II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 21

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11. Reigen
Wahlen vorbeteiten.
die Absicht des Verfassers erreicht werden soll. Der
Zweck des Dichters ist es ja nicht, mit den einzelnen
lüsternen Szenen die Sinne des Lesers zu kitzein. Wer
das Buch in diesem Sinne liest, ist einfach ein Trottel,
ein versumpfter, indifferenter Lackel, der sich — ist's
ein Mann — in ewen Veteranenverein einschreiben
kassen, oder ist's ein Weid, unter dem Schutze der
Patronage in der Reitschule Tänze aufführen soll. Er
will jn nur den Kastenunterschied, den unsere
kapitalistische Weltordnung geschaffen, ad absurdum
führen und zeigen, daß das Rein=Menschliche sich an
derlei Schranken nicht stoßt. Daß dieses Rein=Mensch¬
liche heute nur bei edel denkenden Menschen — in
diesem Buche vom Dichter — mit dem Schimmer
jubelnder Liebeslust verklärt werden kann, ist eben die
Lehre.
Die geschlechtlichen Vorgänge an sich sind Aus¬
fluß der Natur und die ekelerregende oder banale
Form derselben, die uns anstößig erscheint und es
wirklich auch ist, nur die Wirkung unserer sozialen
Verhältnisse.
Das süße Mädel! Warum ist diese Bezeichnung
in Schwang gekommen? Weil so ein liebes, herziges
Mädel, auch wenn es den Blütenstaub der materiellen
Unschuld abgestreift, wirklich süß und begehrenswert
ist. Daß es zum Spielballe des Erstbesten wird, der
imstande ist, die trauliche Liebeszweisamkeit zwischen
din vier Wänden eines Separées oder in den Räumen
eines Absteigequartiers zu bezahlen und daß das süße
Mädel nur immer Süßigkeit für den ist, der es sicht
wnn auch nur domit kauft, daß er die Gelegenheit bezah;
Gruseln gelesen haben, wie bei einer erfolgreichen
und dieses süße Mädel nur unter den einigermaßen
nicht: Bruder in „iristo“) — wie
kepitals kräftigen Unternehmungslustigen wählen kanngeiden? Das Dichterhandwerk
und es ganz' ausgeschlossen erscheint, daß auch ein
goldenen Boden, aber der Dichter,
Arbeitssklave erfahren könnte, wie so ein süßes Mädel
geber, dem Verleger, nicht parieren
schmeckt, das ist das korrupte bit der Geschichte.
so auf der Straße wie ihr. Schi
Sie praktizieren die freie Liebe und uns höhnen
„Reigen“ im Winter 1896/97 ges
erschien das Buch erst solange dan
sie damit.
Denn, wenn der „Reigen“ schon nachweist, daß sich
leger hätte es damals drucken lassen
alles im Reigen dreht, warum soll dann der, der die
selbst die Mittel gehabt hätte, das
Dekoration für die Räume des verfeinerten Lebens¬
Auflage von 200 für seine Freunde
genusses liefert, nur unten am Schlammboden der
die daun, wie bei uns die Vertra
Liebe unter freiem Himmel oder im Proletarierehejoch
nötigen Druck ausübten, heute noch i
oben in der Dachkammer tanzen? Auch das ist eine
skript in Schnitziers Tischlade liegen.
soziale Frage! Die mächtigste — meine ich. — „Wie
Warum das Buch so teuer ist?
die Hunde auf der Straße möchten sie es machen!“
schreit nach dem Buch — Schnitzler
höre ich da unser sittsames Spießervolk schreien. „Ihr,
billig — ein anständiges Honorar,
ihr habt doch an jeder Straßenecke ein Haus, in das
will bei der Geschichte eben auch
ihr mit „ehrbarer“ Miene schleicht und aus dem ihr
junktur, wie man in der Profitsprach
mit einem saunischen Lächeln auf den Lippen heraus¬
und für sich wenigstens ebensoviel al
tretet.“ Es ist ganz gut, daß Arthur Schnitzler dem
komm, herausschlagen. Fraget nur
Proletarier, der den Grasen füglich als Schwager an¬
Buchdrucker, der wird euch schon
reden kann, die Uniform des gemeinen Soldaten ange¬
machen. In der Welt, die vom Me
zogen hat; wenigstens weiß er, wozu er in dieser
es nicht anders — bei uns in Oes
gottgewollten Ordnung gut genug ist. Daß er, wenn
nicht, da die Druckereibesitzer wie die
er die bunte Jacke ausgezogen, arbeitet und Werte
zessionen haben. Das gilt aber auch
schofft, das betrachtet das „bessere Volk“ doch nur
Großen. Die kleineren Drucker, wie
als Nebenbeschäftigung, obgleich es von diesen Werten
hält sich zum „Wiener Verlag“
lebt und sich das Vergnügen des süßen Mädels gönn',
Maus zum Löwen. Doch die Maus,
das ihm, wenn der Rahm abgeschöpft ist, als Dirne
die Stricke zerbeißen, die den ander
zufällt — und dann nicht ausschließlich.
*) Trist (lateinisch), traurig — in der
Dem Dichter, dem neid ich's nicht; du wohl auch