II, Theaterstücke 12, Die Gouverte, Seite 4

12. Die Gonvernänte
Dr. Max Goldschmidt
Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Berlin N. 24.
Telephon: IIl, 3051.


Ausschnitt aus
Maheseilung, Berus
+- DEZ. 1903
R. E. Vorlesung im Verein zur Förderung der Kunst. Im
Verein zur Förderung der Kunst las gesternLudwig Bauer
aus Wien eigene und Dichtungen anderer Wiener Autoren. Das
literarische Jung=Wien hat seine Bedeutsamkeit in der Feinheit des
Empfindens, in der Detailmalerei der psychologischen Vorgänge und
des Milieus und in einer Satire, der aber nicht selten die Grazie
mangelt und die leicht in Cynismus umschlägt. Bei aller äußer¬
lichen Leichtfertigkeit geht durch die meisten dieser Dichtungen ein
Zug des tiefsten Pessimismus. Es ist die Tragödie der Sensibilität
des Künstlers, vor allem die Tragödie des übersensiblen Menschen.
Denn hypersensibel und weich sind die jungen Literaten, die im
süßlichen Odem der Kaiserstadt an der Donau aufgewachsen sind.
Und wie diese Weichheit den Künstler zum reich empfindenden
Menschen macht, wie sie ihn nach Maßgabe seines Talents in ter
Wiedergabe Mitleid, Empörung, Sehnsucht, Bitterkeit, im Herzen
des Lesers oder Zuhörers auslösen läßt, so raubt sie dem Menschen;
ddie Kraft, sich über das Leben zu stellen und denselben Zuhörern¬
Trost oder Stärke aus seinen Werken heraus zu verleihen. Dieser
ensibel=pessimistische Zug ging auch aus den Dichtungen Dr.
gauers hervor. Unleugbar ein reiches Gemüt, feines Empfinden
und scharfe Beobachtung. Aber keine Kraft. Auch nicht die Kraft
wahrer Resignation. Denn die Resignation, die man aus
diesen Werken lernen soll,
Pose, mag auch sonst
alles darin echt sein und der Dichter
sein wahres
Innerstes gegeben haben. Bauer las eine kleine Geschichte
„Jeder“, eine feine Schilderung des Kampfes, den jeder empfindende
Mensch von Jugend auf mitmacht, ehe er in den Lebenslügen unter¬
geht, dann zwei Dialoge aus einem kürzlich erschienenen Buch „Die
Besiegten“
— „Der Künstler" und „Jugend“. Die Dichtungen
fanden reichen Beifall, trotzdem der Dichter nicht sein bester Inter¬
pret gewesen — wie dies ja so häufig der Fall ist. Herr Bauer
glaubte auch noch Kaviar fürs Volk bieten zu müssen, indem er
einen populären Namen Arthux.=Schnitzler und eine sehr
pikante Skizze, so pilaut. daß der Vorstand des Vereins vorher quasi
um Eutschuldigung bitten mußte, in seinen Vortrag mit aufnahm.
Die kleine dramatische Skizze heißt „Die Gouvernante“
und ist im Genre der im „Reigen“ erschienenen Dialoge. Die
moralische Verkommenheit, die Schnitzler da zeigt, hat er nicht mit
genügend Grazie ausgemalt, auch die Psychologie läßt manches zu
wünschen übrig. Da die Gouvernante auch nicht amüsant und
durch den Vortrag Bauers gar nicht gewann, hätte man sie besser
aus dem Verein zur Förderung der Kunst entlassen sollen. Um so
befriedigender mag es für Dr. Bauer sein, daß seine Dichtungen trotz
der geringeren Popularität des Namens und ohne Pikanterie be¬
deutenden Eindruck machten und ehrlichen Beifall entfesselten. Man
darf von diesem Talent Jung=Wiens noch manches Schöne erwarten,
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Dr. Max Goldschmidt
Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Berlin N. 24.
Telephon: III, 3051.

Ausschnitt aus
esie Nachrichten
12.93
*Eine neue Dichtung Artur Schnitzlers
vorgestern in Berl'a in einem „Intim
grder.
eins zur Förderur der Kunst voll dem Wiener Schrift¬
steller Dr. Ludn g Bauer vorgelesen: die kleine dialogi¬
sierte Szene „Die Gonvernante“ aus einem Zyklus
„Szenen aus dem Familienleben“, den Schnitzler gegen¬
wärtig unter der Feder hat. Das „Berl. Tagebl.“ berichtet
darüber: Die Szene beginnt groziös ironisch mit einer Un¬
terhaltung zwischen einem achtzehnjährigen Mädel aus
„guter" Familie und seiner Gouvernante, die es zum Ball
frisiert; das Mädel plaudert keck von der Liebe, die Gou¬
vernante spielt die Ehrbare. Dann eine Aussprache zwi¬
schen der Gouvernanie und dem „jungen Herrn“ des
Hauses. Bitter ernst: sie haben sich „geliebt“, nun fühlt die
Gouvernante sich Mutter werden; der junge Herr will sie
nicht heiraten, nur aus dem Hause entfernen, aber sie wird
in nolzem Trotz freiwillig gehen. Dann wirds wieder
lustig: Der abnungslose Hauslehrer, der die Gouvernante
schon lange umschwärmt hat, erscheint, und sie gesteht ihm
schamhaft, daß sie ihn wiederliebe und beiraten wolle. Und
er ist glücklich. Der ironische Schluß setzt sehr schnell und
kurz ein und verblüffte das Publikum einigermaßen. —
Außerdem las Dr. Bauer noch Dichtungen zweier anderer
Wiener Schriftneller vor. Die Novellette „Die Straße des
Elends“ war eine glückliche Probe der zierlichen Erzäh¬
lungskunst Raoul Auernheimers, die in tändelndem
Geplauder Ernstes zu kunden weiß. Und Ludwig
Bauer selbst erwies sich in seiner „Erzählung vons
Jedem“ und zwei Dialogen als kluger und geistreicher
Kopf, der in knappen, reizvollen Dichtungen die Torbeiten
des Lebens aufzuweisen und mit herbem Spott zu beleuch¬
ten versteht.
#o. —