II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 287

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11. Reigen
Auten MbeLN
Kammerspiele.
(Artur Schulhbeergen“)
Ist eine Aufführung von Schnitzlers „Reigen" über¬
haupt wünschbar? Nur wenige, die sich diese Frage vergelegt

haben, mögen „Ja gesagt haben; sicher freilich die Theater¬
direktoren. Bei der Aufführung nun ist es einem merkwürdig
gegangen. Man hat nämlich allmählich den Theaterdirektoren
recht gegeben und sich gestehen müssen, daß der Versuch doch
der Mühe wert war.
Nicht sogleich mochte man mit. Die ersten Szenen,
Dirne und Soldat, Soldat und Dienstmädchen, schienen zu
klein, zu roh; auch die Aufmachung unzulänglich. Die roten
Vorhänge, die die Bühne in allen Szenen flankieren und nur
ein kleines Mittelstück für andeutende Dekoration freilassen,
UTgehn nicht recht zusammen mit der Straßenlaterne und dem
Zaun (der außerdem denn doch keine Abbreviatur für den
Prater sein kann.) Des weiteren: was das Buch mit seinen
Gedaukenstrichen andeutet, auf der Bühne mit dem Abdreben
des Lichts zu bezeichnen, scheint ein kümmerlicher Ausweg Gin
erffüchternder Wink der Regie, ein verständnisvolles Augen
zbinkern, mit dem man nicht gestört sein möchte. Nachher,
wie 's wieder Licht wird, findet man das Paar in betoni
unverfänglicher Stellung; so daß die Worte dann geradezu
nicht passen. Hier ist ein Problem einfach nicht gelöst. und ihm
so aus dem Weg zu gehen, aus Jurcht vor weiß Gott was,
wirkt unkünstlerisch. Die großen Schmierigkeiten seien zuge¬
geben; jedoch die sind ja da, daß sie besiegt werden.
Gleichwohl, über solches Ungenügende läßt der künst¬
lerische Reiz hinwegsehen, mit dem einige Szenen. vor allem
die des süßen Mädels und der Schauspielerin bestechen. Hed¬
wig Keller als das süße Mädel ist schlechthin unübertreff¬
lich; nicht auszudrücken, wie sich Wienerisches dicht und sal:
in dieser Figur, in hundert mimischen und sprachlichen Nü¬
ancen sammelt. Nächst ihr bringt Marietta Olly den Bomoast
der Schauspielerin mit besonderer Komik zur Geltung, even¬
so ist der Graf des Herrn Lackner eine ganz runde, echte
Figur. Traute Carlsen (junge Frau) steht etwas zu nehe
am Typ der Schauspielerin, hier wäre eine andere Farbe
besser am Platz gewesen. Herr Iwald als Ehemann hatte
Täglich abends:
Gr. Wein- u. Bier-Rumme
Wiene Mitteg. Wien PfEgipe,
„Visage" — in dem Auftritt mit dem füßen Madel eine
deutlichere. In zweiter Reihe stehen dann Hanns Ziegler
(Dichter), Elisabeth Markus (etwas grobschlächtig), Aelly
Hochwald und die Herren Sima und Wengraf.f
Damit, daß ungewöhnliche schauspielerische Leistungen
ermöglicht waren, ist die Aufführung legitimiert. Sie brachte
so gut wie den Darsiellern auch Schnitzler einen künstlerischen
Erfolg. Der Kunst ist kein Gebiet verschlossen, unerlaubt in
ihr ist nur: den zu Gebote stehenden Lebensstoff nicht meistern
zu lönnen. In diesen erotischen Dialogen ist der Stoff ge¬
meistert. Damit ist auch gesagt, daß er auch entmaterialisiert
ist, schon jenseits von Gut und Böse steht. Die Figuren des
süßen Mädels, der Schauspielerin, des Grafen sind wahr;
wahr und beklemmend, traurig und von einem, der Mensch¬
liches begriffen hat, nachdenklich aufgezeigt ist in den ersten
leiden Szenen das Davonlaufen des befriedigten Männchens
und das Bitten, die Erniedrigung des liebenden Weibes. Na¬
türlich: man kann vorziehen, sich in anderen Gebieten zu
ergehen, kann die gesamte erotische Literatur von der grie¬
chischen Anthologie bis zum „Reigen“ ablehnen. Aber wenn man
sich einmal eingelassen hat, ist es unmöglich, die künstlerischen
Qualitäten des „Reigen“ zu übersehen, der, leider muß man es
noch wiederholen, mit unanständigem Schrifttum nichts zu
tun hat. So wie diese Aufführung nichts Unanständiges hat,
wohl aler einige köstliche sh# ielerische Leistungen. M. M.—
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Theater und Kunst.
(Theater.) Die Sensation der Woche bildete
den
nach zwei öffentlichen Generalbroben in
Kammerspielen die vielumstrittene szenische

Arthur
von
Aufführung
„Reigen: Diese zehn Dialoge der geschlecht¬
lichen Vereinigung, die schon das ansehnliche
Alter von 25 Jahren besitzen, waren ursprünglich
niemals dem Theater zugedacht. Max Rein¬
hardt entdeckte erst ihren Reiz im Rampenlicht
und nun bekamen wir den „Reigen" des Geschlechts¬
genusses, den die Dirne mit dem Soldaten am
Donauufer eröffnet und mit dem ungarischen
Grafen abschließt, in einer diskret abgetönten
Wiedergabe, bei der mehr die feine Ironie und
die psychologischen Finessen dieser Liebesszenen
als der Geschlechtsakt betont wurden, zu sehen.
Dr. Schulbaurs sehr sorgfältigen Inszenie¬
rung gelang denn auch der literarische Erfolg des
Experimentes. Freilich waren nicht gleichmäßig
gute Darsteller an der Aufführung bereiligt. Frau
Carlsen hat den parodistischen Witz für die
anständige Frau; Frau Marietta Olly, die sich
eine Adele Sandrock=Kopie leistete, hat Tempera¬
ment und Geist als „Schauspielerin“: Fräulein
Keller ist das echteste Wiener süße Mädel. Von
den Herren gebührt Lackner für seinen glänzend
geschauten Offizier der ersie Preis. Herr Sima
spielt den Soldaten mit natür cher Frische, der
hübsche und begabte Herr Wengraf ist im
Duo mit dem Stubenmädchen sehr neit, Herr
Ziegler hat das Verträumte des Dichters,
Herr Iwald die kurzsichtige Ueberlegenheit des
Ehemannes; Fräulein Markus hat sich die
unverfälschten Züge der Dirne angeschminkt, Frau
Hochwald ist das Stubenkätzchen des Prater¬
abenteuers und der Junggesellenstube. Der
äußere Erfolg stellte sich am kräftigsten in den
Szenen des Wiener Mädels und der Schau¬
spielerin ein. Direktor Bernau dankte für den
Dichter. —