II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 126

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Reigen
Faun im Schilf
Der Abend schwelt auf dem verschilften Teich,
Es ist so still um mich die Luft, so weich.
Ein Faun bläst tief im Nöhricht seine Flöte,
Dom Himmel bleicht des Tages letzte Röte.
Und leise von den Wipfeln kommt die Nacht
Der Fann im Schilf horcht auf und bläst ganz sacht.
Joseph Schicht.
Vom alten Glücke singen will mein Lied
Dom alten Glücke singen will mein Lied,
Denn wiederum schlug ihren früheren Sang
Die Nachtigall, von Hoffnung, die verklang,
Don Liebe, die entstand in jener Nacht
Mit Märchenglanz in eines Gartens Dracht
Die Rosen dufteten, fernher der Dogel rief.
Doch bald entschwand das Glück — und bald entschlief,
Was purpurn war und schön in uns ... die Liebe schied.
Julius Konst. von Hoeßlin.
Wetersrerererererererererererererer
AAtt
Arthur Schnitzlers „Reigen“ und die Kritik“)
von
Hdolf Dannegger
„Ein Kritiker ist nicht dazu da, seinen moralischen Vor¬
urteilen Luft zu machen!“ Dieses Wort eines modernen eng¬
lischen Schriftstellers sollten sich jene Herren Rezensenten zu
Herzen nehmen, welche die „Moral“ und die Kunst immer
noch unter einen Hut bringen, miteinander verkuppeln wollen.
Alle ernsthaften Künstler bemühen sich in unsern Tagen, dem
Laienpublikum klarzumachen, daß die Schönheit keinen Um¬
gang mit der Tugend zu haben braucht, daß auch die Volks¬
wohlfahrt mit der Literatur nicht verheiraret ist und beide nicht
für einander zu sorgen haben: es macht nichts aus.
Wo
irgendwie eine Statue gebildet, ein Bild gemalt, ein Buch ge¬
schrieben wird, welches das auf das sechste Gebot hin gedrillte
Gefühl des Spießbürgers verletzen kann, sofort erstehen Leute
und schreien und schreiben über die Sittenlosigkeit. Heinrich
Heine hat sehr wohl daran getan, daß er einen solchen Moral¬
hanswursten, Wolfgang Menzel, direkt bei seiner fragwürdigen
Körperlichkeit angriff und ihn so dem Gespött der Mit= und
Nachwelt überlieferte. Ein derartiger defensor pudicitiae
glaubt zumeist selber nicht an sein Pathos und hüllt sich nur
aus „geschäftlichen“ Gründen in den sittlich=religiösen Bettel¬
mantel, das ist das ganz Klägliche an der Sache. Denn wer
im Ernst die Berechtigung des Künstlers leugnet, erotische
Stoffe zu gestalten, der dürfte nur den wenigsten unserer be¬
rühmten Dichter diesen Ehrentitel lassen. Doch darüber ist kein
*) Uraufführung dreier Dialoge aus dem „Reigen“ durch den
Münchner Akademisch=dramatischen Verein, am 25. Juni a. c. im
Kaimsaale.
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Wort weiter zu verlieren. Eine andere Frage ist die, wie weit
ein Dichter in der Darstellung geschlechtlicher Dinge gehen darf.
Ich behaupte, daß hier keine Grenzen gezogen werden können.
Petronius bleibt der geistvollste Satiriker Roms trotz seiner
manströsen Obscönitäten, Rabelais' kräftigste Zoten schaden
seinem Ruhm nichts. Und ist vielleicht Goethe deswegen kleiner,
weil er das „Tegenuchgeschrieben hat, das an Deutlichkeit
doch nichts zu inschen übrig läßt? Ja, ich gehe so weit, daß
ich jede unnatürliche Iuchtchaltung im Ausmalen sexueller
Dinge für verwerflich, unkünstlerisch erkläre. Ich halte es mit
der fröhlichen Weisheit des Quintus Valerius Catullus:
„Castum esse decet pium poctam
Ipsum, versiculos nihil necesse est,
Qui tum denique habent salem ac leporem,
Si sint molliculi ac parum pudiei
Et quod pruriat incitare possint,
Non dico pueris, sed his pilosis,
Qui duros nequennt movere lumbos.“
Hat sich ein Dichter darum zu kümmern, was für Folgen sein
Werk hervorrufen kann? Ist Homer dafür verantwortlich zu
machen, daß seine Verse den Nero anfeuerten, Rom in Brand
zu setzen. Muß man den Decamerone des Boccaccio vernichten
weil ein späterer Kritiker von dem Buch behauptete, es triebe
die jungen Männer in die Bordelle? Ist Goethes Werther
ein verwerflicher Roman, weil sich nach seiner Lektüre ein paar
überspannte Menschen umbrachten? Moralische Forderungen
an ein Kunstwerk zu legen, das ist unanständig. „Es gibt
keine moralischen und unmoralischen Bücher. Bücher sind gut
oder schlecht geschrieben. Weiter nichts. Damit hat Oskar
Wilde endgültig den Standpunkt fixiert, den wir einzunehmen
haben. Damit ist auch dem Vorwurf die Spitze abgebrochen,
als ob man pornographische Schundschriften in Schutz nehmen
wollte; dem Dichter steht das Recht der Zügellosigkeit zu, der
Banause hat alle Schranken zu respektieren, die um ihn aufge¬
richtet werden. Ueber Arthur Schnitzlers „Reigen“*) sind die
moralseligen Rezensenten wütend hergefallen. Nun wäre es
weiter ohne Belang, wenn z. B. ein „Aesthetiker“ von den
Qualitäten des Herrn Stauf von der March in der Wiener
Zeitschrift „Neue Bahnen“ das Werk eine „Verschweinung
unseres Schrifttums“ nennt; nachdenklicher jedoch macht schon
das Urteil eines unserer schneidigsten Münchner Kritiker, der
in einem dröhnenden Protest gegen den „Reigen“ von seinem
Verfasser erklärt, er habe seinen guten, „öffentlich mit am
meist geehrten Namen durch diese Veröffentlichung beschmutzt
und frivol gefährdet, wenn nicht verloren". Es mag darum
auch an dieser Stelle eine kurze Analyst des Werkes gestattei
ein. Die zehn Dialoge, die sich zum „Reigen“ vereinigen,
pariieren das gleiche Thema: Mann und Weib ante et post
coitum. Dirne und Soldat genießen ihr sehr simples Ver¬
gnügen spät abends unten am Donauufer. Der gleiche Soldat
verführt resolut und brutal im Prater ein naives Stuben¬
mädchen, das findet wiederum den Gefallen des jungen Herrn,
der sich zur Vertreibung der Langeweile mit ihr amüsiert. Der
junge Herr hat ein Rendezvons mit der jungen Frau, welches
nach einem anfänglichen Fiasko doch zu glücklichem Ausgang
führt (das ist wohl die „stärkste“ Stelle des Werkes!). Im
fünften Dialog finden wir die junge Frau mit dem Gatten;
auch hier tut das Bett, der Barometer der Ehe, wie Balzac
es genannt hat, seine Pflicht. Im chambre séparée umarmt
der Gatte das süße Mädel. Dessen Herz und Leib hat auch
ein Dichter erobert, der nach ihr die Freuden einer Schau¬
spielerin kostet. In den beiden letzten Akten tritt der Graf
auf, zuerst bei der Schauspielerin und dann bei der Dirne, in
beiden Fällen als ziemlich passiver Liebhaber. Mit der Dirne
kehrt der Reigen zu seinem Ausgangspunkt zurück und es
rundet sich somit diese corona Veneris aufs beste. „Die
Liebe besteht aus Gesprächen“ um Balzac und seine physio¬
logie de l'amour nochmals zu zitieren. So schwirrt der
*) Das Buch erschien im Wiener Verlag, Wien und Leipzig.