II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 519

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14: Der Schleier der Beatrice
Filippo „der vowgnesische Per., 1.2. das Tochtertem
von raffiniert gewähltem Buntgestein, das sich dem Bilder¬
eines Wappenschneiders drei Tage, drei Nächte lang. Aber
bogen anzupassen hatte, gelang das schwer; Puccini griff
Beatrice fühlt ihre Untreue voraus. In einem Wahr¬
dort am Ende gierig nach dem Stück Landes, wo er stohen
traume sieht sie sich als Gattin des Herzogs. Der
kann: da, wo es schwül erotisch durchklingt. Später läßt
empörte Dichter, der die Schmach dieses Wahns als Wirk¬
er uns öfter aufhorchen, bei düsterem Farbenauftrag zu¬
lichkeit empfindet, jagt die „Dirne ihres Traums“ aus
meist. Da gibt es packende, große Stellen, bunt gemischt
seinem Hause hinaus. Der Wahn wird Ereignis. Der
mit seichten Zugeständnissen. Die Oper ist für den Sedan¬
Herzog, der die Schönsten seines Landes zu einer Liebes¬
tag kein passendes Präsent. Die oft schneidend scharfe,
nacht laden läßt, reicht dem sechzehnjährigen Kinde den
schrille, grausame Handlung und das mit scharfem Gewürz
hochzeitlichen Schleier. Als Herzogin stiehlt sich die Kleine
ausgestattete italienische Pasticcio, das mit groben Im¬
im Trubel der festlichen Brautnacht zu ihrem verein¬
pastos versehene Schauergemälde als Nachblute des Ve¬
samten Geliebten, um mit ihm zu sterben. Aber es zeigt
rismus — es hält sich lange bei uns. Frau Winternitz¬
sich, daß sie mit dem Todesgednaken nur leichtfertig ge¬
Dorda gibt der Frau Schmetterling ihre Vorteile als
spielt. Zum zweiten Male enttäuscht und angewidert,
eminenie Darstellerin warmblütiger Frauen von zarter,
greift Filippo zum Giftbecher. Bealrice wankt in das
tiefer Seele. Diese bedeutsam musikalische Sängerin und
Schloß zurück. Neue Lebenslust gibt ihr den Mut zu
Darstellerin von stärkstem Instinkt verbindet stets geschickt
neuen Lügen. Aber der Herzog will Wahrheit. Man
das Stark=Persönliche und Allgemein=Menschliche und Echte
zwingt sie, den verlorenen Schleier zu suchen; man findet
mit dem Künstlerischen, sei er erworben oder als Natur¬
ihn im Schlafgemach des toten Dichters. Der Herzog
zeschenk beachtenswert. Niemals ist da gewollt Glattes,
möchte verzeihen, weil er durch ein voreiliges Wort ge¬
das an Außenfrisur gemahnt.
Das kommt von
bunden ist. Aber Beatricens Bruder zückt seinen Dolch.
innen und vermag die Oper zu tragen, mit warmem
Die verführte Verführerin sinkt nieder. Und ganz
Lebensatem anzufachen. Die amerikanischen Besonderheiten
Bologna wendet sich dem anstürmenden Cesar Borgia zu,
des Kanonenbootsführers Linkerton hatte der neue Herr
der die Stadt mit Feuer und Schwert bedroht.
Hansen darzustellen, der aus Amerika zu uns gelangt sein
Eine Fülle der tiefsten und intimsten Probleme be¬
soll. Ein lyrischer Tenor mit besonders kleinen Mitteln, die
herrscht dieses Drama, das vor zehn Jahren (1901) in
denen seines Vorgängers im lyrischen Fach sogar nachstehen,
Breslau zum ersten Male gegeben und dann (1903) im
zu klein für das Haus und in exponierten Rollen zu belang¬
Berliner Deutschen Theater unter Otto Brahm zu un¬
los nach Resonanz und Ausdrucksmöglichkeiten. Den ledernen
vergessenen Wirkungen (Rittner, Triesch, Kayßler) erhoben
Konsul, der so wenig Opernhaftes und Komponierbares zu
wurde. Einer speziellen Analyse stellt sich der Raum¬
zu sagen hat, gab gewandt Herr Wiedemann, andere waren
mangel unseres heutigen Blattes entgegen. Darum sei
auch noch am gleichen Platz. Nur den fächergewandten Lebe¬
auch nur flüchtig konstatiert, daß die Regie des Deutschen
menschen gab als neu Herr Windgassen, der eine hübsche
Schauspielhauses den szenischen Charakter des Werkes
Stimme durchblicken lassen konnte in seiner größeren Szene.
lediglich im Sinne des typischen „Renaissancestücks“ à la
Die von Herrn Selberg als Dirigenten sorgsam behandelte
„Monna Vanna“ auf bunt und prunkvoll drapierte Bretter.
Oper, in der es — vermutlich infolge mangels einer Ver¬
gestellt hat. Die Darstellung suchte sich besonders auf
ständigung — einmal doch zu einem, für die meisten sicher
Carl Wagner, Elsa Valéry und Max Montor zu stützen.
unmerklichen Versehen gekommen ist, gefiel auch diesmal. —
Der kräftige Beifall des starkbesuchten Hauses kam allen
Die Don Juan=Darstellung vom Sonntag war in den
schauspielerischen und regiekünstlerischen Absichten Carl
Einzelleistungen zu ungleich, um als „neu einstudiert“ gel¬
Hagemanns in der willfährigsten Weise entgegen.
ten zu können. Man hatte in der kurzen Zeit des Bei¬
Anton Lindner.
sammenseins das nur alle drei Jahre hier einmal beachtete
Werk „eingeübt“ könnte man sagen. Die letzten Hinder¬
nisse ergeben sich dann von selbst aus dem fast überall ein¬
gerissenen Mangel an ersten Mozartkünstlern. Herr Win¬
Kunst= und Wissenschaft.
ternitz hatte die Oper vorbereitet und doch, trotz einer
überall bemerkbaren Genauigkeit der Arbeit, den Stil nicht
Stadttheater. Die Butterfly=Operngeschichte
rein durchführen können. Daß der Grund auch an der
Puccinis, so sehr sie mit einer Fernwelt liebäugelt und
fehlenden Homogenität des Vereins liegt, ward schon be¬
an große östliche Ereignisse pfiffig anzuknüpfen für gut
merkt. Die Leistung des Abends, die das stärkste, nach¬
fand, ist im Grunde eine ganz welsche Affäre. Im ersten
haltigste Interesse erheischen konnte, war die Anna von
Akt ein greller Bilderbogen, wo allerlei Kleines sich drängt
Frau Pfeil=Schneider, die sowohl als Stimmbesitzerin mit
und ablöst, gelehrsam fast, bis zur Kleinlichkeit im Be¬
Weichheit oder Energie der Entfaltung, wie als mit drama¬
mühen, ein östliches Ausstattungsstück mit ethnographischem
tischem Instinkt bedachte Künstlerin in der Aufgabe — ins¬
Vielerlei zu bieten. Der musikalische Mantel ist, selbst mit
besondere in den gefürchteten Arien — sich zu entfalten
dem japanischen Instrumeni, das die Partitur vorschreibt,
wußte. Hätte die Elvira, von Frau Winternitz=Dorda erst¬
ein bauschiges Gewand; oft armselig, wenn wir die konkrete
mals hier gegeben, mehr Festigkeit der Tongebung gezeigt,
Substanz untersuchen. Und in Puccinis neuerer Richtung
dann käme sie ohne Einwand an die zweite Stelle des
ist das Opus doch ein Martstein; er suchte dem breiten
Interesses. Von Herrn Marak als Octavio nehmen wir
melodischen Strome wieder Eingang zu verschaffen. Im
iersten Akt, bei vorwiegend Illustrationsmusik, bei Mosaik“ an, daß er die Rolle nicht oft deutsch sang und daß darin