11. Reigen
box 17/2
Würde des Individuums in einem Reich nicht ge¬
Nachdruck
Das Bild.
betbeten.
Eine beinahe wahre und lehrreiche Geschichte
von A. Dessauer.
* Schlendere ich da neulich mit einem alten
Freund aus lustiger Pennälerzeit die Ludwigstraße
entlang zur Staatsbibliothek. Der andere ist
Rechtspraktikant mit viel Ehre und 36 Pfg. Federn¬
geld und außer dem Reserveoffizier — ich hab' näm¬
lich auch anständige Bekannte. Sprechen wir da
von dem und jenem, und wie das nun einmal so
ist, wenn man mit solchen Herren bummelt, von
falschen und echten Ehrbegriffen und den Men¬
schenleben, die beiden schon geopfert wurden. „Ja,
es gibt Dinge ..., beginnt eben mein Schulfreund
mit Herablassung mir inferiorem Menschen gegen¬
über, da grüßt uns mit scheuem Blick ein schäbig
elegantes Ind viduum und hastetverbei wie einer,
der nicht angesprochen werden will. „Que ce que
cela?“ frägt mein Freund, der seit der Weltaus¬
stellung in Paris gern hie und da ein wenig fran¬
zösisch konversiert.
„Das? Das ist der Blaudinger, weißt, den der
rückenmarkschwindsüchtige Heinele, der größte
Pädagog vor dem Herrn, immer so bevorzugt hat,
weil er mit Hilfe einer Zwiebel im Sacktuch immer
so reumütig weinen konnte.
„So, der? Du sag' 'mal, der ist doch Direktor
an einem sehr rentablen Institut — warum kommt
denn der so daher?“
„Ja, weißt Du, den hat Ruisdal zu Grunde
gerichtet.“
„Ruisdal — Ruisdal, ein Niederländer?“
„Qui,“ antwortete ich, um auch meinerseits meine
französischen Kenntnisse auszukramen, „aber schon
ein paar Jahrhunderte tot.
„Und der hat ihn zu Grunde gerichtet? Spinnst
Du oder ich?“
„Aber Du wirst doch mit keinem Narren prome¬
nieren! Ruisdal hat den armen Blaudinger auf
dem Gewissen; laß Dir erzählen: Also der Blau¬
dinger war Direktor mit 3000 Mark Gehalt, einem
netten jungen Weiberl und einen Vordermann mit
Arterienverkalkung; hatte also alle Ursache, glück¬
lich zu sein und war 's auch. Geht er da eines Ta¬
ges in einem Seitengasserl bei einem Trödler vor¬
über und sieht ein altes Bild, das ihm gefällt. Spar¬
4## #.
143.30
1/3. 9 (4 Freisingr Brauerei
139.50P
4½ Maschinenbau-Ges. München
91—0
ienf 57.
½ Teisnach. Papierf.(à 105% rkz.)107.—
1/3. 9
###e 0.
sich's anders. Bietel der laufend Leare, Lacten
es mehr wert und er nimmt es immer noch, denkt er
sich und schreibt ab. Wie er sein Bild erhält, lädt er
einen Freund ein, der im Rufe eines Kunstkenners
steht und führt ihn vor das Bild. Der betrachtet
es zuerst mit halb zugekniffenen Augen von der
Ferne, dann von der Nähe, zieht eine Lupe aus der
Westentasche, kratzt mit den Fingernägeln unten
am Rande, dreht das Bild um, reißt es aus der
Rahme, fällt schließlich dem Blaudinger um den
Hals und erklärt ihm erzückt, das sei ein echter
Ruisdal, unter Brüder hunderttausend Mark
wert. Blaudinger will Lerst nicht recht daran
glauben, zuletzt aber glaubt er's hoch und ist über¬
glücklich. „Mein Lieber, sagt Blaudingers
Freund, „den mußt aber and##s rahmen lassen;
eine echte Glanzgoldrahme, eigens m Stil angefer¬
tigt, das hebt es erst.“ Blaudinger läßt sich beim
ersten Vergolder eine solche für hundert Mark an¬
fertigen und lädt wieder seinen Freund ein; der
blinzelt das Bild von vorne, von links und rechts,
mit der Hand die Augen beschattend, an, dann tippt
er sich mit dem Finger auf die Stirne: „Ich hab 's,
schau, Deine gelbe Tapete frißt Dir alle die fetten
goldenen Töne aus dem Bilde, die Glanzgoldrahme
paßt eigentlich auch nicht.“ Blaudinger entschließt
sich nach schweren inneren Kämpfen dazu, eine dun¬
kelrote teuere Lodertapete und einen dunkelgebeizten
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Würde des Individuums in einem Reich nicht ge¬
Nachdruck
Das Bild.
betbeten.
Eine beinahe wahre und lehrreiche Geschichte
von A. Dessauer.
* Schlendere ich da neulich mit einem alten
Freund aus lustiger Pennälerzeit die Ludwigstraße
entlang zur Staatsbibliothek. Der andere ist
Rechtspraktikant mit viel Ehre und 36 Pfg. Federn¬
geld und außer dem Reserveoffizier — ich hab' näm¬
lich auch anständige Bekannte. Sprechen wir da
von dem und jenem, und wie das nun einmal so
ist, wenn man mit solchen Herren bummelt, von
falschen und echten Ehrbegriffen und den Men¬
schenleben, die beiden schon geopfert wurden. „Ja,
es gibt Dinge ..., beginnt eben mein Schulfreund
mit Herablassung mir inferiorem Menschen gegen¬
über, da grüßt uns mit scheuem Blick ein schäbig
elegantes Ind viduum und hastetverbei wie einer,
der nicht angesprochen werden will. „Que ce que
cela?“ frägt mein Freund, der seit der Weltaus¬
stellung in Paris gern hie und da ein wenig fran¬
zösisch konversiert.
„Das? Das ist der Blaudinger, weißt, den der
rückenmarkschwindsüchtige Heinele, der größte
Pädagog vor dem Herrn, immer so bevorzugt hat,
weil er mit Hilfe einer Zwiebel im Sacktuch immer
so reumütig weinen konnte.
„So, der? Du sag' 'mal, der ist doch Direktor
an einem sehr rentablen Institut — warum kommt
denn der so daher?“
„Ja, weißt Du, den hat Ruisdal zu Grunde
gerichtet.“
„Ruisdal — Ruisdal, ein Niederländer?“
„Qui,“ antwortete ich, um auch meinerseits meine
französischen Kenntnisse auszukramen, „aber schon
ein paar Jahrhunderte tot.
„Und der hat ihn zu Grunde gerichtet? Spinnst
Du oder ich?“
„Aber Du wirst doch mit keinem Narren prome¬
nieren! Ruisdal hat den armen Blaudinger auf
dem Gewissen; laß Dir erzählen: Also der Blau¬
dinger war Direktor mit 3000 Mark Gehalt, einem
netten jungen Weiberl und einen Vordermann mit
Arterienverkalkung; hatte also alle Ursache, glück¬
lich zu sein und war 's auch. Geht er da eines Ta¬
ges in einem Seitengasserl bei einem Trödler vor¬
über und sieht ein altes Bild, das ihm gefällt. Spar¬
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143.30
1/3. 9 (4 Freisingr Brauerei
139.50P
4½ Maschinenbau-Ges. München
91—0
ienf 57.
½ Teisnach. Papierf.(à 105% rkz.)107.—
1/3. 9
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sich's anders. Bietel der laufend Leare, Lacten
es mehr wert und er nimmt es immer noch, denkt er
sich und schreibt ab. Wie er sein Bild erhält, lädt er
einen Freund ein, der im Rufe eines Kunstkenners
steht und führt ihn vor das Bild. Der betrachtet
es zuerst mit halb zugekniffenen Augen von der
Ferne, dann von der Nähe, zieht eine Lupe aus der
Westentasche, kratzt mit den Fingernägeln unten
am Rande, dreht das Bild um, reißt es aus der
Rahme, fällt schließlich dem Blaudinger um den
Hals und erklärt ihm erzückt, das sei ein echter
Ruisdal, unter Brüder hunderttausend Mark
wert. Blaudinger will Lerst nicht recht daran
glauben, zuletzt aber glaubt er's hoch und ist über¬
glücklich. „Mein Lieber, sagt Blaudingers
Freund, „den mußt aber and##s rahmen lassen;
eine echte Glanzgoldrahme, eigens m Stil angefer¬
tigt, das hebt es erst.“ Blaudinger läßt sich beim
ersten Vergolder eine solche für hundert Mark an¬
fertigen und lädt wieder seinen Freund ein; der
blinzelt das Bild von vorne, von links und rechts,
mit der Hand die Augen beschattend, an, dann tippt
er sich mit dem Finger auf die Stirne: „Ich hab 's,
schau, Deine gelbe Tapete frißt Dir alle die fetten
goldenen Töne aus dem Bilde, die Glanzgoldrahme
paßt eigentlich auch nicht.“ Blaudinger entschließt
sich nach schweren inneren Kämpfen dazu, eine dun¬
kelrote teuere Lodertapete und einen dunkelgebeizten