II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 552

14. Der Schleier der Bestrice
Hamburgischer Correspondent
n Mai 4095
Arthur Schnitzlers
„Schleier der Beatrice“.
(Zur Uraufführung im Wiener Burgtheater.)
Wien, 28. Mai.
Dieses Werk Arthur Schnitzlers ist an die fünfundzwanzig
Jahre alt. Und als es Schnitzler schrieb, da dachte er an Josef
Kainz, der ihm aber ein Refus gab. Zwischen dem Dichter
des „Anatol“ und dem Burgtheater trat damals eine Ent¬
fremdung ein und das Fazit war, daß alle späteren Werke das
Deutsche Volkstheater erhielt. Dieses Renaissancedrama blieb
aber in Wien weiter unaufgeführt (ich glaube, daß man es in
Berlin vor ein paar Jahren spielte), bis es Paulsen, damals
Direktor des Burgtheaters. vordrei Jahren für das Burg¬
theater zur Aufführung annahm . Nun hat es endlich das
Rampenlicht erblickt und die Frage liegt nahe, ob diese an sich
verspätete Aufführung eine Notwendigkeit war, Nicht un¬
erwähnt bleibe, daß ja inzwischen aus dem Jambendrama eine
Pantomime gedrechselt wurde, zu der Dohnany die Musik ge¬
schrieben hat und die als „Der Schleier der Pierette“ mit der
Galafrés im Deutschen Volkstheater einen starken Erfolg
hatte. Die Uraufführung am Burgtheater wurde keine Sen¬
sation und auch keine große Sache, weil mit Burgtheater¬
jugend allein ein immerhin schauspielerisch so schwer zu be¬
wältigendes Werk nicht genügend publikumswirksam heraus¬
gebracht werden kann. Sie alle, ob man nun Hilde Wagener
nennt, die die Beatrice zu spielen hatte, oder Herrn Aslan,
dessen schauspielerische Fadesse allmählich auf die Nerven zu
geben beginnt (warum sagt ihm das nicht einmal die Wiener
Kritik frei heraus?), oder Herrn Andersen, sie alle blieben
in ihren Absichten stecken. Unbestreitbar hat das Werk Schnitz¬
lers Qualitäten, aber keineswegs solche, daß man nicht auch die
großen Fehler herausmerken würde. Diese Beatrice erinnert
in ihrer Jugendlichkeit und mit ihrer erotischen Veranlagung
lebhaft an Wedekinds Lulu, und was die Handlung betrifft, so
wird man oft und oft während des Abends an Maeterlincks
„Monna Vanna“ erinnert. Natürlich ist das Stück Schnitzlers
weder Wedekindisch noch in der Art Maeterlincks, es hat schon
ein eigenes Gesicht, aber dieses ist leider nicht prägnant genug,
um eines Arthur Schnitzler würdig zu sein. Das Premieren¬
publikum ging in seiner Noblesse über alle Bedenken hinweg
und spendete dem Dichter und den Darstellern Beifall. Daß
Direktor Herterich in höchsteigener Person die Regie führte,
war sehr nett, aber eher ein Nachteil als ein Vorzug für das
Werk.
I.
box 20/6
8 Uhr Abendblatt, Berlin
Juni 4025
Wiener Theater.
Drahtbericht unseres Korrespondenken.
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Wien, 4. Juni.
Direktor Herterich vom Burgtheater ist nachzurühmen, daß
er die Schulden seiner Vorgänger einlöst. Im Jahre 1924 drängte
Hugo Thimig, der damalige Burgtheaterdirektor, Ludwig Fulda,
Ibsens „Peer Gynt“ zu übersetzen. Die Aufführung der
Fuldaschen Bearbeitung erfolgte, wie erinnerlich, erst vor wenigen
Wochen. Vor 25 Jahren hat Paul Schlenther Arthur Schnitz¬
lers „Der Schleier der Beatrice" angenommenund
jetzt erst ist Schnitzlers Werk dem Repertoire des Burgtheaters ein¬
verleibt worden. Schlenther mußte infolge „höherer Weisung“ sein
Versprechen zurückziehen. Der Dichter der „Liebelei“, des „Ver¬
mächtnis" und „Freiwild“ war in den Hofkreisen nicht beliebt. Ja,
nach dem Erscheinen seiner Novelle „Leutnant Gustl“ verlor er sogar
seinen Rang als Reserveoffizier, was für den Geist der damaligen
Zeit bezeichnend ist. Im Deutschen Reich hat Schnitzlers „Schleier
der Beatrice" viele Aufführungen erlebt. Dort hat man auch in
„hoheren Kreisen“ größeres Verständnis für Schnitzlers poetische Be¬
arbeitung der Epoche der Renaissance, der Zeit des großen Blut=,
Farben= und Liebesrausches gezeigt. Die Aufführung des Burg¬
theaters ist zu loben. Herterichs Regie war sehr lebendig und sinn¬
fällig. Remigius Geyling brachte prachtvolle Bühnenbilder.
Voll Hoheit und Würde gab Raoul Aslan den Herzog mit durch¬
zeistigter Stilkunst. Das Premierenpublikum huldigte Schnitzler in
stürmischer Weise.
Max Reinhardt hat im Theater der Josefstadt Werfels
„Maximilian und Juarez' zu großen Ehren geführt. Das
Stück selbst, die Tragödie Maximilians dramatisch bearbeitet, ver¬
nochte trotz des großen Fleißes, den der hochbegabte Dichter auf¬
gewendet hat, das Publikum nicht zu erwärmen. Aber Reinhardt
hat sein Interesse durch seine schöpferische Mitarbeit erzwungen,
so daß er viel lebhafter akklamiert wurde, als Werfel. Paul Hart¬
mann hat mit seinem Maximilian, den er als einen Mann von
Adel und schwärmerischen Idealismus, der die Menschen aus der
Tiefe seiner Seele beglücken will, gespielt hat, eine außerordentliche
Leistung geschaffen und stand im Mittelpunkt der Darstellung. Neben
ihm ist in erster Linie Jakob Feldhammer als Porferio Diaz
mit größtem Lobe hervorzuheben. Das ist die wunderbare Kunst von
Reinhardt, daß er jeden Schauspieler auch in der kleinsien Rolle zum
Erfolge führt. Reinhardt war sich sicher darüber klar, daß die un¬
geheure Mühe und Arbeit der Inszenierung der Werfelschen Historie
sich materiell nicht auswerten werde. Um so löblicher sein Kunst¬
beginnen, für das ihm herzlich gedankt wurde.
Ludwig Klinenberger.