II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 279

11. Reigen
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Bühne und Kunst.
Schnitzlers „Reigen“ auf der Bühne!
gcnlbnn
(Zum ersten Male aufgeführt in den Kammerspielen
am 1. Februar 1921.)
Die Inszenesetzung des „Reigen“ ist eine ernste
traurige Angelsgenheit.
und
Bitterernst — denn sie fördert die Reaktion meyr,
als die vergnügten Zuschauer mit den heraustreten
den gestielten Augäpfeln, die in ihrer Erregung heiser
lachenden Dämchen mit den unter der Schminke er
glühenden Wangen auch nur ahnen können. Wenn d##
die Frucht der „Umwälzung“ ist, daß der Kulissen¬
zauber zehnfach vorgeführter Augenblicksbrunst
zus
Kulturiat wird, dann (so dürfen die Lauernden schreien
ist diese Freiheit ein Verbrechen und die einstige Ges
bundenheit ein Segen gewesen. Jede Reprise#
„Reigen“ legt dem Rückschritt ein Steinchen ins Breis
Aber auch tieftraurig ist dieses Bühnenereigni
weil man einen untadeligen, wahrhaftig in Ehren ##
grauten Autor sich plötzlich untreu werden sieht. Artut
Schnitzler war bisnun gerabezu das Sinnbild des vor
nehmen Künstlers, der sich mit peinlichster Sorgfal
von aller geschäftstüchtigen Betriebsamkeit, vom und
lauteren Reklamewesen, vom Literatenklüngeltum stei
fernzuhalten wußte. Und auch diejenigen, die sein
Werk nicht so hochschätzen wie wir, mußten ihn doch
zu jener, ach, so winzigen Gruppe Schaffender zählen
die sich auf das Erfreulichste in Wesen und Gehaben
von der schreibenden Großstadthalbwelt unterscheidet
Und nun geht der hohe Fünfziger, der sich in bei
Jahren des Kriegswahns in den befohlenen unifor
mierten Haß der Professoren, Denter und Dichter nicht
zwingen ließ und in schlichter Tapferkeit sich zu dei
Geistesverwandten Rußlands, Frankreichs und Englands
bekannte — nun geht ein Artur Schnitzler hin und
befriedigt den Sensationshunger dieser fragwürdigen
Gegenwart mit Bühnenaufführungen einer Dialogreihe
die er nicht für die Bühne geschrieben, deren Inszene
setzung er durch Jahrzehnte untersagt und deren Bühnen¬
premiere er, wie er nun selbst mitteilt, noch im Jännen
1919 im letzten Augenblick inhibiert hat.
Ganz abgesehen von allem anderen: Wie durft
Schnitzler, der Mann, der Hüter seiner Schöpfung, nicht
nur dulden, sondern freventlich fördern, daß sein Werk
dorthin gerät, wohin es nach seiner durch Jahrzehnte
geäußerten und betätigten Urberzeugung nicht gehört?
Chopinsche Klaviermusik von einem französischen
Orchester spielen zu lassen, ist geschmacklos und eine
Reihe von Gesprächen, an denen nichts bramatisch ist,
als jene Gedankenstriche, welche Begattungsakte mar¬
kieren, vor einem Thealerparterre von mißbrauchten
Schauspielern agieren zu lassen, ist gemein. Auch dann
wenn man — mehr listig als dezent — für die Minuten
der Paarungen das Licht abdreht. Wer weiß das besser,
als der seine, geschmackvolle Artur Schnitzler? Ueber
beraten war er, vielleicht mürbe gemacht von drängenden
Händlern mit „Erfolgskunst“ oder gar von der No
der Zeit bezwungen. Aber kein Grund ist hinreichen
genug, seine Untreue gegen sich selbst zu rechtfertigen
Das Fähnchen der Unbedingten im Reiche der Kuns#
hat sich um einen verringert...
Die Aufführung in den Kammerspielen ist ein
Höchstleistung des Spielleiters (Dr. Schulbaur) und
der Mitwirkenden. Pflichtgemäß scheiden wir den Gegen
stand der Darstellung von der Darstellung selbst und
müssen sagen, daß sich mit dem Spiel und Zusammen
wirken der Künstler und Künstlerinnen nicht leicht eine
Bühnenleistung der letzten Jahre vergleichen läßt. Wenn
wir Traute Carlsen und Mariette Olly besonders
hervorheben, so nur deshalb, well diese Damen dureh
ihr ausgezeichnetes Spiel besonders überrascht haber
Von ihnen und den Damen Markus, Hochwals uns
Keller, sowie den Herren Kammauf (bei ###
Generalprobe Sima), Wengraf, Inwald, Zier
ler und Lackner wurden die scharfgeschlissene
Pointen, humo vollen Schnitzlerschen Beobachtungen und
hitteren, zynischen Randglossen zum menschlichen Trie߬
mit vollendeter Delikatesse und Verständuls¬
leben