II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 580

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14: Der Schleier der Beatrice
kommt ihn auch plötzlich die Einsicht, daß Beatrice
hoch über unsere gesamte, von ängstlicher Kleinlichkeitst
ohne Schlechtigkeit sei und daß sie bloß in kindlich
gezeichnete dramatische Produktion stellt, — die ganze
Feuilleton.
naiver Weise gehandelt und so viel Unheil gestiftet habe.
Skala der Empfindungen; von den leise stammelnden
Der starb um dich? Und den verrietest du?
Lauten einer Beatrice bis hinauf zu den höchsten Tönen
Und mich um ihn? Und wied'rum ihn um mich?
Der Schleier der Beatrice.
der tragischen Leidenschaftlichkeit, des geheimen Grauens
Was bist du für ein Wesen, Beatrice?!“
und der demütigen Ergebung in die wunderlich ver¬
Alle diese äußern Erlebnisse befriedigen nur Beatrices
Er will ihr alles verzeihen. Aber da stößt der vor¬
zweigten Wege des Schicksals — das muß man eben
kindliche Eitelkeit und lassen sie im Grunde ihres
selbst im Drama durchleben.
eilige Bruder ihr den Dolch in die Brust. An der
Herzens lalt. Kaum wird sie Herzogin, da erwacht in
Leiche des Dichters ruht nun auch die Leiche seiner
ist geradezu merkwürdig, wie hier in diesem
ihr eine mächtige Sehnsucht nach dem Geliebten, die
Geliebten ... Da kommen Boten und melden, daß
Saüt, das in nicht länger als zwölf Stunden sich ab¬
sie alles wieder vergessen läßt. Von einem kostbaren
das seindliche Heer schon sichtbar sei. Die Zeit drängt.
spielt, eine ganze Ewigkeit eingeschlossen ist. Merkwürdig,
Schleier, den sie vom Herzog als Brautgeschenk erhalten,
Der Herzog erteilt noch seine letzten Anweisungen: er
wie es dem Dichter vermöge einer ungewöhnlichen
verhüllt, stiehlt sie sich im Gewühl des baschanalischen
befiehlt, den Leichnam des geliebten Dichters im herzog¬
Be#rschung der dramatischen Technik gelungen ist, al
Festes fort und eilt in die Arme Filippos, um mit
lichen Grab zu bestatten.
die seitsamen, in ihrer Fülle geradezu erdrückenden
— ihm zu sterben. Doch da sie sich schon dem Tode nahe
Geschicke seiner Heldin im Nahmen eines aus nicht
Und diese hier wie ihn! Die Spanne Zeit,
wähnt und schon das Rauschen der Unendlichkeit über
Die sie ums Licht des Lebens noch geflattert,
mehr als fünf Aufzügen bestehenden Dramas in bunter
ich zu fühlen glaubt, da graut es ihr plötzlich vor
Bedeutet jetzt nichts mehr — sie starb mit ihm.
Mannigfaltigkeit ungezwungen sich entwickeln zu lassen.
dem Dunkel. In ihrem gemarterten Busen lodert ein
Er liebte sie, er starb, weil er sie liebte:
Zwölf Stunden — und was erlebt die Beatrice nicht
gewaltiger Lebensdrang auf, daß sie Filippo allein
So ist sie hochgeehrt vor allen Frau'n!“
alles in dieser kurzen Spanne Zeit! Sie ist die Ge¬
sterben läßt und selbst voller Verzweiflung zurück an
Und nun geht er in den Kampf. Glocken ertönen
liebte des Dichters, wird von ihm verstoßen, wird die
den Hof rennt. Hier ist sie aber bereits vermißt worden.
von allen Türmen.
Braut eines andern, läßt sich indes mit dem Herzog
Der Herzog schöpft Argwohn. Sie lügt, sie sei in der
Das Zeichgi tönt, und mächt'ge Neubegier
trauen, während jener sich emtleibt, wird diesem untreu
Kirche gewesen, um in einer so wichtigen Stunde f#r
Wie nie zuhhr beflügelt meinen Schritt.
und rennt zurück in die Arme des Geliebten, um mit
das Wohl der Stadt zu beten. Doch der Schleier, den
Ich freue mich des guten Kampfs, der kommt,
ihm zu sterben, läßt ihn aber allein in den Tod gehen
sie bei Filippo vergessen, verrät sie. Da sie trotz der
Die frischen Morgenlüfte atm' ich durstig
und flieht selbst wieder zurück ins Leben, um bald
eindringlichen Bitten des Herzogs nicht gestehen will,
Und preise dieses Leuchten aus den Höhn,
davon Abschied zu nehmen. So irrt sie hin und her,
wo sie die Nacht zugebracht, so soll sie auf der Stelle
Als wär' es mir allein so reich geschenkt.
zwischen Leben und Tod, mit beiden gleicherweise
wegen Treubruchs gerichtet werden. Aber eine namenlose
Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit,
Und noch der nächste Augenblick ist weit!“
spielend und durch dieses Spiel sich und andere ins
Angst für ihr Leben packt sie wieder mit solcher Gewalt,
Verderben stürzend. Und all dies thut sie ganz un¬
daß sie sich endlich entschließt, den Herzog an den Ort
schuldig im Herzen, indem sie beinahe rein mechanisch
Ich habe hier in gedrängter Form nur die dürre
zu führen, wo sie den Schleier gelassen. Und hier erst,
handelt und sich fügt. Eine jener naiven Seelen ist
in der Dämmerung des neu aufbrechenden Tages,
Fabel in ihren Hauptzügen wiederzugeben versucht.
erfährt der Herzog, wem Ventrice gehörte — dem
Aber den grandiosen, ich michte fast sagen: Shake= sie, die mit ihren unschuldigen, großen Augen die
Dichter, den er über alle hochstellie! Und da über i speareschen Zug, der über der Dichtung liegt und sie Welt, in die sie hineingesetzt wurden, verwundert an ste#