11. Reigen
box 17/1
□ Eheater und Musik. 2%2
Schnitzlers „Reigen“.*)
Nun ist auch in Teltschland der Zensor ühfer
Schnitzlers „Reigen“ gekommen; jedenfalls ist
dieses Verbot ein hinkender Bote, denn so und
soviele Auflagen — ich glaube mehr, als irgend
— sind
ein anderes Buch von Schnitzler erlebte
blauen Bände mit den sezessionistischen Orna¬
menten und schwer zu entziffernden Buchstaben
der Ueberschrift aus dem „Wiener Verlag“ haben
sich mit verblüffender Geschwindigkeit ihr Lese¬
publikum erobert. Sie bereichern die Bibliothek
jüngerer und älterer Lebemänner, sie fanden aber
Es ist immer denkbar, etwas noch nicht da¬
gewesenes zu bringen. Und in gewissem Sinne
können wir Schnitzlers Buch so nennen, obgleich
er uns durchaus nichts neues erzählt. Ich meine
er besitzt wie kaum einer vor ihm den Mut, alles
zu sagen. Doch davon abgesehen! Betrachten wir
*)
Ohne uns mit dem Urteil vollständig zu
identifizieren, teilen wir hier doch gern die Gedanken
einer feinsinnigen modernen Frau über das vielum
strittene Buch Schnitzlers mit
D. Red.
1
kennt jedermann. Auch will ja dies keine er¬
schöpfende Kritik sein, nur ein paar Geleitworte
möchte ich dem „Reigen“ mitgeben bei seinem
Untertauchen in — die Vergessenheit. Denn soviel
man auch heute noch davon spricht, so gewiß
wird er in einigen Jahren spurlos= vom Schau¬
platze verschwunden sein. Denn ist die Luft an
em noch nicht dagewesenen einmal gestillt, was
bleibt dann noch übrig? — Schnitzlers Anhänger
loben die Natürlichkeit des Dialoges, und mit
Recht. Jedes Wort, sei es nun der Dirne oder
der jungen Frau, dem Soldaten oder dem Grafen
in den Mund gelegt, könnte wirklich genau so
gesprochen worden sein. Aber da fällt mir
leider ein, was Paul Goldmann neulich sagte
auch von einem unserer Großen: ... „In
Wirklichkeit aber beweist ein Antor, der 5 Akte
hier 10 Dialoge) lang Gewöhnliches sprechen
läßt, damit wohl nur, daß er nichts Ungewöhn¬
liches zu sagen weiß.“ Freilich, etwas Bedeu¬
tendes konnte Schnitzler seinen Reigenhelden nicht
in den Mund legen, denn in Situationen wie
die, in welchen er sie reden läßt, pflegt man,
wenn man überhaupt, so doch gewiß, nicht geist¬
reich zu reden. Uebrigens wird der Autor als
echter Naturalist auch den Momenten des Schwei¬
gens gerecht. Sie werden gekennzeichnet durch
lange Reihen von Gedankenstrichen
Mein Vorwurf richtet sich also nicht gegen die
Darstellung, sondern bloß gegen den Gegenstand,
der keiner ist. Das sind Photographien aus dem
Leben —
aus den tiefsten Tiefen desselben
welche der Amateur in seiner Schublade be¬
wahren mag, wenn es ihm Vergnügen macht,
die er aber dem Publikum nicht preisgeben sollte.
Schnitzler dürfte dies selbst empfunden haben,
denn schon 1896—97 ist der Reigen entstanden,
und erst im Sommer 1903 gelangte er in die
Oeffentlichkeit. Die Bilder sind eben gelungen
und es mochte dem Dichter leid tun, sie dem
Publikum vorzuenthalten. Er vergaß dabei nur,
daß eine gute Photographie eben noch lange kein
Kunstwerk ist. Auch der verständige Photograph
soll ja mit scharfem Blick das Charakteristische
jeder Persönlichkeit erfassen und trachten, es
möglichst zur Geltung zu bringen. Der Künstler
hingegen gibt von seiner eigenen Auffassung
dazu, von seiner Individualität. Nun von Schnitz¬
lers Individualität ist in diesem Werke nicht
viel zu verspüren. Ich habe es als das Werk
seiner Reife preisen hören — seiner Mannesreife
vielleicht, seiner Dichterreife gewiß nicht ..
Unseren geistreichen Schnitzler erkennen wir höch¬
stens an der sinnreichen Anordnung der Personen
(daher der Titel „Reigen"). Ein guter Einfall
nicht weniger, nicht mehr. Das Wenige
aber,
welches, uns von eigener Lebens¬
auffassung des Dichters aus seinem Werke ent¬
gegentritt, gehört einem blasierten Cyniker, der
sich mit den traurigen Wahrheiten des Lebens
längst abgefunden hat und nun mit Behagen
durch seine Brille blickt und sich nicht einmal
Zeit nimmt, sie hie und da ein wenig zu putzen.
Sicher gibt es Weiber und Männer, wie sie uns
im „Reigen“ entgegentreten. Viele sind so, viel¬
leicht die meisten
— aber nicht alle. Jedes echte
Dichtwerk aber ist vielseitig wie die Namr selbst.
So hat Schnitzler auch der Naturwahrheit nicht
seinen vollen Tribut entrichtet, trotzdem er der
Natur auf Kosten der Kunst ein weites Feld
einräumte. Und es ist dies auch gar nicht möglich.
Denn schließlich ist alle Kunst doch nur Illusion.
Wozu also solche Illusionen?
E. R.
box 17/1
□ Eheater und Musik. 2%2
Schnitzlers „Reigen“.*)
Nun ist auch in Teltschland der Zensor ühfer
Schnitzlers „Reigen“ gekommen; jedenfalls ist
dieses Verbot ein hinkender Bote, denn so und
soviele Auflagen — ich glaube mehr, als irgend
— sind
ein anderes Buch von Schnitzler erlebte
blauen Bände mit den sezessionistischen Orna¬
menten und schwer zu entziffernden Buchstaben
der Ueberschrift aus dem „Wiener Verlag“ haben
sich mit verblüffender Geschwindigkeit ihr Lese¬
publikum erobert. Sie bereichern die Bibliothek
jüngerer und älterer Lebemänner, sie fanden aber
Es ist immer denkbar, etwas noch nicht da¬
gewesenes zu bringen. Und in gewissem Sinne
können wir Schnitzlers Buch so nennen, obgleich
er uns durchaus nichts neues erzählt. Ich meine
er besitzt wie kaum einer vor ihm den Mut, alles
zu sagen. Doch davon abgesehen! Betrachten wir
*)
Ohne uns mit dem Urteil vollständig zu
identifizieren, teilen wir hier doch gern die Gedanken
einer feinsinnigen modernen Frau über das vielum
strittene Buch Schnitzlers mit
D. Red.
1
kennt jedermann. Auch will ja dies keine er¬
schöpfende Kritik sein, nur ein paar Geleitworte
möchte ich dem „Reigen“ mitgeben bei seinem
Untertauchen in — die Vergessenheit. Denn soviel
man auch heute noch davon spricht, so gewiß
wird er in einigen Jahren spurlos= vom Schau¬
platze verschwunden sein. Denn ist die Luft an
em noch nicht dagewesenen einmal gestillt, was
bleibt dann noch übrig? — Schnitzlers Anhänger
loben die Natürlichkeit des Dialoges, und mit
Recht. Jedes Wort, sei es nun der Dirne oder
der jungen Frau, dem Soldaten oder dem Grafen
in den Mund gelegt, könnte wirklich genau so
gesprochen worden sein. Aber da fällt mir
leider ein, was Paul Goldmann neulich sagte
auch von einem unserer Großen: ... „In
Wirklichkeit aber beweist ein Antor, der 5 Akte
hier 10 Dialoge) lang Gewöhnliches sprechen
läßt, damit wohl nur, daß er nichts Ungewöhn¬
liches zu sagen weiß.“ Freilich, etwas Bedeu¬
tendes konnte Schnitzler seinen Reigenhelden nicht
in den Mund legen, denn in Situationen wie
die, in welchen er sie reden läßt, pflegt man,
wenn man überhaupt, so doch gewiß, nicht geist¬
reich zu reden. Uebrigens wird der Autor als
echter Naturalist auch den Momenten des Schwei¬
gens gerecht. Sie werden gekennzeichnet durch
lange Reihen von Gedankenstrichen
Mein Vorwurf richtet sich also nicht gegen die
Darstellung, sondern bloß gegen den Gegenstand,
der keiner ist. Das sind Photographien aus dem
Leben —
aus den tiefsten Tiefen desselben
welche der Amateur in seiner Schublade be¬
wahren mag, wenn es ihm Vergnügen macht,
die er aber dem Publikum nicht preisgeben sollte.
Schnitzler dürfte dies selbst empfunden haben,
denn schon 1896—97 ist der Reigen entstanden,
und erst im Sommer 1903 gelangte er in die
Oeffentlichkeit. Die Bilder sind eben gelungen
und es mochte dem Dichter leid tun, sie dem
Publikum vorzuenthalten. Er vergaß dabei nur,
daß eine gute Photographie eben noch lange kein
Kunstwerk ist. Auch der verständige Photograph
soll ja mit scharfem Blick das Charakteristische
jeder Persönlichkeit erfassen und trachten, es
möglichst zur Geltung zu bringen. Der Künstler
hingegen gibt von seiner eigenen Auffassung
dazu, von seiner Individualität. Nun von Schnitz¬
lers Individualität ist in diesem Werke nicht
viel zu verspüren. Ich habe es als das Werk
seiner Reife preisen hören — seiner Mannesreife
vielleicht, seiner Dichterreife gewiß nicht ..
Unseren geistreichen Schnitzler erkennen wir höch¬
stens an der sinnreichen Anordnung der Personen
(daher der Titel „Reigen"). Ein guter Einfall
nicht weniger, nicht mehr. Das Wenige
aber,
welches, uns von eigener Lebens¬
auffassung des Dichters aus seinem Werke ent¬
gegentritt, gehört einem blasierten Cyniker, der
sich mit den traurigen Wahrheiten des Lebens
längst abgefunden hat und nun mit Behagen
durch seine Brille blickt und sich nicht einmal
Zeit nimmt, sie hie und da ein wenig zu putzen.
Sicher gibt es Weiber und Männer, wie sie uns
im „Reigen“ entgegentreten. Viele sind so, viel¬
leicht die meisten
— aber nicht alle. Jedes echte
Dichtwerk aber ist vielseitig wie die Namr selbst.
So hat Schnitzler auch der Naturwahrheit nicht
seinen vollen Tribut entrichtet, trotzdem er der
Natur auf Kosten der Kunst ein weites Feld
einräumte. Und es ist dies auch gar nicht möglich.
Denn schließlich ist alle Kunst doch nur Illusion.
Wozu also solche Illusionen?
E. R.