13. Haus Delorme box 19/4
Standesrollen.
In Berlin gab es vor einigen Tagen eine kleine Sen¬
sation. Es hieß nämlich auf einmal, daß die Schauspieler
des Kleinen Theaters sich geweigert hätten, in einem Stück
von Arthur Schnitzler zu spielen, weil durch die in diesem
Stück enthaltene Schilderung einer Schauspielerin die Standes¬
ehre verletzt würde. Wie so oft beim Theater, stellte sich
schließlich das ganze Gerede als ein Messer ohne Klinge, dem
der Siel fehlt, heraus. Das Stück konnte wegen der Zensur,
schwierigkeiten nicht gegeben werden, aber es wird gegeben werden,
und dann wird man sehen, wie lächerlich die ganze Aufregung
war, wenn es eine solche Aufregung wirklich gegeben hat. Die
(Theaterluft ist nun einmal mit Erregung geladen, der kleinste
Klatsch hat die Neigung und den Ehrgeiz, sich zur Affaire
auszuwachsen. Nun, diesmal kam es nicht zur Affaire. Es
fielen zwar gewaltige, große Worte, wie Streik verletztes
Standesgefühl, Empörung u. s. w., aber das große Gewitter
zog am Kleinen Theater vorüber, ohne daß die schwarzen
Wolken sich entladen hätten. Trotzdem bleibt von dem ganzen
Zwischenfall eine interessante Frage zurück: Kann sich wirklich
der Fall ereignen, daß Schauspteler sich weigern eine Rolle zu
spielen, weil sie deren Darstellung mit ihrer Standes¬
ehre unvereinbar fühlen? „Das wahre Gesicht erscheint,
wenn die Maske fällt“,
sagt Petronius
(„Le masque
tombe, l’homme reste“
hat J. B. Rousseau diesen
Satz paraphrasiert). Wie aber, wenn
der Dichter
des Schauspielers eigenes Gesicht als Maske vorschreibt und
dieses Gesicht abstoßend und widerwärtig macht? Niemals
wird sich der Schauspieler weigern, irgend eine Maske vor¬
zunehmen. Sollte er ein Recht zu dieser Weigerung haben,
wenn es sich darum handelt, mit eigenem Gesicht vor die
Rampe zu treten, und wenn das Stück dieses Gesicht boshaft
beleuchtet? Die Zeiten sind längst vorbei — Gottlob vorbei
wo man dem Schauspieler die Ehre absprach und ihn vor
der Kirchhofmauer begrub. Heute ist der Schauspieler an
Ehre und Ehren so reich, wie irgend ein anderer Stand, der
Bühnenkünstler ist gesellschaftlich resorbiert worden und viel¬
leicht liebt und vergöttert man ihn mehr, als irgend einen
anderen Künstler. Aber neben dieser Vergötterung, neben der
Schwärmerei für den Helden und die Heldin, gibt es doch
noch eine Menge gewisser kleiner Vorurteile, die wohl im
Schwinden sind, die aber der Schauspieler selbst sehr wohl
kennt und gegen die sich aufzulehnen er ein heiliges Recht
hat. Ich erinnere mich eines sehr interessanten Gespräches,
das ich vor vielen Jahren mit Edmond Rostand hatte. „Eine
Schauspielirin? Da glaubt ein jeder die Hand ausstrecken
zu dürfen. Sie ist ja nur eine Schauspielerin! Wie viel Be¬
leidigung liegt in diesem Gedankengang.“ In den letzten
Jahren hieß es oft, Rostand plane ein Stück über die Schau¬
spieler. Vielleicht spielt dieses Aphorisma mit hinein. Viel¬
leicht ist der Schauspieler oder, besser gesagt, die Schau¬
spielerin oft allzu empfindlich. Denn sie weiß, sie fühlt, wie
viele ihr nahen mit solchen Gedanken im Herzen (wobei das
Wort Herz hier wirklich nur eine Umschreibung ist). Und
wenn sie da eine Rolle zurückschickt, weil sie sich in der
Standesehre gekränkt fühlt, so ist das Motiv gewiß ver¬
ständlich und entschuldbar.
„Aber es kommt in diesen Fällen,“ sagt Frau Hansi
Niese, „vor allem auf den Dichter an. Wenn man mir zu¬
mutet, in einem Stücke eines Herrn Powondra zu spielen,
werde ich die Rolle, wo eine Schauspielerin als
schlecht oder leichtsinnig oder liederlich geschildert wird,
Recht,
vielleicht zurückweisen. Aber ein Dichter hat das
gehört zu werden, und ich habe unter keinen Um¬
ver¬
ständen das Recht, ihm meine Mitwirkung z
weigern. Da müssen alle diese Bedenken schweigen. Mir ist ja
selbst der Fall schon vorgekommen, daß ich in einem Stücke
hätte spielen sollen, wo eine Schauspielerin es im ersten Akt
mit einem Grafen hielt, im zweiten Akt sich an einen Agenten
— — ——
zu sehen glaubt. Schließlich werden ja Vertreter aller Stände 1
auf der Bühne gezeigt: schurkische Advokaten, gewissenlose?
Aerzte, böse Könige. Ich habe noch nie gehört, daß die be¬
trefsenden Stände protestiert hätten. Ein solcher Protest hätte
1
nur dann Sinn, wenn der Dichter offenkundig ben ganzen
Stand brandmarken wollte. Wird aler ein Dichter just sich
den Stand zum Brandmarken aussuchen, dessen Mithilfe er
zum Erfolge braucht, mit dem er immer in gemeinsamer
Arbeit verbunden ist?§ Wenn sich also Schauspieler weigern,
eine Rolle zu spielen, die ihrer Meinung nach ihren Stand:
heruntersetzt, so tun sie dies viel weniger mit Rücksicht auf
Dichtung und Stück, als mit Rücksicht auf das Publikum,
das sie sehr wohl kennen und von dem sie annehmen, daß
es verallgemeinern könnte. Und diese Rücksicht müssen Sie
verstehen. Denn das Publikum ist allzu gerne bereit, in einer 1
Schauspielerin, die als liederlich geschildert wird, die Schau¬
spielerin zu sehen. Und ich finde es begreiflich und mensch¬
lich, wenn Schauspielerinnen sich weigern, diese Anschauung
des Publikums, die uns bitter wehe tut, zu unterstützen.“
Die kleine Berliner Sturmgeschichte=istheute=schon=ver¬
rauscht und vergessen. Die Frage, die aber dadurch berührt]
wurde, wird noch lange lebendig bleiben. Sie geht viel
weiter, als es den Anschein hatte. Sie lautet nicht einfach:
„Soll der Schauspieler Rollen verweigern dürfen, deren Dar=#
stellung sein Standesgefühl verletzt?" Sie trifft eine konven¬
tionelle Lüge. Der umjubelte, umjauchzte, gefeierte Schau¬
spieler hat immer noch mit dem Vorurteil zu kämpfen, mit
einem moralischen Vorurteil. „Vom Theater!“ Mit welchem
Nasenrümpfen und Achselzucken kann man das sagen. Aber
diese Gebärden haben längst ihre Berechtigung verloren. Die
Frau beim Theater ist eine Frau, wie in einem anderen
Beruf, ist eine Künstlerin, wie eine andere Künstlerin. Sie
kann gut und schlecht, ein Engel oder ein Teufel sein. Sie
kann bürgerlich philiströs und ungebunden genial sein. Sie
ist all dies, weil es in ihrer weiblichen Natur liegt, nicht
weil sie „vom Theater“ ist. Und wenn die Schauspielerin die
Verallgemeinerung fürchtet, die von einer Rolle auf den
ganzen Stand schließen könnte, so weiß sie leider, daß sie
ein Recht zu fürchten hat. Aber sie fühlt auch gleichzeitig, daß
ihr Einer zur Seite steht, und das ist der Dichter. Der
Dichter hat für seinen Mitkämpfer, den Schauspieler, den
Platz in der Sonne erstritten, der Dichter wird auch die Vor¬
urteile besiegen. Denn wozu hätte er sonst von den Göttern
begnadete Augen, wenn er nicht mehr sehen würde, als die
übrigen alle. Er sieht in der Schauspielerin das Weib, und
er weiß, daß man beim Weib nicht verallgemeinern kann.
Jedes Weib ist ein Fall und ein Wunder für sich, sagte
einer, der die Frauen gut kannte.
Th. Thomas.
Standesrollen.
In Berlin gab es vor einigen Tagen eine kleine Sen¬
sation. Es hieß nämlich auf einmal, daß die Schauspieler
des Kleinen Theaters sich geweigert hätten, in einem Stück
von Arthur Schnitzler zu spielen, weil durch die in diesem
Stück enthaltene Schilderung einer Schauspielerin die Standes¬
ehre verletzt würde. Wie so oft beim Theater, stellte sich
schließlich das ganze Gerede als ein Messer ohne Klinge, dem
der Siel fehlt, heraus. Das Stück konnte wegen der Zensur,
schwierigkeiten nicht gegeben werden, aber es wird gegeben werden,
und dann wird man sehen, wie lächerlich die ganze Aufregung
war, wenn es eine solche Aufregung wirklich gegeben hat. Die
(Theaterluft ist nun einmal mit Erregung geladen, der kleinste
Klatsch hat die Neigung und den Ehrgeiz, sich zur Affaire
auszuwachsen. Nun, diesmal kam es nicht zur Affaire. Es
fielen zwar gewaltige, große Worte, wie Streik verletztes
Standesgefühl, Empörung u. s. w., aber das große Gewitter
zog am Kleinen Theater vorüber, ohne daß die schwarzen
Wolken sich entladen hätten. Trotzdem bleibt von dem ganzen
Zwischenfall eine interessante Frage zurück: Kann sich wirklich
der Fall ereignen, daß Schauspteler sich weigern eine Rolle zu
spielen, weil sie deren Darstellung mit ihrer Standes¬
ehre unvereinbar fühlen? „Das wahre Gesicht erscheint,
wenn die Maske fällt“,
sagt Petronius
(„Le masque
tombe, l’homme reste“
hat J. B. Rousseau diesen
Satz paraphrasiert). Wie aber, wenn
der Dichter
des Schauspielers eigenes Gesicht als Maske vorschreibt und
dieses Gesicht abstoßend und widerwärtig macht? Niemals
wird sich der Schauspieler weigern, irgend eine Maske vor¬
zunehmen. Sollte er ein Recht zu dieser Weigerung haben,
wenn es sich darum handelt, mit eigenem Gesicht vor die
Rampe zu treten, und wenn das Stück dieses Gesicht boshaft
beleuchtet? Die Zeiten sind längst vorbei — Gottlob vorbei
wo man dem Schauspieler die Ehre absprach und ihn vor
der Kirchhofmauer begrub. Heute ist der Schauspieler an
Ehre und Ehren so reich, wie irgend ein anderer Stand, der
Bühnenkünstler ist gesellschaftlich resorbiert worden und viel¬
leicht liebt und vergöttert man ihn mehr, als irgend einen
anderen Künstler. Aber neben dieser Vergötterung, neben der
Schwärmerei für den Helden und die Heldin, gibt es doch
noch eine Menge gewisser kleiner Vorurteile, die wohl im
Schwinden sind, die aber der Schauspieler selbst sehr wohl
kennt und gegen die sich aufzulehnen er ein heiliges Recht
hat. Ich erinnere mich eines sehr interessanten Gespräches,
das ich vor vielen Jahren mit Edmond Rostand hatte. „Eine
Schauspielirin? Da glaubt ein jeder die Hand ausstrecken
zu dürfen. Sie ist ja nur eine Schauspielerin! Wie viel Be¬
leidigung liegt in diesem Gedankengang.“ In den letzten
Jahren hieß es oft, Rostand plane ein Stück über die Schau¬
spieler. Vielleicht spielt dieses Aphorisma mit hinein. Viel¬
leicht ist der Schauspieler oder, besser gesagt, die Schau¬
spielerin oft allzu empfindlich. Denn sie weiß, sie fühlt, wie
viele ihr nahen mit solchen Gedanken im Herzen (wobei das
Wort Herz hier wirklich nur eine Umschreibung ist). Und
wenn sie da eine Rolle zurückschickt, weil sie sich in der
Standesehre gekränkt fühlt, so ist das Motiv gewiß ver¬
ständlich und entschuldbar.
„Aber es kommt in diesen Fällen,“ sagt Frau Hansi
Niese, „vor allem auf den Dichter an. Wenn man mir zu¬
mutet, in einem Stücke eines Herrn Powondra zu spielen,
werde ich die Rolle, wo eine Schauspielerin als
schlecht oder leichtsinnig oder liederlich geschildert wird,
Recht,
vielleicht zurückweisen. Aber ein Dichter hat das
gehört zu werden, und ich habe unter keinen Um¬
ver¬
ständen das Recht, ihm meine Mitwirkung z
weigern. Da müssen alle diese Bedenken schweigen. Mir ist ja
selbst der Fall schon vorgekommen, daß ich in einem Stücke
hätte spielen sollen, wo eine Schauspielerin es im ersten Akt
mit einem Grafen hielt, im zweiten Akt sich an einen Agenten
— — ——
zu sehen glaubt. Schließlich werden ja Vertreter aller Stände 1
auf der Bühne gezeigt: schurkische Advokaten, gewissenlose?
Aerzte, böse Könige. Ich habe noch nie gehört, daß die be¬
trefsenden Stände protestiert hätten. Ein solcher Protest hätte
1
nur dann Sinn, wenn der Dichter offenkundig ben ganzen
Stand brandmarken wollte. Wird aler ein Dichter just sich
den Stand zum Brandmarken aussuchen, dessen Mithilfe er
zum Erfolge braucht, mit dem er immer in gemeinsamer
Arbeit verbunden ist?§ Wenn sich also Schauspieler weigern,
eine Rolle zu spielen, die ihrer Meinung nach ihren Stand:
heruntersetzt, so tun sie dies viel weniger mit Rücksicht auf
Dichtung und Stück, als mit Rücksicht auf das Publikum,
das sie sehr wohl kennen und von dem sie annehmen, daß
es verallgemeinern könnte. Und diese Rücksicht müssen Sie
verstehen. Denn das Publikum ist allzu gerne bereit, in einer 1
Schauspielerin, die als liederlich geschildert wird, die Schau¬
spielerin zu sehen. Und ich finde es begreiflich und mensch¬
lich, wenn Schauspielerinnen sich weigern, diese Anschauung
des Publikums, die uns bitter wehe tut, zu unterstützen.“
Die kleine Berliner Sturmgeschichte=istheute=schon=ver¬
rauscht und vergessen. Die Frage, die aber dadurch berührt]
wurde, wird noch lange lebendig bleiben. Sie geht viel
weiter, als es den Anschein hatte. Sie lautet nicht einfach:
„Soll der Schauspieler Rollen verweigern dürfen, deren Dar=#
stellung sein Standesgefühl verletzt?" Sie trifft eine konven¬
tionelle Lüge. Der umjubelte, umjauchzte, gefeierte Schau¬
spieler hat immer noch mit dem Vorurteil zu kämpfen, mit
einem moralischen Vorurteil. „Vom Theater!“ Mit welchem
Nasenrümpfen und Achselzucken kann man das sagen. Aber
diese Gebärden haben längst ihre Berechtigung verloren. Die
Frau beim Theater ist eine Frau, wie in einem anderen
Beruf, ist eine Künstlerin, wie eine andere Künstlerin. Sie
kann gut und schlecht, ein Engel oder ein Teufel sein. Sie
kann bürgerlich philiströs und ungebunden genial sein. Sie
ist all dies, weil es in ihrer weiblichen Natur liegt, nicht
weil sie „vom Theater“ ist. Und wenn die Schauspielerin die
Verallgemeinerung fürchtet, die von einer Rolle auf den
ganzen Stand schließen könnte, so weiß sie leider, daß sie
ein Recht zu fürchten hat. Aber sie fühlt auch gleichzeitig, daß
ihr Einer zur Seite steht, und das ist der Dichter. Der
Dichter hat für seinen Mitkämpfer, den Schauspieler, den
Platz in der Sonne erstritten, der Dichter wird auch die Vor¬
urteile besiegen. Denn wozu hätte er sonst von den Göttern
begnadete Augen, wenn er nicht mehr sehen würde, als die
übrigen alle. Er sieht in der Schauspielerin das Weib, und
er weiß, daß man beim Weib nicht verallgemeinern kann.
Jedes Weib ist ein Fall und ein Wunder für sich, sagte
einer, der die Frauen gut kannte.
Th. Thomas.