box 17/2
11. Reigen
ym Schnitzler's „Reigen“ in München. Man
schreibt uns aus München, 27. d.: Die
Münchener Polizei war so gütig, wenigstens eine
Theilprobe auf die Bühnenwirksamkeit der pracht¬
vollen Dialoge Arthur Schnitzler's zuzulassen
die als Buch längst einen sogenannten Massen¬
erfolg genossen haben, trotzdem sie als Kunst
werk feinste Qualitäten aufwiesen. Unser rühriger
Akademisch= dramatischer Verein
wollte sich das Recht der Uraufführung
des „Reigen“ nicht nehmen lassen, und das
er nicht alle zehn Variationen aus der großen
Symphonie der Geschlechter in cyklischer Ge
schlossenheit vorführen konnte, sondern nur drei
davon (der junge Herr mit der Ehefrau, die Frau
mit dem Ehegatten, der Ehegatte mit dem süßen
Mädel), ist der sittenbeschützenden Fürsorge der
königlich bayrischen Moralbehörde zu danken, die
trotzdem die Aufführung nur vor geladenen
Gästen stattfand, das Experiment überdies von
einer Anzahl starker, die Deutlichkeit der Situa¬
tion stark verdunkelnder Striche abhängig
gemacht hatte! Nun, das Experiment ist trotz all
dieser Hindernisse, wozu eine mangelhafte Dar¬
stellung kommt, vollauf gelungen: es besteht kein
Zweifel mehr, daß der „Reigen“ bei einer
richtigen Bühnenbelebung, das heißt im
Stil einer zart und schattenhaft rhythmisirten
Causerie, bei intimer Inscenirung und raschem
Scenenwechsel eine zehnfach stärkere dichterische
Kraft ausströmt wiein der Buchlectüre. Das Haupt
der Jung=Wiener Schule hat in München einen
vollen Triumph gefeiert.
— Schnitzler
führt bekanntlich in diesen ebenso kühnen wie
geistvollen Dialogen eine Reihe unehelicher und
ehelicher Sentiments, Ekstasen der Liebe und ihre
wechselvollen Reactionen vor zwischen zehn Per¬
sonen: Dirne und Soldat, Soldat und Stuben¬
mädchen, Stubenmädchen und junger Herr,
junger Herr und Ehefrau, Ehefrau und Gatte,
Ehegatte und süßes Mädel, süßes Mädel und
Dichter, Dichter und Schauspielerin, Schau¬
spielerin und Graf, endlich
—
der fein¬
verschlungene Reigen schließt sich mit den scheinbar
extremsten Typen — Graf und Dirne. Es braucht
schon das ganze artistische Raffinement, die
ichere Gestaltungskraft und die feine „Grazie
im Unanständig.n“ eines Schnitzler, um auf
diesem schlüpfrigen Boden nicht zu entgleisen
und die höchst eindeutigen Situationen nicht
ins
Lascive, in das beliebte Milieu: „Nur
für
Herren!“ zu vergröbern. Man muß es aufrichtig
bewundern, mit welcher Feinheit des Geschmackes
Arthur Schnitzler hier die größten Kühnheiten
ausspricht, wie er die verborgensten Regungen
im unendlich complicirten Geschlechtskampf aus¬
zuspüren weiß. Die Darstellung war,
wie schon angedeutet, im Stil der Rede und im
Rhythmus viel zu pastos, viel zu schwerfällig,
zu „norddeutsch“. Derartige galante Seelenstände
Wiener Typen) hört man wohl am vollkom
mensten in Wien selbst. Als tragikomischen
Prolog zu Schnitzler's Ehrenabend mußte mar
den mißglückten dramatischen Gehversuch eines
blutjungen Anfängers, Karl Goldmann, in
Kauf nehmen. Der unreife Einacter führte den
verstiegenen Titel: „Die Tragödie des
Triumphes“, ein Katarakt dröhnender
Phrasen vom Künstlerwert, Künstlerschmerz
und Künstlerfreiheit. Man kennt ja derartige
nutzlose Lamentos unserer Pubertäts=Dichter zur
Genüge. Das Publicum ging ohne weitere Auf¬
regung lachend zur Tagesordnung über.
11. Reigen
ym Schnitzler's „Reigen“ in München. Man
schreibt uns aus München, 27. d.: Die
Münchener Polizei war so gütig, wenigstens eine
Theilprobe auf die Bühnenwirksamkeit der pracht¬
vollen Dialoge Arthur Schnitzler's zuzulassen
die als Buch längst einen sogenannten Massen¬
erfolg genossen haben, trotzdem sie als Kunst
werk feinste Qualitäten aufwiesen. Unser rühriger
Akademisch= dramatischer Verein
wollte sich das Recht der Uraufführung
des „Reigen“ nicht nehmen lassen, und das
er nicht alle zehn Variationen aus der großen
Symphonie der Geschlechter in cyklischer Ge
schlossenheit vorführen konnte, sondern nur drei
davon (der junge Herr mit der Ehefrau, die Frau
mit dem Ehegatten, der Ehegatte mit dem süßen
Mädel), ist der sittenbeschützenden Fürsorge der
königlich bayrischen Moralbehörde zu danken, die
trotzdem die Aufführung nur vor geladenen
Gästen stattfand, das Experiment überdies von
einer Anzahl starker, die Deutlichkeit der Situa¬
tion stark verdunkelnder Striche abhängig
gemacht hatte! Nun, das Experiment ist trotz all
dieser Hindernisse, wozu eine mangelhafte Dar¬
stellung kommt, vollauf gelungen: es besteht kein
Zweifel mehr, daß der „Reigen“ bei einer
richtigen Bühnenbelebung, das heißt im
Stil einer zart und schattenhaft rhythmisirten
Causerie, bei intimer Inscenirung und raschem
Scenenwechsel eine zehnfach stärkere dichterische
Kraft ausströmt wiein der Buchlectüre. Das Haupt
der Jung=Wiener Schule hat in München einen
vollen Triumph gefeiert.
— Schnitzler
führt bekanntlich in diesen ebenso kühnen wie
geistvollen Dialogen eine Reihe unehelicher und
ehelicher Sentiments, Ekstasen der Liebe und ihre
wechselvollen Reactionen vor zwischen zehn Per¬
sonen: Dirne und Soldat, Soldat und Stuben¬
mädchen, Stubenmädchen und junger Herr,
junger Herr und Ehefrau, Ehefrau und Gatte,
Ehegatte und süßes Mädel, süßes Mädel und
Dichter, Dichter und Schauspielerin, Schau¬
spielerin und Graf, endlich
—
der fein¬
verschlungene Reigen schließt sich mit den scheinbar
extremsten Typen — Graf und Dirne. Es braucht
schon das ganze artistische Raffinement, die
ichere Gestaltungskraft und die feine „Grazie
im Unanständig.n“ eines Schnitzler, um auf
diesem schlüpfrigen Boden nicht zu entgleisen
und die höchst eindeutigen Situationen nicht
ins
Lascive, in das beliebte Milieu: „Nur
für
Herren!“ zu vergröbern. Man muß es aufrichtig
bewundern, mit welcher Feinheit des Geschmackes
Arthur Schnitzler hier die größten Kühnheiten
ausspricht, wie er die verborgensten Regungen
im unendlich complicirten Geschlechtskampf aus¬
zuspüren weiß. Die Darstellung war,
wie schon angedeutet, im Stil der Rede und im
Rhythmus viel zu pastos, viel zu schwerfällig,
zu „norddeutsch“. Derartige galante Seelenstände
Wiener Typen) hört man wohl am vollkom
mensten in Wien selbst. Als tragikomischen
Prolog zu Schnitzler's Ehrenabend mußte mar
den mißglückten dramatischen Gehversuch eines
blutjungen Anfängers, Karl Goldmann, in
Kauf nehmen. Der unreife Einacter führte den
verstiegenen Titel: „Die Tragödie des
Triumphes“, ein Katarakt dröhnender
Phrasen vom Künstlerwert, Künstlerschmerz
und Künstlerfreiheit. Man kennt ja derartige
nutzlose Lamentos unserer Pubertäts=Dichter zur
Genüge. Das Publicum ging ohne weitere Auf¬
regung lachend zur Tagesordnung über.