II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 169

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11. Reigen
Wieicht An einen Lest..
Juristgebunden w##, wußte der Senat die Kandidäten der
ubriem nicht saufmännischen und nicht gelehrten Klassen Fern¬
K. Hermann Bahr über Arthur Schnitzler. Vor wenigen
Wochen wurde der akodemisch=dramatische Verein in München
aufgelöst, weil ## einige Dialoge aus Arthur Schnitzlers
Dialogbuch „Reigen“ auf die Bühne gebracht hatte. Wir haben
unsere Auffassung, daß die Aufführung dieser Szenen auch in
künstlerischer Hinsicht eine Geschmacklosigkeit bedeutete, niemals ver¬
hehlt, tragen ab## such kein Bedenken, die Auflösung der immerhin
verdienten literarischen Vereinigung für eine nutzlose Härte zu erklären.
Inzwischen snd nus aus unserem Leserkreise so viele Anfragen
über das Buch Schnitzlers zugegangen, daß es geboten
erscheint, einmal ein paar Worte über das merkwürdige Werk
zu sagen, damit die irrigen Ansichten, die darüber im Umlauf sind,
richtig gestellt werden. Wir geben zu diesem Zwecke einige Sätze aus
einer Schrift wieder, die Hermann Bahr der Statthalterei in
Wien zugehen lies, um die ihm bisher noch verweigerte Erlaubnis
zu einer Vorlesung der Schnitzlerschen Dialoge zu erhalten. Der
Autor des „Meister“ schreiht:
Es hat unserer Publizistik an dem Mute gefehlt, öffentlich für
das Werk Schnitzlers einzutreten. Gewiß, viele unserer Schriftsteller
und Kritiker erkennen den literarischen Wert der Dichtung Schnitzlers
voll an, aber in keinem Blatte ist ein Artikel für das Buch erschienen.
So wurde das Werk eines Dichters totgeschwiegen, ja schlimmer als das,
dem Unverstande und der Gehässigkeit preisgegeben. Durch die Vorlesung
vill ich den Folgen dieser Unterlassung entgegentreten und will in
den Hörern die Erkenntnis erwecken oder die Ueberzeugung bekräftigen,
daß es sich hier um einliterarisches Werk handelt, daß die Form des Ganzen
und die Idee, die ihm zu Grunde liegt, es zu einem Kunstwerke
machen, daß die heiklen Situationen, die in ihm vorkommer nicht in
den Dienst frivoler Spielerei, sondern ernster Gedanken gestellt und
nicht um ihrer selbst willen, sondern aus künstlerischen Gründen mit
künstlerischer Notwendigkeit behandelt sind.
Schnitzlers „Reigen“ zeigt in satirischer Form die Konsequenz
davon, daß unserer Anlage nach und noch mehr unserer Gesellschafts¬
ordnung nach das sexuelle Moment in den Mittelpunkt des ganzen
Lebens gestellt ist. Schnitzler führt uns in Beispielen, die mit Absicht aus
den verschiedensten Gesellschaftsschichten gewählt sind, vor, wie anders
der „Werbende“, wie anders der „Erhorte“ sich benimmt. Um diese
Kontraste wirksam und überzeugend zu gestalten, hat sie der
Dichter so nahe wie möglich zusammengerückt. Wenn man
ilso nach einer Tendenz im vulgären Sinne in der Dichtung
suchen wollte, müßte man diese geradezu als sittlich bezeichnen, und
wenn die Dichtung etwa einen bestimmenden Einfluß auf den Leser
oder Hörer üben sollte, so könnte dieser Einfluß nie darin bestehen,
daß sie das Mädchen zur Hingebung verleitet, sondern nur darin,
daß sie ihm die Notwendigkeit der Zurückhaltung nahe legt, nicht
darin, daß sie den Manne aneifert, den vorgeführten Veispielen zu
folgen, sondern nur darin, daß sie ihn bestimmt, zu unter¬
lassen, was ihm als abstoßend oder lächerlich vorgeführt wurde.“
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Berlin N. 24.
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Ausschnitt aus
ider Morgen-Zeitung
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Allerlei Neues.
Die Freitag=Vereinigung, eine hiesige, private Gesellschaft zu
literarischen Zwecken, tritt von Zeit zu Zeit in eine begrenzte Oeffentlich¬
keit, indem sie die ihr nicht zugehörigen Leute vom Bau zu einem be¬
sonders interessanten Programm einladet. Das war am gestrigen Frei¬
tag wieder einmal der Full, wo ganz aparte Genüsse winkten, Genüsse,
die nur diese Vereinigung servieren konnte, da sie die Möglichkeit besitzt
Damen auszuschließen. Und das war gestern sehr nötig, trotzdem“
eine Dame einen Teil des Programms aus Eigenem bestritt. Dock
folgen wir den Ereignissen der Reihe nach. Zuerst hörten wir Arthur
hnitzlers „Reigen“, denselben „Reigen“ de
ntor anfänglich nur seinen Intimsten zugänglich machte
und der jüngst erst von einem k. k. österreichischen Zensurverbot be¬
troffen wurde, als ihn Hermann Bahr in Wien vorlesen wollte. Bei dieser
Gelegenheit wurde auch angedeutet, um welchen Mittelpunkt der
Schnitzlersche „Reigen“ sich dreht.
Es ist jener Punkt, der — hm. —
der — na sagen wir, der seit Erschaffung der Welt eine nicht ganz uns
beträchtliche Rolle gespielt hat und von dem öffentlich zu reden oder zu
schreiben dennoch in einem nach moralischen Grundsätzen regierten
Staatswesen nicht erlaubt ist. Schnitzler löst diesen Punkt, so oft er ber
seinen munteren Reigenschritten auf ihn stößt — und er stößt natur¬
gemäß bei jedem seiner 10 Dialoge einmal auf ihn — in eine Reihe
beredter Gedankenstriche auf. Was vor und hinter diesen Gedanken¬
strichen steht, gibt sich als ein Beitrag zur psychologia sexualis generis
humani, mögen dessen Vertreter nun als erstklassig, mittelklassig oder letzt¬
klassig gelten. Nicht der schlechteste Witz des „Reigens“ ist es, daß er
sich im Kreise schlingt, daß der blasierte Offizier genau dort aufhört, wo
der von Lebensgenüssen nicht verwöhnte „Gemeine“ angefangen hat.
Ein Künstler, wie Schnitzler, ist natürlich von vornherein vor dem Ver¬
dachte sicher, daß er dieses Werk nur zu erotischen Zwecken geschaffen
habe u.d in der Tat ist die literarische Form voller Reiz und der Inhalt
reich an Feinheiten, die die allzu menschlichen Menschlichkeiten der
Dialoge adeln. Aber es muß doch gesagt werden, daß Schnitzler auf
der einen Seite die Tiefen des einmal gewählten Motivs nicht an¬
nähernd erschöpft, auf der anderen sich mancher Uebertreibungen schuldig
gemacht hat und zwar grade dort, wo nie ihm am wenigsten unterlaufen
durften: in der Szene des „Dichters“ mit dem „süßen Mädel“
Es
chwer, dem Dichter des süßen Mädels auf seiner eigensten. Domäne ent¬
gegenzutreten, aber ich meine daß der Dichter, der bei einem Rendez¬
Vous mit einem süßen Mädel immer und immer wieder ganz ohne Nor
auf sein Pseudonym und seine Theatererfolge zurückkommt, in seiner
tindischen Eitelkeit nicht wert ist, von einem Schnitzler als typischer Ver¬
treter des Standes gezeichnet zu werden. Kein Kritiker würde sich er
lauben, die Schaffenden als so minderwertig zu charakterisieren, wie es
hier durch einen Schaffenden selbst geschieht. Der „Reigen“ gehört, vom
einem Thema ganz abgesehen, jedenfalls nicht zu den besten Schöpfungen
Schnitzlers. Vorgelesen wurde der „Reigen“ mit fabelhafter lechnischer
Virtuosität und feinster, aber keine Pointe verfehlender Diskretion vor
Marcell Salzer, den sich die Freitags=Vereinigung als berufenster
Interpreten Schnitzlers vom Brettl auf das Vortrags=Podium des
Riegnerschen Saales geladen hatte.
Den Platz Salzers nahm nach ihm jene einzige, in Schwarz ge
Kleidete Dame ein, die dem „Reigen“
hatte
lauschen dürfen, Frar
Maria Eichhorn=Dolorosa aus Berlin
Sie ist engeren
Kreisen als eine Lyrikerin bekannt, die Formgefühl und starke Empfin
dung besitzt, sich aber allzu häufig und allzu absichtlich mit einer ge
wissen exotischen Spezialität befaßt, als daß die Offenbarungen ihres
Talents erquicklich wirken könnten. Frau Eichhorn las erst einige Ge¬
dichte mit hebräisch=religiösen Anklängen und gelangte dann zu ihrer
gereimten Sacher=Masochiaden. Noch sonderbarer aber als diese Zu
sammenstellung war die Art ihres Vortrages. Sie sprach die frommen
wie die schwülen Verse gleich langsam, gleich schleppend, mit harter Be
tonung der Endsilben, ungefähr so, wie ein gescholtenes, weinerliche
Schulmädchen ein Pensum repetiert. Ob das Absicht war (etwa un
das Pseudonym Dolorosa = die Schmerzhafte zu illustrieren) oder Unver
mögen, weiß ich nicht. Jedenfalls war es unsagbar monoton und lang
weilig. Die Freitag=Vereinigung machte da eine Erfahrung, die aus
größeren Vereinigungen bisweilen nicht erspart bleibt, wenn sie Autore
zum Vortrage ihrer eigenen Schöpfungen einladen. Für Diejenigen
die nach dem gestrigen Debut der Frau Eichhorn einiges Interesse

die Dame gewonnen haben, sei mitgeteilt, daß sie demnächst als Ar
beiterin in eine Textilfabrik eintreten will, um die sozialen Verhältniss
ür einen Roman zu studieren, mit dem sie zur Zeit beschäftigt is
Hoffen wir, daß das gesunde Textilstudium Frau Eichhorn von ihre
ungesunden Vorliebe für die Kehrseiten des menschlichen Daseins heile
möge.