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Reigen
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Schnitzlers „Reigen“.
„Glück? Bitt Sie, Fräulein, Glück gibts nicht
Ülberhaupt gerade die Sachen, von denen am meisten
g'redt wird, gibts nicht . . . z. B. Liebe. Das ist auch
o was! — Genuß . Rausch ... also gut, da läßt
sich nichts sagen . . . Das ist was sicheres. Jetzt ge¬
nieße ich . . . gut, weiß ich, ich genieß. Oder ich bin
berauscht, schön. Das ist auch sicher. Und ists vorbei,
so ist es halt vorbei. — Aber sobald man sich nicht
wie soll ich mich denn ausdrücken, sobald man sich
nicht dem Moment hingibt, also an später denkt oder
an früher . . . na, ist es doch gleich aus. Später..
ist traurig . . . früher ist ungewiß ... Man könnte
diese Worte des Grafen in der Szene „Die Schau
spielerin und der Graf“ Schnitzlers neuestem Buche
als Leitmotiv voranschicken. Die zehn Dialoge, die der
„Reigen“ umfaßt, muten uns wie eine Demonstration
zu den Ansichten des philosophierenden Rittmeisters
an: in jedem zwei Menschen, die in heiß aufwallender
Leidenschaft einander in die Arme fallen, einige Augen¬
blicke wilder Wollust in trunkener Seligkeit feiern, um
sich dann plötzlich ernüchtert zu enteilen und vielleicht
schon morgen den Sinnengenuß in anderen Armen zu
suchen und wahrscheinlich auch zu finden. Von wahr¬
hafter Liebe zu einander wissen die Leute herzlichst
wenig: ihre Leiber begehren einander und das
ausschlaggebend. Mag ihre Seele darob auch ver¬
kümmern! „Was geht mich Deine Seele an?“ sagt die
Schauspielerin zum Grafen und da dieser ihr erwidert
„Glaub mir, sie gehört mit dazu. Ich halte das für
eine falsche Ansicht, daß man das voneinander trennen
kann“ erklärt sie: „Laß mich mit Deiner Philosophie
in Frieden. Wenn ich das haben will, lese ich Bücher.“
Und der Edelmann, der so gerne den Stimmungs¬
menschen posiert, fühlt sich nicht im geringsten an¬
geekelt und verspricht, die Schauspielerin aufzusuchen.
Und so wie der Graf sind auch die übrigen Meäschen,
die uns in diesen Dialogen entgegentreten. Für sie
*) Wiener Verlag. Wien und Leipzig, 1903.
alle bedeutet die gegenseitige Hingabe nichts anders
als einen flüchtigen Rausch, es wäre denn, man nähme
die Dirne aus, die darin nurmehr einen Broterwerb
erblickt.
Es gibt Leute, die bei solcher Gelegenheit zu kon¬
statieren pflegen: „Traurig, aber wahr! Hätte der
Dichter das Problem in dieser Fassung gebracht, es
wäre ein tieftragisches Werk entstanden. Schnitzlers
„Reigen“ schlägt einen anderen Grundton an: Es ist
einmal so und wird so bleiben. Und so hat er denn
kein tragisches, wohl aber ein Buch geschrieben, darin
uns die Menschen geschildert werden, wie sie ein
Dichter sieht, der ihre Fehler nicht bloß kennt, sondern
auch begreift und verzeiht.
„Die Dirne und der Soldat“. „Der Soldat und
das Stubenmädchen.“ „Das Stubenmädchen und der
junge Herr. „Der junge Herr und die junge Frau.
„Die junge Frau und der Ehemann.“ „Der Gatte
und das süße Mädel.“ „Das süße Mädel und der
Dichter.“ „Der Dichter und die Schauspielerin.“ „Die
Schauspielerin und der Graf.“ „Der Graf und die
Dirne.“ Man errät aus dieser Zusammenstellung der
einzelnen Dialogtitel die Bedeutung des Gesamt¬
titels „Reigen“ und lernt gleichzeitig die handelnden
Personen des Buches kennen. Worin ihr Handeln
besteht, ist schon angedeutet worden: sie alle lauschen
wvillig der ewigen lockenden Wollustmelodie und tanzen
nach ihr in den tollsten Kreisen.
Schnitzlers kunstvolle Technik, mit der er in wenigen
Strichen Charaktere auf das dentlichste zu kennzeichnen
wveiß, tritt uns auch in seinem „Reigen“ entgegen.
Die Dirne, die so gerne einen Geliebten hätte und
später einmal heiraten will, der junge Herr, der un¬
endlich selig ist, endlich ein Verhältnis mit einer an¬
ständigen Frau zu haben, der Ehegatte, der zwischen
Flitterwochen und Freundschaftsepochen sorgsam unter¬
scheidet, das süße Mädel, das jedem neuen Verehrer
dieselben Lügen auftischt, der Dichter, der bald bloß
als Mensch um seiner selbst willen, bald wieder als
ruhmgekrönter Poet geliebt werden will, die Schau¬
spielerin, die auch im Leben stets Komödie spielt, und
schließlich der posierende Graf, das alles sind vollendet
treffliche Typen.
Das Buch selbst, mit Buchschmuck von der Hand
Berthold Löfflers, ist in einer äußerst geschmackvollen
Ausstattung erschienen.
Warum der „Reigen“ der bereits im Winter
1896/97 geschrieben ist, erst heute in Druck gelegt
worden ist, ist eine ungelöste Frage.
Robert Ticho.
Brünn.
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Schnitzlers „Reigen“.
„Glück? Bitt Sie, Fräulein, Glück gibts nicht
Ülberhaupt gerade die Sachen, von denen am meisten
g'redt wird, gibts nicht . . . z. B. Liebe. Das ist auch
o was! — Genuß . Rausch ... also gut, da läßt
sich nichts sagen . . . Das ist was sicheres. Jetzt ge¬
nieße ich . . . gut, weiß ich, ich genieß. Oder ich bin
berauscht, schön. Das ist auch sicher. Und ists vorbei,
so ist es halt vorbei. — Aber sobald man sich nicht
wie soll ich mich denn ausdrücken, sobald man sich
nicht dem Moment hingibt, also an später denkt oder
an früher . . . na, ist es doch gleich aus. Später..
ist traurig . . . früher ist ungewiß ... Man könnte
diese Worte des Grafen in der Szene „Die Schau
spielerin und der Graf“ Schnitzlers neuestem Buche
als Leitmotiv voranschicken. Die zehn Dialoge, die der
„Reigen“ umfaßt, muten uns wie eine Demonstration
zu den Ansichten des philosophierenden Rittmeisters
an: in jedem zwei Menschen, die in heiß aufwallender
Leidenschaft einander in die Arme fallen, einige Augen¬
blicke wilder Wollust in trunkener Seligkeit feiern, um
sich dann plötzlich ernüchtert zu enteilen und vielleicht
schon morgen den Sinnengenuß in anderen Armen zu
suchen und wahrscheinlich auch zu finden. Von wahr¬
hafter Liebe zu einander wissen die Leute herzlichst
wenig: ihre Leiber begehren einander und das
ausschlaggebend. Mag ihre Seele darob auch ver¬
kümmern! „Was geht mich Deine Seele an?“ sagt die
Schauspielerin zum Grafen und da dieser ihr erwidert
„Glaub mir, sie gehört mit dazu. Ich halte das für
eine falsche Ansicht, daß man das voneinander trennen
kann“ erklärt sie: „Laß mich mit Deiner Philosophie
in Frieden. Wenn ich das haben will, lese ich Bücher.“
Und der Edelmann, der so gerne den Stimmungs¬
menschen posiert, fühlt sich nicht im geringsten an¬
geekelt und verspricht, die Schauspielerin aufzusuchen.
Und so wie der Graf sind auch die übrigen Meäschen,
die uns in diesen Dialogen entgegentreten. Für sie
*) Wiener Verlag. Wien und Leipzig, 1903.
alle bedeutet die gegenseitige Hingabe nichts anders
als einen flüchtigen Rausch, es wäre denn, man nähme
die Dirne aus, die darin nurmehr einen Broterwerb
erblickt.
Es gibt Leute, die bei solcher Gelegenheit zu kon¬
statieren pflegen: „Traurig, aber wahr! Hätte der
Dichter das Problem in dieser Fassung gebracht, es
wäre ein tieftragisches Werk entstanden. Schnitzlers
„Reigen“ schlägt einen anderen Grundton an: Es ist
einmal so und wird so bleiben. Und so hat er denn
kein tragisches, wohl aber ein Buch geschrieben, darin
uns die Menschen geschildert werden, wie sie ein
Dichter sieht, der ihre Fehler nicht bloß kennt, sondern
auch begreift und verzeiht.
„Die Dirne und der Soldat“. „Der Soldat und
das Stubenmädchen.“ „Das Stubenmädchen und der
junge Herr. „Der junge Herr und die junge Frau.
„Die junge Frau und der Ehemann.“ „Der Gatte
und das süße Mädel.“ „Das süße Mädel und der
Dichter.“ „Der Dichter und die Schauspielerin.“ „Die
Schauspielerin und der Graf.“ „Der Graf und die
Dirne.“ Man errät aus dieser Zusammenstellung der
einzelnen Dialogtitel die Bedeutung des Gesamt¬
titels „Reigen“ und lernt gleichzeitig die handelnden
Personen des Buches kennen. Worin ihr Handeln
besteht, ist schon angedeutet worden: sie alle lauschen
wvillig der ewigen lockenden Wollustmelodie und tanzen
nach ihr in den tollsten Kreisen.
Schnitzlers kunstvolle Technik, mit der er in wenigen
Strichen Charaktere auf das dentlichste zu kennzeichnen
wveiß, tritt uns auch in seinem „Reigen“ entgegen.
Die Dirne, die so gerne einen Geliebten hätte und
später einmal heiraten will, der junge Herr, der un¬
endlich selig ist, endlich ein Verhältnis mit einer an¬
ständigen Frau zu haben, der Ehegatte, der zwischen
Flitterwochen und Freundschaftsepochen sorgsam unter¬
scheidet, das süße Mädel, das jedem neuen Verehrer
dieselben Lügen auftischt, der Dichter, der bald bloß
als Mensch um seiner selbst willen, bald wieder als
ruhmgekrönter Poet geliebt werden will, die Schau¬
spielerin, die auch im Leben stets Komödie spielt, und
schließlich der posierende Graf, das alles sind vollendet
treffliche Typen.
Das Buch selbst, mit Buchschmuck von der Hand
Berthold Löfflers, ist in einer äußerst geschmackvollen
Ausstattung erschienen.
Warum der „Reigen“ der bereits im Winter
1896/97 geschrieben ist, erst heute in Druck gelegt
worden ist, ist eine ungelöste Frage.
Robert Ticho.
Brünn.
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