II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 278

11.
Reigen
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gegenüber den „letzten Menschlichkeiten“, die Artur
Schnitzler oder vielmehr Direktor Bernau im „Neigen“
auf die Bühne bringt, nur noch als Kinderkomödie ge¬
wertet werden können. Die Gespräche, die im „Reigen“ von
einem Soldaten mit einer Tirne und einem Dienstmädchen,
vom jungen Herrn mit dem Stubenmädchen, von dem
jungen Mann mit der „anständigen Frau“, von dem
älteren Herrn und dem Dichter mit dem „süßen Mädel“,
vom Dichter mit der Schauspielerin und vom Offizier mit
der Schauspielerin und mit einer „Solchenen“ geführt
werden, bewegen sich stets um eine Stuation, die schamvoll
durch eine Lichtpause markiert wird, weil die Zensur vielleicht
doch etwas dagegen hätte, weunde „Wunder der Zeugung“
ganz offen demonstriert würden. Diese menschlichen Not¬
wendigkeiten, von denen sonst wohlerzogene Lente nicht
sprachen, gehören jetzt zum Inventar eines Theaterbetriebes,
wenn er sich lukrativ gestalten soll. Denn die Wohlerzogen¬
heit muß leider zu jenen Dingen gezählt werden, die bein
Umsturz verräumt worden sind und nicht mehr gesunden
werden können.
Diesen Motiven ist denn auch die Zusammenklitterung der
zehn Dialoge zu einem Stück zuzuschreiben. In Buchform
haben sie ihre Schuldigkeit längst getan und dem Autor
namhafte Tantiemen eingebracht. Nun soll der versiegende
Geldstrom durch andere Röhren wieder hergeleitet werden.
Es kann auch kein Zweifel darüber herrschen, daß sich
das neue Publikum, das auch im Theater nicht die von
den „Budapestern“ her gewohnten Laszivitäten missen
will, nicht erst den Kopf zerbrechen wird, ob sich die
Dialoge für öffentliche Darstellungen eignen, ob sie im¬
stande sind, ein Stück zu bilden, und ob diese Ueb rtragung
geheimster Vorgänge auf die Bühne eine künstlerisce Not¬
wendigkeit oder eine einfache Spekulation auf die Sinnen¬
lust nach sexuellen Sensationen lüsterner Mitbürger sei.
Sie werden wonneschauernd den Lichtpausen entg gen¬
harren und durch den verfinsterten Saal wird leise der
hübsche Kinorefrain Wann's finster wird, da ruck' ma
z'samm“ schwirren. In allen Schiebercafés wird man
„literarisch“ werden und vom „Reigen“ sprechen und die
Dialoge des Herrn Schnitzler werden fortau in keinem
„feinen“ Schlafzimmer mehr fehlen.
In Berlin hat die Aufführung dieser Dialoge arge
Skandale herborgerufen und in München mußten die Be¬
sucher bestätigen, daß sie mit der Aufführung einverstanden
sind. Wie sich das Wiener Publikum zum „Reigen“ ver¬
halten wird, soll der heutige Abend zeigen. Es ist kaum
etwas zu befürchten. Die Leute, die sich seit Wochen um
die Sitze zu dieser Erstaufführung gerissen haben, würden¬
selbst ohne Llchtpausen nicht zischen. Im Gegenteil!
Ueder die Aufführung selbst ist nach dem Ergebnis der
Generalprobe zu sagen, daß alle Beteiligten sich Mühe
geben, den Intentionen des Dichters zu entsprechen und
dabei etwas durchschimmern zu lassen, das die Schlüpfrig¬
keiten der Dialoge mit einem gewissen ethischen Schimmer
umgibt. Am besten waren Frl. Keller in ihrer schlichten
Natürlichkeit, Frau Carlsen in der gut gespielten Ver¬
legenheit der in Ehebruchangelegenbeiten erfahrenen Frau
und Frau Olly in der von echtem Theaterblut erfüllten
Selbstpersiflage einer kapriziösen Schauspielerin. Köstlich
waren Herr Lackner als ungarischer Husaren=Oberleutnant
und Herr Ziegler als Dichter. Nett war der jung
Wengraf, lebenswahr in der vorgeschriebenen Gemein¬
heit Frl. Markus und Herr Sima und auf verlorenem
Posten mutig kämpfend Iwald.] Von dem Regisseur
Peligsete-WVeitbiat, Wien
(Provinsgnsgabe)
2. Februar 1921
Nr. 26
Dr. Heinz Schulbaur wird behauptet, er habe die
Inszenierung „detikat“ gestaltet, weil er in den kritischen
Mdmenten das Licht ausschalten ließ. Das Gegenteil wäre
wahrscheinlich selbst dem Autor zu „undelikat“ gewesen.
treu—.