II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 270

box 17/5
11. Reigen
den „Kammerspielen“ zu dem ihrigen machte, die Peinli
keit der Situation für den Zuschauer nicht ganz aufzuheb
vermag. Das sich umarmende Paar mag immerhin im tiefft
Dunkel verschwinden und zwei Sekunden später harmlt
plandernd wieder zum Lichte zurückkehren, es bleibt do¬
ein beklemmender Augenblick, um so beklemmender, als
sich mit peinlicher und undramatischer Regelmäßigkeit vo¬
Szene zu Szene wiederholt. Es ist aber ein nicht nur be
klemmender, sondern auch dramatisch öder Moment, der
dieser Dunkelheitsrefrain auslöst, weil man sich der Ohnmacht
der Bühne dabei jedesmal deutlich bewußt wird. Die Ver¬
dunkelung wirkt wie eine Verlogenheit, und diese Verlogen¬
heit stört und beeinträchtigt naturgemäß die künstlerische
Wirkung eines Werkes, dessen beste Eigenschaft seine kühne
Wahrhaftigkeit ist.
Ueber die Darstellung ist ausführlich bereits berichtet
worden. Sie gipfelt in zwei Frauenrollen, die insoferne
hervorgehoben zu werden verdienen, als sich in ihnen der Ein¬
#luß von Berlin und Wien auf unser Kunstleben in eigen¬
tümlicher Weise verschränkt. Die eine dieser sympathischen
Leistungen ist diejenige des Fräuleins Keller als süßes
Mädel. Fräulein Keller, deren herbe, man möchte sagen:
hantige Lieblichkeit eben von einem Berliner Gastspiel nach
Hause findet, ist in Berlin fester, bestimmter, auch bewußter
eworden, und wir genießen in ihrer Leistung die ersten
Atemzüge eines zum vollen Selbstbewußtsemn eben erst er¬
wachten jungen Talents. Traute Carlsen im Gegenteil
hat uns in ihrer etwas frostigen Berliner Anmut nie recht
warm gemacht, so reizvoll wir auch ihre Kühle fanden; dies¬
mal ist sie an der so wienerischen Rolle der jungen Frau
gleichsam aufgetaut und hat, zum erstenmal, den Ton ge¬
funden, der sie zu dem Wiener Publikum in ein nicht bloß
artiges Respektverhältnis setzt. Aber auch die übrige, wohl
vorbereitete und glänzend gelaunte Vorstellung ist, als Vor¬
stellung zumindest, auf die Habenseite des Wiener Theaters
zu buchen. Freilich das Moralische? Es versteht sich in
diesem Falle keineswegs von selbst, und wenn sich auch zu¬
sammenfassend sagen läßt, daß die Welt durch die Aufführung
des „Reigen“ nicht schlechter werden wird, so werden doch
viele Verehrer des Dichters sein geistreiches Werk dorthin
zurückwünschen, woher es stammt und wohin es gehört:
nd Bach.
R4
Hbekzrrs wanTBfArT
WIEN
Seite 9
2. Februar 1921
Das Priarne=Wohltätigkeitsspiel
brachte eine Bru toeinnahme von 153.000 K. Der Rein¬
gewinn beträgt nach Aben; der Steuer und der Spesen
123.000 K, welte zu gleichen Teilen dem Invalidensonds
und dem Pekarnafonds zugewie en werden.
Das „Wacker=Kränzchen“ findet am Faschingsonntag,
den 6. Februar, in Weig's Dreherpark (Altdeutscher Saal)
statt. Musik dr Wiener Touristenkapelle Fiala. Lebens¬
mitteitombola, Gistzelk2c. Karten zum Pre s von 20 Kron n
sind bei allen Mitgliedern, an der Schanklasse Weigl
sowie in den Cafés Tivol und Schober erhältlich.
Herr Dosedel vom S. C. Slovan wurde an Stelle
des ausgeschiedenen Herrn S. Deutsch in den Vorstand
des N. Oe. F. V. kooptiert.
Die Vienna spielt kommenden Sonntag in Hütteldorf
gegen den Waf.
Der Sportklub Wacker hält am Sonntag, den
6. Februar, vormittags 9 Uhr, in Weigls Drehervark
(Grüner Saal) seine ordentliche Generalversammlung ab,
bei der die neuen Mitgliedslarten ausgegben werden sowie
die Kartenabreihnung für das Klubtränzchen stattfindet.
W. R. K. „Sturmvogel“ Am Mittwoch (Feiertag),
den 2. Februar, findet präzis 4 Uhr nachm. im Klubheim
„Hotel Fuchs“, XV., Mariahilferstraße 138, die General¬
versammlung mit Tagesordnung laut § 7 der Statuten
statt. Sollte die Generalversammlung zu dieser Stunde
nicht beichlußfähig sein, wird eine Stunde später eine
zweite eröffnet, welche bei jeder Anzahl Mitglieder beschlu߬
fähig ist.
Christlicher Arbeiter=Tonristenverein (Bezirks¬
gruppe Fünfhaus). Am Samstag, den 5. Februar, im
Saal der Restauration Windprechtinger, 15. Bezirk,
Mar ahilergürtel 27, Familienabend unter Mit¬
wirtung der Komiler Tschech und Baierl und anderer
Knnstkräfte. Beginn ½7 Uhr abends. Karten im Vor¬
verkauf 8 K, an der Kassa 15 K.
Theater
„Reigen.
Zehn Dialoge von Artur Schnitzler,
(Zur heutigen Erstaufführung.)
Diejenigen, die sich über Müllers „Flamme“ angenehm
entrüstet haben, werden heute abend in den Kammerspielen
mit Vergnügen feststellen, daß die Nuditäten dieses Stückes
die Artur
gegenüber den „letzten Menschlichkeiten",
Schnitzler oder vielmehr Direktor Bernau im „Reigen“
auf die Bühne bringt, nur noch als Kinderkomödie ge¬
wertet werden können. Die Gespräche, die im „Reigen“ von
einem Soldaten mit einer Dirne und einem Dienstmädchen,
vom jungen Herrn mit dem Stubenmädchen, von dem
jungen Mann mit der „anständigen Frau“, von dem
älteren Herrn und dem Dichter mit dem „süßen Mädel“
vom Dichter mit der Schauspielerin und vom Offizier mit
der Schauspielerin und mit einer „Solchenen“ geführt
werden, bewegen sich stets um eine Stuation, die schamvoll
durch eine Lichtpause markiert wird, weil die Zensur vielleicht
doch eiwas dagegen hätte, wenn die „Wunder der Zeugung“
ganz offen demonstriert würden. Diese menschlichen Not¬
wendigkeiten, von denen sonst wohlerzogene Leute nicht
sprachen, gehören jetzt zum Inventar eines Theaterbetriebes,
wenn er sich lusrativ gestalten soll. Denn die Wohlerzogen¬
het muß leider zu jenen Dingen gezählt werden, die beim
Umsturz verräumt worden sind und nicht mehr gesunden
werden können.
Diesen Motiven ist denn auch die Zusammenklitterung der
zehn Dialoge zu einem Stück zuzuschreiben. In Buchform
haben sie ihre Schuld'gkeit längst getan und dem Antor
namhafte Tantiemen eingebracht. Nun soll der versiegende
Geldstrom durch andere Röhren wieder hergeleitet werden.
Es kann auch kein Zweifel darüber herrschen, daß sich
das neue Publikum, das auch im Theater nicht die von
„Budapestern“ her gewohnten Laszivitäten missen
den
KEn