II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 256

11. Reigen
Gedankenstriche.
Arthur Schnitzler. Auf¬
len. Spie
N
aur.
esondere Lockungen bereitet
er Kinderhilfsaktion unseres
rinnern, ist Schnitzlers Sze¬
rigen Sonntag zu kräftigen
eben worden, der man den
Alprobe beilegte. Die Kinder
hatten Pech. Das Haus zeigte
ganz gewiß nicht die Spesen
ngegangen, und wenn die
en, so wird die Direktion der
genaufführungen ganz gewiß
wird, einweilen in die eigene
pie man hört, auch entschlossen
en, weil sie um halb 11 Uhr
dem die Nacht der „Opern¬
balles“ voranging, noch nicht
ich persönlich zur Wohltät g¬
es ganz gewiß nicht versäu¬
freilich ohne dabei just an
zu denken. Und so viel muß
das Kinderelend liegt wahr¬
pfindungskreis dieses Werkes.
rt, bis diese Arbeit Schnitzlers
auch, als sie entstand, nicht für
ja ursprünglich nicht einmal
chform. Schnitzler hat diese
kript im Kreise seiner Freunde
I später auf ihr Zureden ent¬
tlichkeit zugänglich zu machen.
er und dabei so literarischer
heaterdirektoren, dessen Ver¬
nentbehrliches Quod non ent¬
ls solche aber eigentlich nicht
in also nur werden, was tat¬
setz verstößt. Bestehende Gesetze
nd nicht darunter. Man weiß
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jetzt, daß Schnitzler lange allen Verlockungen widerstand, seinen
„Reigen“ zur Aufführung freizugeben. Reinhardt hat ihn schließ
lich umgestimmt. Es stellen sich nun von selbst zwei Fragen:
ist eine Aufführung des „Reigen“ die Erfüllung einer Forde¬
rung u. zw. einer künstlerischen Forderung, die im Werke selbst
gelegen ist, und zweitens muß eine Aufführung des „Reigen
so Lusternheit erregend wirken, daß sie vermieden werden soll
auch wenn ihre künstlerischen Voraussetzungen und Ergebnisse
unbestreitbar sind. Die Antwort darauf wird immer mehr oder
weniger eine subjektive sein. Der Reigen ist, wie schon erwähnt
bei seiner Entstehung vom Dichter nicht als eine Arbeit für die
Bühne gedacht worden. Man kann also nicht behaupten, daß
es eine künstlerische Vergewaltigung dieses Werkes ist. Ein
Lahmigen oder Totmachen, wenn man es nicht aufführt. Es
ist und bleibt ein hochstehendes, für den Dichter und einer
Kulturperiode bedeutungsvolles Werk, auch im Buch, das ist aber
natürlich kein Grund, es nicht doch aufzuführen, vorausgesetzt
deß es eine Bühnenwirkung hat, die über das Erotische hinaus,
auch ins Dramatisch=künstlerische geht. Die hat es nun zweifellos,
und damit beantwortet sich die zweite Frage dahin, daß der
Reigen bei taktvoller, vornehm stilisierter Inszenierung auf der
Bühne von Lüsternheitserregung viel weiter entfernt ist, als bei
der Lektüre. Das liegt schon in den äußeren Umständen. Man
liest das Buch allein, oder gar zu zweien, aber man empfängt
die Aufführung in großer Gesellschaft; der ausmalenden Phan¬
tasie sind beim Lesen keine Schranken gesetzt, während bei der
Aufführung der Spielleiter es in der Hand hat, Grenzen zu
ziehen, die Ausmalung kräftig zu unterbrechen und abzutönen.
Außerdem bringt die Aufführung die Ironie, die das Ganze
durchzieht, die satirische Bagatellisierung der körperlichen Ver¬
einigung der Geschlechter weit stärker zum Ausdruck, und jede
einzelne Dialogszene wirft ihr ernüchterndes, die Lüsternheit
überstrahlendes Schlaglicht auf die folgenden. Während man
Schnitzler sonst in seinen ernsten Dramen vielleicht den Vorhalt
machen kann, daß er die Tatsache des Geschlechtsaktes als tragi¬
sches Motiv überschätzt, ist er hier ein Schüler Maupassants,
für den der Akt ein fast lächerliches Nichts ist. Ich glaube also,
daß man den Reigen nicht nur aufführen kann, sondern sogar
aufführen soll. Natürlich kann er lüsternheitserregend, also im
gewei#en Sinne, unsittlich wirken, wenn er von Menschen em¬
pfangen wird, die nichts anderes in ihm suchen, die für alles
vn Mrgen en Rontag Wie
andere in ihm taub und blind sind. Aber man kann die Theater
natürlich nicht ausschließlich mit Rücksicht auf jene Schweine
führen, die immer in Entrüstung geraten, wenn sie zwei Men¬
schen verschiedenen Geschlechtes allein beieinander sehen, weil sie
sich eben dabei nichts anderes vorstellen können, als eine
Schweinerei.
Die oft ausgestellte Behauptung, daß Künstlerisches
nicht unsittlich wirken könne, ist natürlich ein Unsinn, denn
der Künstler kann zweifellos etwas, was der Gesellschaft als
unsittlich gilt, höchst künstlerisch darstellen. Auf den unkünst¬
lerischen Empfänger wirkt aber die künstlerisch dargestellte
Unsittlichkeit doch viel stärker als die Kunst.
Die Aufführung der 10 Dialoge, also der kleinen,
erotischen Szenen, die bei der Dirne und dem Soldaten be¬
ginnen und bei derselben Dirne und dem Grafen enden, war
in den Kammerspielen vom besten und vornehmsten Geiste be¬
seelt. — Dr. Schulbaur hatte den Mut, bei den berüchtig¬
ten Gedankenstrichen ganz einfach mit einen Dunkelheits¬
schleier zu arbeiten, aber die geistigen und seelischen Ablen¬
kungen von den brutalen erotischen Tatsachen waren mit so
betontem Feingesühl herausgearbeitet, daß ich mir bei vor¬
nehmer Empfindenden keine Lüsternheitserregung vorstellen
kann. Für Leute freilich, bei denen alle Wege ins Tierische
führen, könnte man schließlich auch kaum einen Klassiker auf¬
führen, ohne von sittlichen Bedenken geschüttelt zu werden.
Jede einzelne der 10 Rollen, die das Stück enthält, bie¬
tet die größten Schwierigkeiten und nicht alle sind dankbar,
wobei natürlich die Undankbaren die allerschwersten sind. Die
Damen Hochwald, Karlsen, Keller und Olly, die
Herren Iwald, Lackner, Sima, Wengraf und
Ziegler verdienen durchaus uneingeschränktes Lob. Wenn
man aber noch einen besonderen Ehrenpreis zu vergeben
hätte, müßte man bei den Damen zwischen Frau Karlsen,
Frl. Keller und Frau Olly bei den Herren zwischen
Herrn Lackner und Herrn Ziegler wählen. Sehr
hübsch und praktisch erschien auch die Lösung des dekorativen
Problems, für das Herr Paul Friedmann Dank ver¬
dient. Die Wirkung der Aufführung war selbst in dem zu
% leeren Haus eine starke und lünstlerische. Gerade die
Ironien schlugen ein und siegten über die Gedankenstriche.
H. Leosten“