II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 255

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Reigen
Die Moral der Gebankenstriche.
Der Reigen, 10 Dialoge von Arthur Schnitzler. Auf¬
führung in den Kammerspielen. Spier-###
Schulbaur.
Für die Reichen, denen besondere Lockungen bereitet
werden (müssen, damit sie sich der Kinderhilfsaktion unseres
Ministets für soziale Fürsorge erinnern, ist Schnitzkers Sze¬
menreche der „Reigen“ am gestrigen Sonntag zu kräftigen
Preisen als Erstaufführung gegeben worden, der man den
Nayfen einer öffentlichen Generalprobe beilegte. Die Kinder
bein da geholsen werden sollte, hatten Pech. Das Haus zeigte
eine erschreckende Leere. Es sind ganz gewiß nicht die Spesen
dieser Vormittagsaufführung eingegangen, und wenn die
Kinder doch etwas bekommen sollen, so wird die Direktion der
„Kammerspiele“, die bei den Reigenaufführungen ganz gewiß
reichlich auf ihre Kosten kommen wird, einweilen in die eigene
Tasche greifen müssen, wozu sie, wie man hört, auch entschlossen
ist. Die Reichen sind nicht gekommen, weil sie um halb 11 Uhr
vormittags an diesem Sonntag, dem die Nacht der „Opern¬
redoute“ und des „Bösen Bubenballes“ voranging, noch nicht
genug ausgeschlafen waren, um sich persönlich zur Wohltät'g¬
leit anregen zu lassen. Sie werden es ganz gewiß nicht versäu¬
men, den „Reigen“ zu besuchen; freilich ohne dabei just an
tuberkulose und rachitische Kinder zu denken. Und so viel muß
man ihnen ja zugute halten: das Kinderelend liegt wahr¬
haftig nicht im Gedanken und Empfindungskreis dieses Werkes.
Es hat fast 25 Jahre gedauert, bis diese Arbeit Schnitzlers
auf die Bühne gelangte. Sie war auch, als sie entstand, nicht für
das Kbendige Theater bestimmt, ja ursprünglich nicht einmal
für zeine Veröffentlichung in Buchform. Schnitzler hat diese
zerglischen Ironien nur als Manuskript im Kreise seiner Freunde
Mlulieren lassen und sich erst viel später auf ihr =Zureden ent¬
shlossen, sie einer breiteren Offentlichkeit zugänglich zu machen.
Eine Aufführung so zugkräftiger und dabei so literarischer
fErotika, war der Traum aller Theaterdirektoren, dessen Ver¬
wirklichung aber die Zensur ein unentbehrliches Quc! non ent¬
gegensetzte. Nun ist die Zensur als solche aber eigentlich nicht
mehr auf der Welt; verboten kann also nur werden, was tat¬
sächlich gegen ein bestehendes Gesetz verstößt. Bestehende Gesetze
der Sittlichkeit und des Taktes sind nicht darunter. Man weiß
jetzt, daß Schnitzler lange allen Verlockungen widerstand, seinen
„Reigen“ zur Aufführung freizugeben. Reinhardt hat ihn schlie߬
lich umgestimmt. Es stellen sich nun von selbst zwei Fragen:
ist eine Aufführung des „Reigen“ die Erfüllung einer Forde¬
rung u. zw. einer künstlerischen Forderung, die im Werke selbst
gelegen ist, und zweitens muß eine Aufführung des „Reigen
so Lusternheit erregend wirken, daß sie vermieden werden soll,
auch wenn ihre künstlerischen Voraussetzungen und Ergebnisse
unvestreitbar sind. Die Antwort darauf wird immer mehr oder
weniger eine subjektive sein. Der Reigen ist, wie schon erwähnt
bei seiner Entstehung vom Dichter nicht als eine Arbeit für die
Bühne gedacht worden. Man kann also nicht behaupten, daß
es eine künstlerische Vergewaltigung dieses Werkes ist. Ein
Lahmigen oder Totmachen, wenn man es nicht aufführt. Es
ist und bleibt ein hochstehendes, für den Dichter und einer
Kulturperiode bedeutungsvolles Werk, auch im Buch, das ist aber
natürlich kein Grund, es nicht doch aufzuführen, vorausgesetzt,
daß es eine Bühnenwirkung hat, die über das Erotische hinaus,
auch ins Dramatisch=künstlerische geht. Die hat es nunzweifellos,
und damit beantwortet sich die zweite Frage dahin, daß der
Reigen bei taktvoller, vornehm stilisierter Inszenierung auf der
Bühne von Lüsternheitserregung viel weiter entfernt ist, als bei
der Lektüre. Das liegt schon in den äußeren Umständen. Man
liest das Buch allein, oder gar zu zweien, aber man empfängt
die Aufführung in großer Gesellschaft; der ausmalenden Phan¬
tosie sind beim Lesen keine Schranken gesetzt, während bei der
Aufsil# der Spielleiter es in der Hand hat, Grenzen zu
zieh Ausmalung kräftig zu unterbrechen und abzutönen.
Außerdem bringt die Aufführung die Ironie, die das Ganze
durchzieht, die satirische Bagatellisierung der körperlichen Ver¬
einigung der Geschlechter weit stärker zum Ausdruck, und jede
einzelne Dialogszene wirft ihr ernüchterndes, die Lüsternheit
überstrahlendes Schlaglicht auf die folgenden. Während man
Schnitzler sonst in seinen ernsten Dramen vielleicht den Vorhalt
machen kann, daß er die Tatsache des Geschlechtsaktes als tragi¬
sches Motiv überschätzt, ist er hier ein Schüler Maupassants,
für den der Akt ein fast lächerliches Nichts ist. Ich glaube also,
daß man den Reigen nicht nur aufführen kann, sondern sogar
aufführen soll. Natürlich kann er lüsternheitserregend, also im
gemeinen Sinne, unsittlich wirken, wenn er von Menschen em¬
pfangen wird, die nichts anderes in ihm suchen, die für alles
ve Rerge en Ranten Wie
andere in ihm taub und blind sind. 2
natürlich nicht ausschließlich mit Ri
führen, die immer in Entrüftung ger
schen verschiedenen Geschlechtes allein
sich eben dabei nichts anderes vo
Schweinerei.
Die oft ausgestellte Behaup
nicht unsittlich wirken könne, ist na
der Künstler kann zweifellos etwas
unsittlich gilt, höchst künstlerisch dar
lerischen Empfänger wirkt aber
Unsittlichkeit doch viel stärker als die
Die Aufführung der 10 Dic
erotischen Szenen, die bei der Dir
ginnen und bei derselben Dirne und
in den Kammerspielen vom besten i
seelt. — Dr. Schulbaur hatte
ten Gedankenstrichen ganz einfa
schleier zu arbeiten, aber die geist
tungen von den brutalen erotischen
betontem Feingesühl herausgearbeit
nehmer Empfindenden keine Lüste
kom. Für Leute freilich, bei dener
führen, könnte man schließlich auch
führen, ohne von sittlichen Bedenken
Jede einzelne der 10 Rollen,
tet die größten Schwierigkeiten und
wobei natürlich die Undankbaren di
Damen Hochwald, Karlsen,
Herren Iwald, Lackner,
Ziegler verdienen durchaus une
man aber noch einen besonderen
hätte, müßte man bei den Damen
Frl. Keller und Frau Olly
Herrn Lackner und Herrn Z
hübsch und praktisch erschien auch
Problems, für das Herr Paul
dient. Die Wirkung der Aufführung
½ leeren Haus eing starke un
Ironien schlugen ein und siegten