II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 267

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Reigen
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die Musen stehen eher zu Actur Schnitzler als zu
werden, —
jenen, die in ihrem Namen Proteste, Gutachten und Entrüstung
von sich geben.
Erst hat man Lärm geschlagen, als die zehn Dialoge des
fort¬
„Reigen“ als Buch erschienen; nun hat sich das Spektakel
gesetzt, weil die Dialoge auf der Bühne vorgeführt werden. Man
tut, als ob es niemals Hetärengespräche des Luktan gegeben hätte,
Die sogar den Barchentseelen und Bildungsphilistern als unver¬
äußerliches literarisches Gut gelten; man tüt, als ob die Kunst
der Sittlichkeit und nicht die Sittlichkeit meist
von
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von der Kunst bestimmt wird; man tut, als ob —,
läßt sich, objektiv betrachtet, gewiß darüber streiten
Es
welche Geschmacksgrenzen für das öffentliche Theater zu ziehen
sind. Aber es ist ebenso gewiß, daß sie sich beständig verwischen;
ebenso gewiß, daß der künstlerische Freibrief des einen noch nicht
die offene Order für den Ausflug ins Unsittliche für alle bedeutet.
Dazu gehört als Legitimation: seelischer Witz, geistige Feinheit.
Alles andere ist Schweinerei um der Schweinerei willen. Diese
zehn Dialoge Schnitzlers sind ein subtiles Kunstwerk. Daß sie im
crotischen Leser= und Zuschauersinn „staik“, „pikant" „frivol“,
meinethalben sogar „pornographisch“ sind, ändert nichts daran,
daß man die artistische Fähigkeit Artur Schnitzlers immer neu
bestannt, mit wieviel Witz, Sarkasmus und tieferem Erkennen
er den letzten Schleier vor und nach dem Liebesakt lüstet, wie
sich der Reigen schließt, der mit der Dirne und dem Soldaten
anfängt und bei der Dirne und dem Grafen endet. Nicht nur
vor dem Tode, auch vor dem Liebesgenuß sind alle gleich
Nur die Worte haben andere Färbung. Die erotische Spannung
und Entspannung hat die gleichen Voraussetzungen und Nach¬
wirkungen. Wenn der Soldat und die Dirne, der Soldat und
das Stubenmädchen sich am Donauufer einigen, ist es noch natur¬
haft derb, aber wenn dann der junge Herr und das Stuben¬
mädchen, der junge Herr und die junge Frau, das süße Mädel
Neuer Eriene. Geurkal
und der Dichter, das süße Mädel und der Ehemann, der Graf
und die Schauspielerin zu löblichem Tun sich zusammenfinden,
wird der gewisse, im Dunkeln liegende Vorgang schon zur Neben¬
sache Das Geschlechtliche tritt vor dem Geistigen zurück, der
Liebesgenuß löst sich in eine Komödie der Worte und Gedanken
auf. Hier ist das Entscheidende dieser zehn Dialoge, ihr Mensch¬
liches, ihre künstlerische Wahrheit, ihre Diflanz vom Tierischen,
welches die Moralsatzken in erster Linie zu beherrschen pflegt.
Dieser „Reigen“ gehört in das Gesamtkunstwerk Schnitzler.
Es ist eine Zwischenstufe, die er nach dem „Anatol“ nehmen mußte,
um höher zu klimmen zur Welterkenntnis. Es ist nur ein Stück
seiner literarischen Entwicklung, nicht sein Schöpferwerk. (Und
wenn Maximilian Harden, diese gealterte und stimmlos gewordene
Primadonna, gerade den „Reigen“ zum Anlaß nahm, um frühere
Urteile über Schnitzler zu revidieren, so beweist der heiter gewordene
Sprachverdreher neben seiner spät erwachten Zimperlichkeit nur den
Mangel künstlerischen Einfühlungsvermögens.
Die zehn Dialoge aus dem Buch auf die Bühne zu ver¬
pflanzen, ist eine Regieaufgabe heikelster Art. Es kommt immer
ein Moment des Undarstellbaren, der zur Verdunkelung der Szene
zwingt. Aber das ist nicht die Hauptsache. Es gehört zur Wieder¬
gabe der Situation und des Wortes eine gewisse Kühnheit, die
zwischen Brunst, Ironie und letztem Witz die Linien zu ziehen
versteht. Eine halboffizielle und eine ganzoffizielle Generalprobe,
die eine für geladene, die andere für Tausendkronengäste, gestattet
bereits das Urteil über die Aufführung, die heute abend
„Premiere“, heißen wird. Ich vermisse in der Inszenesetzung
Schulbaurs den Atem und das amüsant Spielerische der
zehn Dialoge;
es fehlt mir der
Stimmungsgehalt
und die Freiheit des Ueber=den=Dingen=Schwebens Es fehlt am
Mut zur witzigen Frechheit. Auch Fehlbesetzungen oder nur Zu¬
länglichkeiten mindern Wirkung und Eindruck. So stechen schließlich
als die charakteristischen Leistungen am stärksten hervor: Fräulein
Keller als süßes Mädel, Frau Carlsen als junge Frau, Fräuleir
Olly als Schauspielerin und Herr Lackner als Graf. Der schlagende
Witz, die verblüffende Beobachtungskunst, die sich im „Reigen
gestend machen, stoßen auf heiterste Empfänglichkeit:
man wir
sich über die Aufführungen entrüsten, aber man wird sich nich
schämen — gelacht zu haben.
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