II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 161

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ösung entgegen. Man will auf dem nahen Leopoldsberg für viele
Millionen eine moderne Walhalla, ein Bollwerk des Katholizismus er¬
bauen, aber der Kirchenmusik zwackt man allenthalben die Subvention
ab, man läßt sie in Wien zerfallen, verdorren. Die ersten Musiker
Europas standen einst an der Spitze, in den Reihen der Wiener Hof¬
kapelle. Hans Richter war in der stolzen Linie der letzte Hofkapell¬
meister, der noch einen weltbekannten Namen hatte. Ihm folgte Josef
Hellmesberger der Jüngere. Er wurde vor kurzer Zeit infolge einer
jener „privaten Affären“, die sich durch seinen Lebenslauf ziehen und
auf die Straße sich verpflanzten, von der höchsten Musikstelle des
Reiches, die ihm gar nicht gebührt hatte, herabgestürzt. Zur allgemeinen
Verwunderung wurde der Chormeister der Hofoper zum Hofkapellmeister
ernannt, ein gewiß fleißiger, braver, rechtschaffener Mann, der sich nur
im Glanze eines altberühmten Instituts, das sogar an Mozart und
Sch#pert hochmütig vorbeigesehen hatte, recht wunderlich ausnimmt.
Dem altehrwürdigen Konservatorium — in Wien ist jetzt so vieles
erging es nicht besser. Ihm wurde ein gleich¬
alt und ehrwürdig —
falls fleißiger, braver, rechtschaffener Mann zum Direktor gegeben, der
keinen künstlerisch bedeutenden Namen, keine Autorität besitzt. Er
kann dem Zöglingsorchester, das lange eine ausgezeichnete Pflanzschule
der Wiener Musiker war, keine Feinheit, keine gediegene Orchester¬
echnik, nicht einmal die rechten Tempi zubringen. Wer möchte sich
der jetzigen Direktion unterordnen? Zumeist mißlingt daher die Be¬
rufung hervorragender Lehrer. Das Kunstdepartement der Regierung
macht alle Anstrengungen, das Institut wieder zu heben: das Konser¬
vatorium soll einmal verstaatlicht werden. Versteinerte Greise und
banausische Geldmänner sitzen aber noch im hohen Rate der Bildungs¬
anstalt. Soll die Fürsorge der Regierung fruchten, so müßte da vor¬
erst gründlicher als bisher „ausgelüftet“ werden. Das Konservatorium,
welchem Hans Richter, Felix Mottl, Arthur Nikisch, Gustav Mahler als
Zöglinge angehört hatten, hat den Zusammenhang mit dem öffentlichen
Leben in Wien verloren. Es ist eine Insel der Unseligen geworden.“
„Vielleicht kommt den Wienern auch ein neuer Walzer-Dirigent
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aus dem — Norden. Will man erkennen, wie Grazie und Zartheit aus
dem Wiener Leben schwinden, so betrachte man das Bild des jüngsten
Johann Strauß, der ein Neffe des wirklichen Johann ist, an der Spitze
seines Tanzorchesters. Der Wiener Konzertverein hat die größte Mühe,
für die populären Konzerte einen jüngeren Wiener Kapellmeister zu
finden, der Strauß und Lanner lebendig, schwungvoll dirigieren könnte
* *
und doch auch von ernsteren Regungen sich bestimmen ließe.
Die österreichische Linie der Anmut, des leichten, freien Aufschwungs
Das Wiener Feuilleton wird bald
geht den Wienern verloren
gänzlich durchs Interview, durchs eilige Bleistiftgekritzel auf dem Hut¬
futter abgelöst werden. Was der Schriftsteller zu sagen, aus sich zu
holen weiß, interessiert gar nicht mehr — man soll erfahren, was die
Leute, und seien es die unbedeutendsten, durch den geschäftigen Blei¬
stiftler zu sagen haben. Darum wuchert auch der Theaterklatsch