II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 240

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11. Reigen
Der verbolene „Reigen“.
Ein Interview im Schlafrock.
Direktor Bernau wurde heute früh¬
morgens von einem unserer Redakteure auf¬
gesucht:
„Ist es wahr,, daß der „Reigen“
verboten iste
„Noch nicht ganz. Sie wissen, daß
man von diesem Stück glaubt, es sei von
Ruchlosigkeiten umwittert. Die Polizei¬
zensurstelle hat allerdings der nächsten
Instanz — das ist jetzt der Bürger¬
meister von Wien in seiner Eigen¬
schaft als Landeshauptmann — nicht nur
den „Reigen“, sondern auch Hans
Müllers „Flamme“
als ver¬
boten vorgelegt. Bei der „Flamme“
hat sie sich mit einigen Strichenbe¬
gnügt. Den „Reigen“ aber will
sie nicht haben.
„Wird das Verbot bestätigt werden?“
„Ich glaube nicht. Man hat die
„Menagerie“ aufführen lassen, in der
Szenen sind, die dem Zensor so erscheinen
können, als ob sie aus dem „Reigen“ wären.
Man läßt den „Reigen“ in Ber¬
lin aufführen. Hält man die Moral
der Berliner für stärker und gefeseigter als
die der Wiener oder aber die Wiener für
leichter zu zerstören als die Berliner? Der
Wener Bürgermeister wird zu
entscheiden haben. Ich glauve
nicht, daß er den „Reigen“ ver¬
histen wird
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gensusverbote.
Die letzie Maßregel der Zensurbehörde
richtet sich, ##e ucerfahren, nicht so sehr
gegen die beabsichtigte Aufführung von
Schnitzleks „Reigen“ wie gegen das Ueber¬
K
handnehmen einstmals verbotener Bühnen¬
werke überhaupt. Die Erfahrung hat gelehrt,
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daß die Wiener Zenfur in den meisten Fällen
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das Richtige getroffen und viele Direktoren
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vor groben Geschmacklosigkeiten bewahrt hat
K
Alle jene Werke und Stellen, die früher ver¬
boten wären und die jetzt nach Aufhebung
des Zensurverbotes zu Sensationen verwendet
ti
wurden, hitten nicht den gewünschten Erfolg
und ließen das Publikum in den meisten
Fällen kalt. Es gibt eben auch im Theater
eine Grenze des Erlaubten und diese will das
Püblikum nicht überschritten sehen.
Was Schnitzlers „Reigen“ betrifft,
dieses Werk
ss hat bekanntlich der Dichter
slicht zur Aufführung bestimmt, söndern hat
es sogar nur als Privatbuch für seine Freunde
erscheinen lassen. Schnitzler ist auch, wie er
sich in Freundeskreisen äußerte, von der
sehr erbaut.
etwaigen Aufführung nicht
Gegenwärtig sind die Regisseure und die Aus¬
stattungskünstler des Deutschen Volkstheaters
damit beschäftigt, das Problem zu lösen, wie
man diese Dichtung am zweckmäßigsten auf
die Bühne bringen kann.
In der Novität „Die Flamme“ von
Hans Müller hat die Zensurbehörde einzelne
Streichungen vorgenommen. In diesem Stück
timmelt es nämlich von Ausdrücken, die früher
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am Theater nie gesagt werden dupfken.
gile

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lligt werden.
Daß es auch im republikanischen Oesterreich eine Zensur
Abt, die so ziemlich ganz nach jenem Polizeisystem der Silben¬
stecherei gehandhabt wird wie Anno k. k., ist eines der traurigsten
Ergebnisse der Zeit. Der Rotstift wird wieder fleißig nicht nur
Wort gehandhabt, wo Auswüchse sich zeigen, sondern auch bei
Theaterstücken von Seltenheitswert oder von anerkannten Autoren.
Was beispielsweise in Berlin in Hans Müllers „Flamme
gesprochen werden darf, erscheint dem prüden Wiener Zensor
anstößig! Als ob ihn das was anginge! Als ob das Publikum,
selbst das schlechteste, nicht schon immer der beste Zensor gewesen
wäre und entschieden hätte, was es hören will oder nicht. Das
neueste Polizeizensurstückchen aber ist der Antrag auf Verbot
von Schuitl######Reigen“. Daß diese Szenenreihe in ihrer
künstlerischen Freiheit keine Pornographie darstellt, scheint nur der
Zensor nicht zu wissen. Aber es ist ausgeschlossen, daß dieses
Verbot aufrecht bleibt. Die Instanz, die das letzte Wort zu
sprechen hat, dürste wohl die Blamage nicht auf sich nehmen,
gegen Arlur Schnitzler zu entscheiden. In Berlin ist der „Reigen
bereits zur Aufführung in kürzester Frist bestimmt.
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