auszuwachsen. Nun, diesmal kam es nicht zur Affaire. Es
fielen zwar gewaltige, große Worte, wie Streik, verletztes
Standesgefühl, Empörung u. s. w., aber das große Gewitter
zog am Kleinen Theater vorüber, ohne daß die schwarzen
Wolken sich entladen hätten. Trotzdem bleibt von dem ganzen
Zwischenfall eine interessante Frage zurück: Kann sich wirklich
der Fall ereignen, daß Schauspteler sich weigern eine Rolle zu
spielen, weil sie deren Darstellung mit ihrer Standes¬
ehre unvereinbar fühlen? „Das wahre Gesicht erscheint,
wenn die Maske fällt“ sagt Petronius („Le masque
tombe, l’homme reste“
hat J. B. Rousseau diesen
Satz paraphrasiert). Wie aber, wenn
der Dichter
des Schauspielers eigenes Gesicht als Maske vorschreibt und
dieses Gesicht abstoßend und widerwärtig macht? Niemals
wird sich der Schauspieler weigern, irgend eine Maske vor¬
zunehmen. Sollte er ein Recht zu dieser Weigerung haben,
wenn es sich darum handelt, mit eigenem Gesicht vor die
Rampe zu treten, und wenn das Stück dieses Gesicht boshaft
beleuchtet? Die Zeiten sind längst vorbei
Gottlob vorbei
— wo man dem Schauspieler die Ehre absprach und ihn vor
der Kirchhofmauer begrub. Heute ist der Schauspieler an
Ehre und Ehren so reich, wie irgend ein anderer Stand, der
Bühnenkünstler ist gesellschaftlich resorbiert worden und viel¬
leicht liebt und vergöttert man ihn mehr, als irgend einen
anderen Künstler. Aber neben dieser Vergötterung, neben der
Schwärmerei für den Helden und die Heldin, gibt es doch
noch eine Menge gewisser kleiner Vorurteile, die wohl im
Schwinden sind, die aber der Schauspieler selbst sehr wohl
kennt und gegen die sich aufzulehnen er ein heiliges Recht
hat. Ich erinnere mich eines sehr interessanten Gespräches,
das ich vor vielen Jahren mit Edmond Rostand hatte. „Eine
Schauspielirin? Da glaubt ein jeder die Hand ausstrecken
zu dürfen. Sie ist ja nur eine Schauspielerin! Wie viel Be¬
leidigung liegt in diesem Gedankengang. In den letzten
Jahren hieß es oft, Rostand plane ein Stück über die Schau¬
spieler. Vielleicht spielt dieses Aphorisma mit hinein. Viel¬
leicht ist der Schauspieler oder, besser gesagt, die Schau¬
spielerin oft allzu empfindlich. Denn sie weiß, sie fühlt, wie
viele ihr nahen mit solchen Gedanken im Herzen (wobei das
Wort Herz hier wirklich nur eine Umschreibung ist). Und
wenn sie da eine Rolle zurückschickt, weil sie sich in der
Standesehre gekränkt fühlt, so ist das Motiv gewiß ver¬
ständlich und entschuldbar.
„Aber es kommt in diesen Fällen,“ sagt Frau Hansi
Niese, „vor allem auf den Dichter an. Wenn man mir zu¬
so
mutet, in einem Stücke eines Herrn Powondra zu spielen,
werde ich die Rolle, wo eine Schauspielerin als
schlecht oder leichtsinnig oder liederlich geschildert wird,
vielleicht zurückweisen. Aber ein Dichter hat das Recht,
gehört zu werden, und ich habe unter keinen Um¬
ver¬
ständen das Recht, ihm meine Mitwirkung zu
weigern. Da müssen alle diese Bedenken schweigen. Mir ist ja
selbst der Fall schon vorgekommen, daß ich in einem Stücke
hätte spielen sollen, wo eine Schauspielerin es im ersten Akt
mit einem Grafen hielt, im zweiten Akt sich an einen Agenten
verkaufte und im dritten Akt den einzig anständigen Menschen,
der ihr nahte, von sich stieß. Ich habe diese Rolle — sagen
wir aus Standesgefühl — zurückgeschickt, trotzdem sie als Rolle
ausgezeichnet war. Ich hätte gewiß keinen Augenblick Be¬
denken gehabt, sie zu spielen, wenn ein Dichter das Stück
geschrieben hätte. Auf den Dichter kommt es an, auf den Wert
des Stückes! Und dann noch eins. Wo steht denn geschrieben,
daß der ganze Stand beleidigt werden soll, wenn eine
Schauspielerin als schlechte Person geschildert wird?1 Stolz
und Standesgefühl der Schauspielerin sind eine schöne Sache.
Aber wir sollten doch vor allem danach streben, daß das
Publikum nicht verallgemeinert, weil am Theater die eine oder
die andere leichtsinnig ist. Sehen Sie, da liegt ein Stück
Tragik. Wie viele Mädchen kommen zum Theater, sind muster¬
haft anständig, kämpfen wirklich hart und schwer, weil sie an¬
ständig bleiben wollen und — man glaubt es ihnen nicht.
Alle Tugend nützt nichts. Und schließlich sagen sich die armen
Geschöpfe: wozu, man glaubt mir ja doch nicht! Das sind
dann wirklich Opfer der Meinung, die man vom Theater hat.
Aber um auf unseren Fall zurückzukommen: Aus mensch¬
lichen Motiven weist man keine Rolle zurück. (Ich möchte für
mein Leben gern mal eine ordentliche Bestie spielen; das habe
ich nämlich noch nicht getan.) Und wenn ein Dichter uns vor
eine Aufgabe stellt, dann haben wir die Aufgabe so gut zu
erfüllen als wir können. Aber wohl gemerkt, ein Dichter muß
es sein.“
„Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mir dieses
Problem vorzulegen,“ sagt Fräulein Petri, „und es käme bei
der Entscheidung wohl gewiß auf den einzelnen Fall an. Wie
ich es verweigern kann, in einem undezenten Kostüm zu
erscheinen, so gibt es auch gewiß Rollen, deren innerlicher
Gehalt solcher Aeußerlichkeit entspricht. Dabei kommt es
natürlich auch auf den Rang des Theaters an und auf den
Rang der Schauspielerin selbst, auf ihre Stellung im künst¬
lerischen und sozialen Leben. Mit gleichem Maße kann hier
nicht gemessen werden. Vor allem aber, und das scheint mir
das Wichtigste, muß klar sein, ob der Dichter verallgemeinern
wollte oder ob bloß der Schauspieler die Verallgemeinerung
ist all dies, weil es in ihrer weiblichen Natur liegt, nicht
weil sie „vom Theater“ ist. Und wenn die Schauspielerin die
Verallgemeinerung fürchtet, die von einer Rolle auf
den
ganzen Stand schließen könnte, so weiß sie leider, daß
sie
ein Recht zu fürchten hat. Aber sie fühlt auch gleichzeitig, daß
ihr Einer zur Seite steht, und das ist der Dichter. Der
Dichter hat für seinen Mitkämpfer, den Schauspieler, den
Platz in der Sonne erstritten, der Dichte; wird auch die Vor¬
urteile besiegen. Denn wozu hätte er son von den Göttern
begnadete Augen, wenn er nicht mehr sehen würde, als die
übrigen alle. Er sieht in der Schauspielerin das Weib, und
er weiß, daß man beim Weib nicht verallgemeinern kann.
Jedes Weib ist ein Fall und ein Wunder für sich, sagte
einer, der die Frauen gut kannte.
Th. Thomas.