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Reigen
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Rund
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nach dem Ausdruck der Zeit, in der Ur¬
probleme von neuem zu gären be¬
ginnen.
Von der unheimlichen Macht, die
der Besitz auf den Menschen ausübt
handelt das Schauspiel. Wer einmal
vom Besitz besessen ist, kommt nicht
mehr von ihm los. Es ist wie das Wal¬
ten eines finsteren Schicksals, gegen das
man sich vergeblich auflehnt. Ein alter
Bauernhof, auf dem seit vierhunder
Jahren ein unfrohes, fluchbeladenes
Geschlecht haust, wird der Verfasserir
zum Sinnbild dieses dämonischen
Schicksals, das sich, da kein männli
cher Erbe mehr da ist, an einer jungen
Frau erfüllt. Sie glaubte, das Joch der
Tyrannei, die den Besitzern des Hofes
die Gesetze ihres Tuns aufzwingt, ab
schütteln zu können, indem sie den Ge¬
boten ihres liebenden Herzens genorcht
und einen armen Geigenmacher bei¬
ratet, der nicht vom Hofe ist, und sie
muß erkennen, daß fie mit dem Hof
fester verwachsen ist, als sie es gedach
hat. Je trotziger sie sich gegen den
Besitz auflehnt, desto mehr fühlt sie
sich als seine Sklavin, desto ohnmäch¬
tiger rüttelt sie an ihren Ketten, und
schließlich wird sie selber vom Flam¬
mentod ergriffen, mit dem sie den Hof
vernichten wollte, um sich von ihrem
Schicksal zu befreien.
Es klingt wie eine alte, von Ge¬
spensterfurcht eingegebene Ballade,
schaurig und dumpf. Der Atavismus
feiert nachtdunkle Orgien mit den Mit¬
teln des modernen Theaters. Alles ist
hysterisch verkrampft und chaotisch
zusammengeballt, was jetzt im Zeichen
des Expressionismus nach einem neuen
Stil strebt. Zuweilen wähnt man sich
in einer spiritistischen Seance. Tische
werden gerückt, abgeschiedene Geister
beschworen, die vierte Dimension tut
sich klopfend auf und entlädt allen Ho¬
kuspokus einer symbolistisch-telepathi
schen Ubertheaterei. Einerseits er¬
scheinen die Bühnenvorgänge ins Un¬
0
im Hionispiegel der Satire zu Nutz und
Frommen ihrer Mitbürger einzufangen.
Wer die Waffe der Satire zu ethischen
Zwecken gebraucht, muß den sicheren
Stand einer sittlich gefestigten Weltan¬
schauung haben, sonst wird alles, wo¬
gegen er sich auflehnt, Spiegelfechterei
bleiben. Man hat dies in den Kammer¬
spielen bei der Uraufführung einer sa¬
tirischen „Komödie vom Untergang der
Welt“ die sich „Annette“ betitelt, be¬
obachten können. Was Theodor Tag
ger in diesem Bruchstück eines „1920
überschriebenen Zyklus an Peitschen¬
hieben austeilt, um die moderne Gesell
schaft von Schiebern und Emporkömm¬
lingen aus ihren Lotterbetten aufzu¬
scheuchen, schnalzt bestenfalls, trifft
aber niemanden, weil er keinen eigenen
Standpunkt hat, der ihm Zielsicherheit
bietet. Als wollte er Einsteins Relativi¬
ätslehre zum dramatischen Prinzip er¬
heben, bezieht er einmal den Stand¬
punkt Wedekinds und das anderemal
den Sternheims. Alles ist in Bewegung,
nur die Welt, die er aus den Angeln
heben will, verharrt in Ruhe. Und ähn
lich ergeht es Karl Rößler, dem mit
allen Erfolgspraktiken wohlvertrauten
Verfasser der „Fünf Frankfurter“ mit
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nach dem Ausdruck der Zeit, in der Ur¬
probleme von neuem zu gären be¬
ginnen.
Von der unheimlichen Macht, die
der Besitz auf den Menschen ausübt
handelt das Schauspiel. Wer einmal
vom Besitz besessen ist, kommt nicht
mehr von ihm los. Es ist wie das Wal¬
ten eines finsteren Schicksals, gegen das
man sich vergeblich auflehnt. Ein alter
Bauernhof, auf dem seit vierhunder
Jahren ein unfrohes, fluchbeladenes
Geschlecht haust, wird der Verfasserir
zum Sinnbild dieses dämonischen
Schicksals, das sich, da kein männli
cher Erbe mehr da ist, an einer jungen
Frau erfüllt. Sie glaubte, das Joch der
Tyrannei, die den Besitzern des Hofes
die Gesetze ihres Tuns aufzwingt, ab
schütteln zu können, indem sie den Ge¬
boten ihres liebenden Herzens genorcht
und einen armen Geigenmacher bei¬
ratet, der nicht vom Hofe ist, und sie
muß erkennen, daß fie mit dem Hof
fester verwachsen ist, als sie es gedach
hat. Je trotziger sie sich gegen den
Besitz auflehnt, desto mehr fühlt sie
sich als seine Sklavin, desto ohnmäch¬
tiger rüttelt sie an ihren Ketten, und
schließlich wird sie selber vom Flam¬
mentod ergriffen, mit dem sie den Hof
vernichten wollte, um sich von ihrem
Schicksal zu befreien.
Es klingt wie eine alte, von Ge¬
spensterfurcht eingegebene Ballade,
schaurig und dumpf. Der Atavismus
feiert nachtdunkle Orgien mit den Mit¬
teln des modernen Theaters. Alles ist
hysterisch verkrampft und chaotisch
zusammengeballt, was jetzt im Zeichen
des Expressionismus nach einem neuen
Stil strebt. Zuweilen wähnt man sich
in einer spiritistischen Seance. Tische
werden gerückt, abgeschiedene Geister
beschworen, die vierte Dimension tut
sich klopfend auf und entlädt allen Ho¬
kuspokus einer symbolistisch-telepathi
schen Ubertheaterei. Einerseits er¬
scheinen die Bühnenvorgänge ins Un¬
0
im Hionispiegel der Satire zu Nutz und
Frommen ihrer Mitbürger einzufangen.
Wer die Waffe der Satire zu ethischen
Zwecken gebraucht, muß den sicheren
Stand einer sittlich gefestigten Weltan¬
schauung haben, sonst wird alles, wo¬
gegen er sich auflehnt, Spiegelfechterei
bleiben. Man hat dies in den Kammer¬
spielen bei der Uraufführung einer sa¬
tirischen „Komödie vom Untergang der
Welt“ die sich „Annette“ betitelt, be¬
obachten können. Was Theodor Tag
ger in diesem Bruchstück eines „1920
überschriebenen Zyklus an Peitschen¬
hieben austeilt, um die moderne Gesell
schaft von Schiebern und Emporkömm¬
lingen aus ihren Lotterbetten aufzu¬
scheuchen, schnalzt bestenfalls, trifft
aber niemanden, weil er keinen eigenen
Standpunkt hat, der ihm Zielsicherheit
bietet. Als wollte er Einsteins Relativi¬
ätslehre zum dramatischen Prinzip er¬
heben, bezieht er einmal den Stand¬
punkt Wedekinds und das anderemal
den Sternheims. Alles ist in Bewegung,
nur die Welt, die er aus den Angeln
heben will, verharrt in Ruhe. Und ähn
lich ergeht es Karl Rößler, dem mit
allen Erfolgspraktiken wohlvertrauten
Verfasser der „Fünf Frankfurter“ mit