II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 513

14: Der Schleien der-Beatrice
Schluß: das Leben ist ein sinnloses Zufalls=Spiel; das Weib ist
ein Kind, das nicht weiß, was es tut; der Mann läßt sich trotzdem
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von ihr den Kopf verdrehen und kann, wenn er hinter ihre Be¬
trügereien kommt, nicht besseres tun, als ihr verzeihen.
Da ist Beatrice, des Steinschneiders Nardi Tochter. Die be¬
tört eines Abends vor den Toren Bolognas den Dichter Filippo
Loschi so, daß er über sie alles vergißt: seine Kunst, seine Liebe,
für Zettungs¬
die gefährliche Lage seiner Vaterstadt, die der Borgia belagert.
Aphie.
Er will mit ihr entfliehen und nur seiner Liebe leben. Da er¬
zählt sie ihm, daß der Herzog sie auf der Straße gesehen und
ats 4.
lange angeblickt, und daß sie dann geträumt habe, sie sei des
Herzogs Gemahlin. Darob braust Filippo auf und weist ihr die
Weland, Christianl.
Tür. Sie geht nach Haus durch die Stadt, die voller Erregung
land, Minnespelle
dem nächsten Tag entgegen sieht, an dem der Herzog dem Borgia
ckholm, St. Peters
die Entscheidungs=Schlacht liefern will. Kaum ist sie angekom¬
men, so verlobt sie sich auf Drängen ihres Bruders mit Vittorino,
dem Gesellen ihres Vaters und will sich alsbald mit ihm trauen
lassen. Aber auf dem Wege zur Kirche begegnet ihr der Herzog
abermals, begehrt sie erst zur Geliebten und dann zum Weibe.
Sie läßt Vittorino stehen und folgt den Herzog zum Trau=Altar.
unesaneümt
Dann aber flieht sie im Brautschleier zu Filippo, um sich ihm für
eine Nacht zu schenken und dann mit ihm zu sterben. Filippo
stellt sie auf die Probe, indem er ihr einen Becher Wein reicht
M. L.
und, nachdem sie davon getrunken hat, vorgibt, der Wein sei
vergiftet gewesen. In blasser Todesangst beschimpft sie ihn.
lhaus.
Da leert er selber den Giftbecher und stirbt. Von der Leiche
flüchtet sie in den Herzogs=Palast, wo man über ihr Verschwin¬
ur Scuisles
den außer sich ist. Sie lüügt, sie sei in der Kirche gewesen. Da
kologna, zu Beginn des
bemerkt der Herzog, der argwöhnisch gemacht ist, daß sie den kost¬
er nicht wahr. Weder
baren Schleier verloren hat und fordert sie auf, diesen zu holen.
wird, noch haben die
Entsetzt weigert sie sich, im Gedanken, daß sie dann den toten
kalienischen Geist und
Filippo wiedersehen müsse. Der erzürnte Herzog übergibt sie
kem durchaus ablehnen¬
seinen Räten zur Aburteilung, die über sie das Todesurteil
nnehmen, der Dichter
sprechen. In wahnsinniger Angst erklärt sie sich nun bereit, den
Wesen der Rengissance
Schleier zu holen, wenn man ihr das Leben schenkt. Der Herzog
el zu weich wären ihm
begnadigt sie und geht selbst mit ihr in das Haus, wo er den
lektierend und viel zu
Toten findet und ihre Untreue entdeckt. Aber milde und gelassen
nau Hinzusehen: schon
will er sie ihren Eltern zurückgeben, da springt ihr Bruder dazu
nhorchen läßt uns er¬
und ersticht Beatriee.
Jahrhunderts nur eine
ten gesteckt hat, und daß
Um diese raffiniert ausgeklügelte Handlung hat Schnitzler
ichts anderes sind als
noch eine ganze Reihe Nebenhandlungen geschlungen, die zumeist
er sie in der Liebelei,
im Ansatz stehen geblieben sind, sodaß man sich für sie nicht er¬
bildert hat. Und auch
wärmen kann. Aber auch die Haupthandlung selber, das uner¬
sches von der Kraft der
klärliche Hin= und Hertaumeln der Heldin zwischen drei Männern
dernen Weisheit letzter] macht einem das Herz nicht warm. Das Intersse, das man für
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diese Beatrice aufbringen kann, erhebt sich wenig über das, mit
dem man im Variété einer schwierigen Akrobaten=Nummer folgt
oder im Zoologischen Garten ein absonderliches Tier betrachtet.
Je weiter die Handlung fortschreitet, desto weiter rückt Beatrice
und ihre Umwelt von uns ab, desto fremder fühlen wir uns
ihnen, desto mehr erscheinen sie uns als Schemen, die der Dichter
wohl heraufbeschwören, aber nicht mit menschlichem Blut tränken
konnte. Für äußerliche Spannung ist überreich gesorgt und der
Wohllaut der gefeilten Verse ist angenehm fürs Ohr. Aber mit
jeder Szeue drängt sich einem die Ueberzeugung auf, daß der
Dichter hier mit dem Kopf, aber nicht mit dem Herzen geschaffen
hat, und man bleibt all dem bunten Hin und Her gegenüber kühl
bis aus Herz hinan.
Dr. Hagemann hatte das Stück glänzend in Szene ge¬

setzt und ein Zusemmenspiel geschaffen, das wirklich durchweg
zusammenklang und in dem jede, auch die kleinste Rolle zu er¬
freulicher Wirkung gebracht wurde. Vielleicht hätte das Tempo
gelegentlich etwas schneller genommen werden dürfen: je weniger
dem Zuschauer Zeit zum Nachdenken gelassen wird, desto besser
für dieses Stück. Die Glanzleistungen des Abends waren der
Herzog des Herrn Wagner und die Beatrice des Fräulein
Valéry: jener ganz adelige Kraft, diese ganz rührende Hilf¬
losigkeit. Ihnen zunächst stand Herr Montor als Filippo
Loschi. Aus der langen Reihe des etwa fünfzig sprechende Per¬
sonen aufzählenden Theaterzettels seien hier wenigstens die
Damen Doré, Schneider, May, Rheinen, Bauer und
Heydorn, die Herren Blankenstein, Wlach, Lang,
Pichler, Kallenberger, Stettner, Gebhardt und
Freiburg hervorgehoben, die ihre Rollen charakteristisch zu
verkörpern wußten. Das Interesse des Publikums war anfäng¬
lich sehr gespannt. erlahmte aber im Verlauf des Abends so,
daß nach dem vierten Akt auch nicht eine Hand sich rührte. Der
Beifall, der zum Schluß vernehmbar wurde, galt wohl weniger
dem Stück, als der vortrefflichen Darstellung.
C. M.-R.


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