II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 81

11. Reigen
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Tekikrion.
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Münchener Theaker.
Aufführung des Akademisch=Dramatischen Vereins.
Von Kurt Aram.
München, 26. Juni.
Arthur Schnitzler beherrscht unter den deutschen Schrift¬
stellern von heute am feinsten die Kunst des reinen Dialogs,
die von altersher bei den Franzosen viel eifriger gepflegt wurde
wobei wir natürlich vom Dialog im Drama absehen. Den reinen
Dialog hält nur eine Frage, ein Problem, ein Einzelvorgang zu¬
sammen, keine Handlung im dramatischen Sinn. Bei den Enzyklo¬
pädisten findet man in Romanen und Novellen weite Strecken, die
nichts als Dialoge sind, und zwar moralphilosophische. Da sic
Plato kannten, nimmt das nicht Wunder. Während aber Plato,
namentlich in seinen älteren Dialogen, durch Rede und Gegenrede
nicht nur das gerade vorliegende Problem auseinanderlegt und
nach allen Seiten hin erörtert, sondern zugleich auch die Sprecher
nur nach ihrer Individualität reden und Einwände erheben läßt
odaß man neben der philosophischen Förderung zugleich auch einen
künstlerischen Genuß erfährt, machten die Enzyklopädisten es sich
meist leichter und ließen ihre Leute nur sagen, was den Autoren in
den Kram paßte. Ihre Dialogredner sind bestenfalls Typen, aber
keine Individualitäten. Sind sie zugleich Gegner des Problems
und seiner vom Autor erstrebten Lösung, so werden sie gern zu ko¬
mischen, lächerlichen Typen. Während wir aber ein Drama um so
höher stellen, je mehr Typisches wir an seinen Personen und ihren
Einzelschicksalen erleben können, ist der reine Dialog künstler¬
um so wertvoller, je weniger Typisches seine Figuren haben, je
individueller sie sind. Freilich, um so schwerer ist ein solcher Dialog
auch, denn dem Autor steht hier zur Individualisierung keine Be¬
chreibung. Umschreibung, Schilderung oder dergleichen zur Ver¬
fügung, sondern nur die direkte Rede. Selbst die Beschreibung und
Charakterisierung der einen Figur durch die Reden einer andern ist
ja nur ein Notbehelf, ein künstlerischer Mangel. Unter den Alten
war Lucian Meister in solchen Dingen. Er gibt fast immer nur
die Namen der dialogisierenden Personen, den Ort, die Situation
in der sie sich befinden, und ihre Worte. Weiter nichts. Wenn
übrigens in modernen Dramen die Personalbeschreibungen oft
außerordentlich detailliert sind, so ist es vor allem ein Hilfsmittel
für den Schauspieler und muß wenigstens kein Mangel des
Autors sein. Der reine Dialog aber wendet sich in erster Linie an
den Leser, und zwar wie jedes literarische Kunstwerk an den intelli¬
genten und phantasiebegabten Leser. Deshalb sind hier solche
Beihilfen unter allen Umständen Mängel des Kunstwerks selbst
Eselsbrücken.
Neben philosophischen Problemen waren es von jeher gesell¬
schaftliche und erotische Vorgänge und Fragen, denen der reine
Dialog galt. Lucians Hetärengespräche sind ja bekannt und be¬
rühmt. In Schnitzler's „Reigen“ besitzen wir etwas Aehnliches,
eine Psychologie des Geschlechtslebens, die sich an Offenherzigkeit
und geistiger Freiheit, aber auch an künstlerischer Feinheit mit
Lucian messen kann. Und wie aus Lucian, dem Niedergangsdichter,
o lächelt auch aus diesen zehn Dialogen eine leichte Ironie und
milde Traurigkeit. Schnitzler hat auch in dies Getriebe zu tief hinein¬
gesehen, um noch naiv sein zu können, aber doch nicht tief genug
zum wahrhaft befreienden Lachen. Dirne und Soldat, Soldat und
Stubenmädchen, Stubenmädchen und der junge Herr, der junge
Herr und die junge Frau, die junge Frau und der Ehegatte, der
Ehegatte und das süße Mädel — diesen drei letzten Dialogen galt
die Aufführung —, das süße Mädel und der Dichter, der Dichter
und die Schauspielerin, die Schauspielerin und der Graf schlingen
den Reigen, und der Graf und die Dirne schließen ihn. Nicht Mann
und Weib, nur Männchen und Weibchen, aber aus allen Gesell¬
chaftsschichten, ante und post lestum. in kleinen, sicheren Strichen
hingeworfen, ohne eine zotige Silbe im Dialog, so recht eine Ar¬
tistenkunst, wie sie dichterisch kleinen Zeiten — man denke wieder
an Lucian — als Blüte beschieden ist. Diese Dialoge Schnitzlers
dürften in der Literatur das gleiche Schicksal haben wie Lucians
Hetärengespräche; und ihr Erfolg wird dem Dichter ein neuer
Anlaß zu leichtem, ironischen Lächeln sein.
Diese redenden Bilder, wenn auch nur in Auswahl, auf die
Bühne zu bringen, war ein Wagnis. Sie gehören ihrer Kunst¬
gattung nach nicht dahin, können also leicht in ihrer Wirkung
versagen, zumal wenn die Schauspieler vergessen, daß sie beim
Drama nur Dialoge vor sich haben. Ein Wagnis aber auch des
Süjets wegen, denn auch ein geladenes Publikum ist noch nicht
unter allen Umständen ein gewähltes. Daß sich der hiesige Aka¬
demisch=Dramatische Verein trotzdem nicht abschrecken
ließ, war erfreulich und wurde gestern auch reichlich belohnt durch
den starken Beifall der Zuschauer, die ihre Freude hatten an den
köstlichen Dialogen, trotzdem der Polizeistift in ihnen gewütet und
viel von ihrem Besten zerstört hatte, trotzdem unter den zehn sich
darstellerisch wirksamere hätten finden lassen als die erwählten.
Auch mit der schauspielerischen Wiedergabe konnte man oft zufrie¬
den sein. Nur nicht beim dritten Dialog: der Ehegatte und das
üße Mädel. Er steht und fällt mit einer möglichst wienerischen
Wiedergabe, die nicht geboten werden konnte.
Voraus ging ein tragischer Einakter: „Die Tragödie
des Triumphes“ von Karl Goldmann, einem
offenbar noch jungen Herrn, der den Mangel an Erfahrung durch
eine überaus heftige Phraseologie über die Hoheit der Kunst zu
ersetzen suchte. Doch blieb die grünliche Naturfarbe trotz aller
düsteren Weisheitsschminke so sichtbar, daß statt mit der erstrebten
Ergriffenheit mit Heiterkeit quittiert wurde. Da der Autor mit
den Jahren sicherlich weniger jugendlich Unreifes produzieren wird,
hätten ihm seine atademisch=dramatischen Freunde diesen Mißerfolg
besser erspart.