II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 179

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11. Reigen
Telephon 12801.
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„OBSERVE
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, „Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
24. Jl. 1905
Fremdenblatt, Wien
vom:
W f. 305
— Aus Berlin wird uns vom 22. d. telegraphiert: Im Verein
Stille Bühne“ las gestern vor geladenem Publikum Giampietro
Schnitzlers von der Zensur verbotenes Werk „Reigen“ vor. Das Buch
machte, besonders weil sich der Vorleser bemühte, die heiklen Stellen zu
unterstreichen, auch auf das starke Kost erwartende Publikum einen so
peinlichen Eindruck, daß viele Gäste den Saal noch vor
Schluß verließen. — Artur Schnitzler trifft zu den Proben
seines „Zwischenspiel“, das im Lessing=Theater Samstag in Szene geht,
hier ein. — Nach einer Meldung des „Börsencourier“ habe Reinhardt
von Adolf Larronge das Deutsche Theater algekauft, welches
ab 1. Jänner 1906 in Reinhardts Besitz übergeht. — In der Komischen
Oper fand die Erstaufführung von Massenets „Der Gaukler
unserer lieben Frau“ keinen starken Erfolg. Die Komposition ist
eintönig, ohne Phantasie; nur der dritte Ast bringt relative Steigerung.
Die Darstellung verfiel unter dem Zwange des Werkes in Maniertertheit.
(Grnitaal
Telephon 12861.

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„OBSERVE
I. österr. behördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangahs ohne Gewähr.)
Ausschitt ans 2½2
X77005
Kstet
0 Arihur Schnitzlers „Reigen“ wurde am Abend des Bä߬
tages im Kreise des Vereins „Stille Bühne“ von Josef
Giampietro zum Vortrag gebracht. Bei aller Bewunderung, die
uan für Schnitzlers graziöse Erzählungskunst, für seinen sprühenden
Geist zu hegen vermag, muß man sich doch fragen, ob es richtig war,
gerabe den „Reigen“ vor einem zahlreichen und offensichtlich
nicht nach literarischen Gesichtspunkten durchgesiebten Publikum,
das in Frack und Ballkleidern erschienen war, vorlesen zu lassen.
Diese zehn Dialoge behandeln mit einer über viele Grenzen
hinausgehenden Deutlichkeit und ohne den geringsten Versuch einer
Verhüllung ein Thema, über das wohl in keiner Klafse der mensch¬
lichen Gesellschaft laut gesprochen wird, wenn Männer und Frauen
in größerer Anzahl beieinander weilen. Wozu verleitete der Verein
Stille Bühne“ an hundert Menschen dazu, Dinge anzuhören, bis
nan im Festsaale nicht hören will, wozu stellte er diese hundert
Menschen drei Stunden lang unter einen Druck, der die Augen zu
Boden zwang und lähmend auf jede Bewegung wirkte? Mußte der
Verein mit dem keuschen Namen durchaus sein Sensatiönchen haben?
Was hat er damit seinen Mitgliedern und was hat er vor allem
Schnitzler getan! Man hat in München bereits einmal den Versuch
gemacht, Teile aus dem „Reigen“ auf die Bühne zu bringen. Das
ist künstlerisch wie vom Standpunkte des guten Geschmackes gerade
ebenso verwerflich wie diese Vorlesung am Bußtage. Der schillernde
Geist und die lapidare Gestaltungskraft, die Schnitzler im „Reigen¬
offenbart, kann nur vom einsamen Leser genoffen werden, und richtig
gewürdigt auch nur von dem, dessen Gefühl ein Kunstwerk über ein
heikles Thema wohl von einer Zäte zu unterscheiden vermag. Am
Abend des Bußtages 1905 konnte man dem Dichter Schnitzler beinahe
zürnen, daß er dieses künstlerisch sso bedeutende Wrichen geschaller
aber daran war nicht der Dichter schuld, sondern der Verein, der ihn
so falsch plaziert hatte.
Giampietro tat bei seiner Vorlesung nichts, um die deutlichen
Effekte des Buches weniger deutlich zu machen. Er unterstrich sie
vielmehr mit Behagen. Wenn aber der „Reigen“ nun schon einmal
in aller Deutlichkeit vorgelesen werden mußte, so konnte man aller¬
dings keinen besseren Interpreten dafür finden als den gewandten
Giampietro mit seinem trockenen Lebemannshumor.
(1) Schmenische cime