II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 104

11. Reigen
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zudem beinahe ein großer Mann geworden. Sonst blieb freilich alles
beim alten. Und manchem schien jetzt die angebliche Morgenröte nur
ein letztes Abendglühen gewesen zu sein.
Vor allem blieb die Gefahr der Lex Heinze viel lebendiger als
ihre Bekämpfer. Gewiß ist sie nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt
wiedergekommen. Sie begnügte sich — nach kurzer Schonzeit —
parlamentarisch=denunziatorisch, administrativ, disziplinarisch, polizei¬
mäßig, kurzum auf kaltem Wege zu wirken. Statt des Gesetzes, das
man vor ganz Europa blamiert hatte, haben wir die Praxis. Und
die ist mannigfaltig.
In der diesjährigen Landtagssession war es Herrn Dr. Schädler
vorbehalten, als freiwilliges Organ der nicht Gesetz gewordenen Lex
Heinze zu wirken und der weißblauen Sittlichkeit ein getreuer Hüter
zu sein. Leider war ihm nur eine kleine Aktion beschieden, obwohl¬
er durch den ganzen Sommer aus Zeitungen Zitate gesammelthaue
die von Berlin bis Augsburg reichten. Indes die Berline##ge
sich selbst mit ihren unsittlichen Auslagen der Buchhandlungen ab
finden, da für sie unseres Wissens der bayerische Landtag in
nicht kompetent
wares denn aber, was die moralt
üstung
geordneten innerhalb der bayerischen Zustät
regte, sodaßeer am 2#ltober sich zu fragen veranlaßt
ob der Herr Polizeiminister vollständig zum
schehenlassen und Zuschauen (laisser faire, laisser aller
verurteilt sei. Aus den Zeitungsausschnitten des Herr
Schädler, der von all dei, was er hier verurteilt und angreift, nichts
mit eigenen Augen und Ohren erlebt hat, stiegen zunächst die bösen
11 Scharfrichter empor. Dann kam der akademisch=drama¬
tische Verein an die Reihe, weil er am 25. Juni Schnitzlers
Reigen aufgeführt hatte und der Theaterreferent der „liberalen“
Allgemeinen Zeitung — auf den sich Herr Schädler allein
berief — sich den blutigen Kalauer nicht hatte verkneifen können, diese
Schauspiele kleine „Sauspiele“ zu betiteln. Grund genug für
Herr Schädler, nach der Polizei zu schreien.
Solche Jeremiaden und moralische Anreizungen der Polizei, würden
uns wenig bekümmert haben, wenn sie nicht gewisse Folgen gehabt
hätten. Die 11 Scharfrichter verfielen unnötig verschärfter Zensur,
Ueberlassen wir sie für heute ihrem Schicksale. Gegen den Akademisch¬
dramatischen Verein aber konnte die Polizei beim besten Willen nichts
mehr ausrichten. Geschehenes kann selbst die Polizei nicht ungeschehen
machen. Die zarten Andeutungen des Herrn Schädler hätten jedoch
auch im Kultusministerium aufmerksame Beachtung gefunden.
Dieser sittenverderbende Akademisch=dramatische Verein untersteht doch
der hohen Weisheit des akademischen Senats und der Disziplinar¬
Gewalt des Rektors. Also bedachte es ein hohes Ministerium. Die
Anschläge des Vereins am schwarzen Brett der Universität verschwan¬
den nun plötzlich; der Rektor hatte sie entfernen lassen. Auf wieder¬
holte Vorstellungen hin konnte nicht verschwiegen werden, daß das
Ministerium das Rektorat zur Untersuchung angewiesen und dabei
auf die Kritiken in der Wahrheit von Dr. Kausen und im Bayeri¬
schen Vaterland — diese Zusammenstellung würde Dr. Sigl wenig
Freude bereitet haben — hingedeutet habe. In diesen aber sei die
obbesagte Vorführung als unsittlich gebrandmarkt worden. Damit
endet vorläufig die Rettung der bayerischen Moralität.
Inzwischen hat bereits Dr. Kausen erklärt, daß er seine Kritik
wesentlich auf die der Allgem. Ztg. gestützt habe, und mit dem Bayer.
Vaterland, das gewiß keine literarischen Ambitionen hat, wirds wohl
auch nicht anders sein. Warum beruft sich übrigens Schädler auf
bie „liberale“ Allgem. Ztg. und das Ministerium auf nichtliberale
Blätter? So erleben wir denn das ergötzliche Schauspiel, daß auf
Grund einer abfälligen Kritik ein Abgeordneter über ein Stück, das
er selbst nicht im geringsten kennt, Anklage erhebt, die Polizei auf¬
ruft und ein Ministerium in Bewegung setzt, das selbst auch nicht in
die Prüfung der Sachlage eintritt und sich dabei auf Kritiken bezieht,
die ohne eigene Sachkenntnis geschrieben sind. Ich möchte nur wissen,
ob schließlich der hohe Senat sich ein eigenes Urteil über Stück und
Aufführung bilden wird.
Um den Schnitzlerschen Reigen hat sich ein neuer Reigen ge¬
schlungen. Herr Schädler eröffnete ihn gravitätisch, das Ministerium
knixte zierlich nach, dann kamen die gelahrten Herren, die langsam
pedantisch noch im ungewohnten Takte sich drehen. Und nun ist die
Reihe an den jungen Herrn. Ob das wohl die neue Podewilsweise
ist? In Rom soll sie ganz anders geklungen haben.
Diese ganze Haupt= und Staatsaktion würde zumal in diesen
trüben Tagen ein erfreuliches Zwischenspiel abgeben, wenn sie nicht
im Grunde doch verdammt ernst wäre.
Denn Schnitzler ist kein Pornograph. Sonst wäre sein Reigen
nicht noch in jeder Buchhandlung zu erhalten. Dieser witzige Dialog¬
künstler hat durch ein paar nette Stücke längst seinliterarisches Rech