II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 582

box 20/6
Bea
14. Der Schleier der Setrige
minutiös deutlich geschildert, alles greift so geschickt Schil
Denn dieser war ein Bote ausgesandt
bloß ein großmäuliger Dilettant und Prahler? — haben
ineinander, daß, so lange wir uns im Banne der aufge
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
wir hier einen wirklichen Künstler vor uns, dessen
Lebendig jeder neuen zu bestellen
die N
Dichtung befinden, nicht der leiseste Zweifel an
Name auf aller Lippen ruht, einen gottbegnadeten
Und hinzuwandeln über allen Tod!“
der Wahrscheinlichkeit des Ganzen aufkommen kann.
mit
Schafsenden, an dessen Thun und Lassen man nicht
Das ist es eben, was dieser Romantiker von heute
Was aber an dem Beatrice=Drama am meisten
mäkeln darf, weil er durch seine Kunst geheiligt ist.
vor den Romantikern von Anno 1800 voraus hat: er
Mit
imponiert, das ist die Ueberlegenheit des Dichters, seine
„Ihr, Cofini“, sagt der Herzog zu einem seiner
kennt die Bühne so gut, wie nur sehr wenige unter
seltene Souveränität über dem Stoffe, die wir immer
Höflinge —
nd
den zeitgenössischen Dramatikern. Er hat es in seinen
wieder bewundern müssen. Er häuft Geschick auf Geschick,
„Ihr, Cosini,
frühern Stücken bewiesen, vor allem in dem kleinen,
Situation auf Situation, immer kommt etwas anderes,
Und Euresgleichen könnt nicht ganz verstehn,
Ja, i
geradezu als Muster dramatischer Technik dastehenden
als der Leser erwartet hat. Und gerade das ist es, was
So klug Ihr seid, was solche Menschen treibt,
Einakter: „Die Gefährtin“. Die größten Schwierig¬
Den Kopf zu schütteln oder „ja“ zu nicken,
Goethe an Byron so sehr bewunderte. „Dasjenige,
Preist
keiten weiß er zu überwinden. Und dieser außerordent¬
Wie erst so vieles andre! Mir ist manchmal,
was ich die Erfindung nenne“, sagte Goethe einmal zu
Als ahnt' ich das Geheimnis solcher Seelen!“
lichen Vertrautheit mit der Bühne, die er sich in seinen
seinem getreuen Eckermann, „ist mir bei keinem Menschen
am realistischen Drama zugebrachten poctischen Lehr¬
Und geradezu berauschend schön ist das Hohelied,
in der Welt größer vorgekommen als bei ihm. Die
Art und Weise, wie er einen dramatischen Knoten löst, jahren erworben, verdankt er es, daß er auch bei dem
das ihm der Herzog am Schluß des Stückes singt.
kühnsten Aufflug seiner Schaffenskraft niemals den
Solchen begeisterten Ausbrüchen der Bewunderung für
ist stets über alle Erwartung und immer besser, als
festen Halt unter den Füßen verliert. „Wahrscheinlichkeit
die Kunst, als das in der Vergänglichkeit alles Seins
man es sich dachte.“ Und es ist, als wenn Schnitzler
ist die Bedingung der Kunst, aber innerhalb des Reiches
allein Verharrende, begegnet man selten.
selbst an dieser Buntheit der Gestalten, an dieser
der Wahrscheinlichkeit muß das Höchste geliefert werden,
Wirrnis der Situationen sich voll Entzückung weidete,
„Geschäh' ein Wunder,
was sonst nicht zur Erscheinung kommt.“ Mich dünkt,
Und würfen wir den Borgia in den Staub
als wenn er geradezu mit Behagen all' die seltsamen
12
nicht oft dürfte man einer Dichtung begegnen, die
Und brächten Freiheit unserer Stadt und zwängen
Geschicke eines nach dem andern aufrollte, als wenn
Zehn, hundert andere — dieses ganze Land,
von
diese weisen Worte Goethes in solchem Maße befolgen
er uns zurufen wollte: „Schaut, wie reich ich bin,
Uns zu gehorchen, und ein Reich erstünde,
würde, wie es „Der Schleier der Beatrice“ thut.
schaut, was ich alles kann!“ Und er kann es.
So mächtig und geeint, wie's Rom gewesen,
Und wenn man nun bedenkt, daß Kritik, Theater¬
Und dann: wir wissen ja, das alles ist reine
Und jenes fernste, dessen Schritt wir sahn',
direktoren und Publikum sich gegen diese mächtige
Phantasie des Dichters, er spielt mit uns, gerade so
Und wenn's durch tausend Jahre herrlich blühte:
Schöpfung eines unserer begabtesten Dichter -geradezu
wie es ein Tieck in seinen Dramen thut. Diese Fülle
Einmal siel's doch in Trümmer, wie die andern.
Titel,
verschworen zu haben scheinen, nur weil sie weder ein
von Ereignissen, diese Menschen mit ihrem seltsamen
Ein Lied von Dem, verwehts der Zufall nicht
Da
modisches Problemstück, noch ein Märchenstück, noch ein
Wesen und ihren wunderbar verschlungenen Schicksalen,
Ost ew'ger als der kühnste unserer Siege,
sein;
Salonlustspiel ist, und wenn man anderseits sieht, wie
Der wieder nur Vergängliches erringt!
dieses Auf und Nieder von Gefühlsemotionen, diese
Dran werden Menschen einer späten Zeit,
handl
die Capricen eines Blumenthal täglich in spaltenlangen
geheime Macht der Lebensgewalten — und all das
Der unsre Thaten nichts als Worte sind,
Abhandlungen breitgetreten werden, so muß man sich
zu be
zusammengedrängt wie in einem Zauberkasten, wo wir
In kühlen Stein gegraben zum Gedächtnis,
eine Ewigkeit in wenigen Minuten durchmessen! Und sagen, daß wir es auf diesem Punkte im Grunde nicht
Wie wir, die Mitgebornen, sich erfreun
doch das einzelne ist so realistisch glaubhaft, so viel weiter gebracht haben. als vor hundert Jahren. da
Mit gleich Lächeln und mit gleichen Thränen.