II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 253


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11. Reigen
gen is Sonntag in einer öffentlichen
der Sitz durchschmttlich zu 1000 Kronen, einem
Gerrert
Warterre von Königen der Valuta vorgeführt worden Damis
hat die öffentliche Karriere der Dialogserie begonnen, die ##¬
lrg als Geheimbruck für Freunde (1896) erschten, dann so um
1903 heun ein buchhändlerischer Erfolg des Wiener Verlage#
wurde — und sich jetzt zu einer Konjunkturangelegenheit aus¬
wächst, weil starke Stücke derzeit stack nachgefragt werden. Um
Golde hängt, zum Golde drängt doch alles! Auch du, Brutuss
Der Einakter „Das Bett“ von Lavedan wurde noch verschämt im
Intimen Theater gespielt von brittklassigen Schauspielern als
parties hantenses. Heute ist die Verschämtheit nicht mehr am
Platz, die „Poesie clandestina“ ist zur „Poesie publiqus“
geworden. Fast hätte ich gesagt zur „Dette pihligne“. Es hit
#r ein ißchen weh, daß auch Schnitzler diesen Weg geht. Viel¬
leicht gehen muß. Wer weiß es! Uns unsereinen ist ja nicht so
diel schade. Da kommt es auf einen Fehltritt mehr oder we¬
niger nicht an. Aber Schnitzler auch, der sich sein ganzes Leben
lang so rein und hoch gehalten hat — halten korte. Daß auch
er! Der laure Erfolg sei ihm gegönnt, aber daß er In auf diesem
Wege suchen muß, ist bitter. Mit einem Werk, das keine iner¬
liche Beziehung zum Theater het und leider nur aus höchst
durchsichtigen Motiven aufs Thoater geschleppt wird. Es ist kein
leerer Wahn, daß die Kammerspiele daran dachten, den „Reigen“
als Nachtvorstellung zu gebent. Es liegt eine gewisse innere Be¬
wchtigung vor, wenn nicht den „Reigen“, in was dams Die He¬
tärengespräche des Aretin sind leider noch nicht dramaristert.
Bielleicht könnte man Hans Mülter auf b# hohe Aktualttär dieseh
in Dörmans,
Themas aufmerksam machen.
87.—
*„.

Mentags Zeitung, Wien
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Theater= und Kunstnachrichten.
[Kammerspiele.] Schnitzlers „Neigen“ gehört nicht
zu den Büchern, von denen Lessing in seinem bekannten Epi¬
gramm sagt, daß sie weniger erhoben und fleißiger gelesen sein
wollen. Er ist seit langem ein vielgelesenes Werk, und da er
sich außerdem der dramatischen Form bedient, so ist es nur
natürlich, daß diese Gelegenheit allgemach, dem lange aby senden
eDichter zu Trotz, die zeyn Dialoge, in denen Schnitzler den
S) Reigen der Großstadtliebe an uns vorüberführt, auch auf die
Bühne drängte. Die Erstaufführung zum wohltätigen Zweck
fand Sonntag vormittag statt, als eine Art Morgenandacht, die
ober nur sehr schwach besucht war. Die Furcht vor der Literatur
scheint demnach in den augenblicklich zahlungsfähigen Kreisen
doch noch größer zu sein als die Hoffnung auf ein schlüpfriges
Vergnügen, das die Anspruchsvolleren unter den neuen und
alten Reichen bei dieser Aufführung kaum finden dursten. Dank
einer überaus taktvollen Inszenierung, für die Dr. Schul¬
baur als verantwortlicher Spielleiter zeichnet, für die aber
wohl auch Schnitlerg eigener künstlerischer Geschmack und seine
persönliche Vornchmheit in hohem Maße verantwartlich zu
machen sein dürften, gleiten die einzelnen Szenen über den ge¬
wissen fatalen Punkt mit ellem Anstand hinweg. Fatal bleibt
dieser Augenblick trotzdem in jedem einzelnen Felle, weniger aus
Gründen der Schicklichkeit, als weil er sich seiner Natur nach
der dramatischen Darstellung entzieht. Man sieht förmlich, wie
die Bühne angesichts der für ihre Mittel unlösbaren Aufgabe in
Verlegenheit gerät, die zu bemänteln der Regissevc das Bühnenbild,
von Fall zu
Fall sich verdunkeln laßt. Aber auch
das ist schließlich nur ein Behelf und wirkt als solcher. Davon
abgesehen, bewährt sich der „Reigen“ auch auf dem Theater als
das reizvolle Kunstwerk, das er ist, und das, so wie es ist, eine
nicht nur literarische, sondern auch kulturhistorische Bedeutung
hat. Ein wienerisches Seitenstück zu den Liasons Dangereuses
ist der „Reigen“.
für die Epoche, der er angehört, ebense
charakteristisch, wie jenes französische Meisterwerk für das Zeit¬
alter des Rokoko. Und auch der Dichter Schnitzler kommt in
diesen Szenen unverkürzt zu Wort, zumal in den ## #teren.
Die ersten beiden Auftritte wirken peinlich, weil die hier redend
eingeführten Personen — die Dirne, der Soldat, das Stuben¬
mädchen
— in jene plauderhaft philosophierende Form des
Gesellschaftsdialogs, dessen Meister der junge Schnitzler war, kaum
einzubeziehen siny. Aber je mehr sich die durch den tiefen
Gebanken der Bipolarität menschlichen Liebesempfindens ver¬
knutte Senweihe der gesellschaftlichen Sphär nähert, dese
Neue Freie Presse.
künstlerischer, freier und heiterer wird die Dichtung; desto frei
erh
sicherer bewährt sich auch der Menschennenner Schnitzler, der
vielleicht in keinem seiner Werke so sehr Lustspieldichter ist, wie
au
Vo
in diesen seinen verlästerten Gestalten, wie die „junge Frau“,
deren gesellschaftliche Verlogenheit Traute Carlsen ent¬
Al
zückend zum Ausdruck brachte, wie der „Dichter" (Herr
rei
Ziegler), die „Schauspielerin“ (Fräulein Olly) und der
„Graf“ (Herr Lackner), bewähren ihren Meister auch vom
Rollenstandpunkte, der ja immer auch eine Probe auf die
U
dramatische Kraft eines Autors bedeutet. Schnitzler braucht sie
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nicht zu scheuen, und es ist nicht zum geringen Teile sein Ver¬
dienst, wenn die genannten, denen auch noch Herr Wengra
als „eleganter junger Herr“ und Fräulein Keller als
„süßes Mädel“ von unvergleichlicher Grazie und Echtheit zu¬
zurechnen wären, jeder in seiner Art ein schauspielerisches

Kabinettstück auf die Beine stellten. Man hat in Wien schon
lange nicht so gut Theater spielen gesehen, wie in diesen, auch
geistig bewegten Reigenszenen, die, indem sie sich um einen
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animalischen Punkt herum bewegen, das Menschlichste im

Menschen auf eine verwegen=geistreiche Art entschleiern. R. A.
Von Fr