Tode. War die Leistung
kanntlich die Wirkung wieder auf.
Es hat fast den Anschein, als
von Irene Triesch nun in jeder Weise eine Musterdarbietung, so
wollte der Dichter Geschehnisse auf Geschehnisse häufen, um so den
läßt sich dasselbe leider von ihrem Partner, dem Dichter Loschi (Herrn
inneren Mangel an Handlung zu verdecken. Der Herzog kommt die
Grevenberg) nicht sagen. Der Künsler nahm den Loschi zu
Gasse entlang, und als er Beatrice erblickt, erkennt er in ihr das schöne
schwer, zu verschwommen und gab ein ganz unsympathisches Bild
Mädchen, das er schon einmal geschaut. Seine Sinne heischen ihrem Be¬
des Mannes, der doch an und für sich ein Held ist und nur an seiner
sitz für die nächste Nacht. Beatriee sieht ihren Traum Wirklichkeit
eigenen Rechtlichkeit zu Grunde geht. Wohl schwankt er in all seinen
werden, und lächelnd fordert sie nicht nur das Herz des Fürsten,
seelischen Konflikten hin und her, aber es ist doch nicht nötig, daß der
sondern auch seine Hand. Alles ist entrüstet über dieses kecke Begehren,
Darsteller auch in der Auffassung der Rolle schwankt und uns einen
nur der Herzog ist entslammt und befiehlt, daß der Kardinal noch diese
launischen Grillenfänger auf die Bühne stellt, für den man gar keine
Nacht ihn und Beatriee vereine. Vittorino, der Augenblicksverlobte,
Sympathie hegt und dessen Sterben man schließlich als eine Wohltat.
geht hin und ersticht sich, was ebenso überflüssig war, wie sein Dasein,
empfindet. Sehr gut war Herr Mauren als Herzog Bentivoglio. Er
und Beatrice wird des Herzogs Weib. Sie hat nun alles, was ihre
gab dem Fürsten einen schwärmerisch=poetischen Zug, der milde über der
kindische Seele erträumt, aber an der Seite des Herzogs erwacht
Herrschererscheinung lag, und es begreiflich machte, daß der Herzog
die Sehnsucht nach dem Geliebten übermächtig und sie stürzt fort
den Nebenbuhler noch im Tode ehrte. Gut waren Heir Vollmer
von dem Hochzeitsfeste, zu Filippo. Leidenschaftlich umsängt sie
als Francesco, Herr Forsch als Vater Nardi und Herr Eggeling
dieser. Es muß einen Ausweg geben, der ihn und die Geliebte
als Graf Androa. Frl. von Fontelives stummes Spiel als
für immer eint, Beatriee aber sagt ihm, daß sie nicht gekommen
Teresina, der unglücklichen Braut Filippos, die in Wahnsinn ob
ist, mit ihm zu leben, sondern um mit ihm zu sterben. Aber bis der
seines Treubruchs verfällt, erregte Interesse. Frl. Anders und