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11. Reigen
Wiene. Stimmen. Wier
3. Februar 1921
Seite 3
Schnitzlers „Neigen“.
Durch alle Sträßen We###lang
Von unserer Kinder Not sday Werkel.
Der Jnd' schrie: „Konjunktut!“ und sprang,
Jetzt anzubringen seine — Ferkel.
Ego.
Keine Trinkgelder bei Begräbnissen.
Mit dem gestrigen Tage ist das Verabreichen von Trink¬
geldern an die Bediensteten der städtischen Leichenbestattung
abaeschafft worden. Die Bediensteten haben bei Erneueruna
des Kollektivvertrages selbst erklärt, auf die üblichen Trink¬
aelder vernichten zu wollen. Sie erhalten dafür nach den mit
den Unternehmungen geschlossenen Vereinbarungen bei jedem
Begräbnisse eine Prämie. Mit Rücksicht auf diese Verein¬
darungen hat die Direktion der Wiener städtischen Leichen¬
bestattung die Annahme von Trinkaeldern verboten.
Die Aufführung von Händels „Messias“
am Freitag, den 4. d., im großen Musikvereinssaal durch den
Sängerbund „Dreizehnlinden“, veranstaltet von der Cbristlichen
Kunststelle, beginnt bereits um ½7 Uhr abends
(nicht erst 7 Uhr abends, wie auf den Karten irrtümlich an¬
gegeben ist).
Theater für morgen, Freitag, den 4. Februar.
Burgtheater: „Hamlet“. —
Staatsoper: „Alda“.
— Volksoper: „Taanhäuser“. — Deutsches Volks¬
theater: „Androllus und der Löwe“. — Kammer¬
spiele: „Reigen“. Nachtvorstellung „Theodore u. Cie.“
Carltheater: „Liebesrausch“. — Theater an der
Wien: „Die blaus Mazur“.
Raimundtheater:
„Der Tanz ins. Glück“. —
Wiener Stadttheater:
„Die Welt ohne Männer“.
Johann=Strau߬
Theaier: „Das Hollandweibchen“. — Neue Wiener
Bühne: „Lisistrata“.
Theater in der Joses¬
stadt: „Alles aus Liebe“. — Wiener Bürgertheater:
„Hol' mich der Teufel!“
Lustspieltheater:
„Familie Hannemann“. — Wiener Komödienyans:
„Das Sverrsechserl“.
Renaissance = Bühne:
„Geständnis“.
Paumgartners wieder den günftigsten Eindruch.
0. —
& Aelhur Schnihlers „Reigen“. (Erstaufführung in den Wiener
Kammerspielen.) Diese zehn Dratoge wurden, äh.lich wie Wedekinds
„Frühlingserwachen“, nicht für die Bühne geschrieben und wurden
trotzdem für jene literarische Strömung, die sich „Jung=Wien“ nannte,
programmatisch, stilbildend. Der „Reigen“ ist nicht bloß für das
Lebenswerk Schnitzlers von höchster Bedeutung: er drückte zuerst
und in origineller Form, die Empfindungswelt und Geistigkeit einer
Gesellschaftsschichte und Generation Wiens aus. Aus diesen zehn
Szenen und dann noch aus dem „Anatol“ ließe sich die dichterische
Persönlichkeit Schnitzlers, gingen seine übrigen Werke verloren, er
kennen. Die zehn Szenen behandeln ein nach landläufigen Begriffen
„gewagtes" Thema, gewagt aber doch nur, wenn der Belseteiler miit
dreckigen Gedanken ihnen naht. Jede der Szenen gipfelt in dem
geschlechtlichen Finden eines Weibes und Mannes, der „Reigen“ be¬
deutot nichts anderes als das ewig menschlichste, das Geistige im
Triebleben. Es kommt in allen diesen Szenen der Augenblick, der
auf der Bühne nicht gespielt und gezeigt werden kann. Dr. Schul¬
baur als der Regisseur der Vorstellung ließ da die Bühne in Dun¬
kelheit versinken. Ich muß gestehen, diesen szenischen Gedankenstrich
durchaus nicht als „Schweinerei“ empfunden zu haben; einigermaßen
kultivierte Theaterbesucher können nicht den Augenblick der Vereini¬
gung als Hauptsache empfinden, dagegen teilnahmslos bleiben dem
tieferen Sinn, der Ironie und der Menschlichkeit gegenüber. Die
atirische überlegenheit und Feinheit in der Zeichnung der jungen
Frau, des Ehemannes, des Dichters, des Grafen, der Schauspielerin
kennzeichnen den „Reigen“ eben als Kunstwerk; es bedarf eigentlich
keines ernsteren Wortes, daß Schnitzler turmhoch über „Pornogra
phie“ steht; es bedarf ferner keines ernsthafteren Wortes, daß nie
Lüsternheit gegeben oder erzeugt wird. Die einzelnen Szenen er
fuhren vollendete und schwache Darstellungen. Mittlere Leistungen
fehlen merkwürdigerweise. Von unbeschreiblicher Wirkung sind Frl.
Keller als süßes Mädl, Frau Olly als Adele Sandrock — pardon:
## als Schauspielerin. Vortrefflich kennzeichnet Frau Carlsen die be¬
schränkte, oberflächliche Dame der Gesellschaft. Prachtvoll Lackner
als Graf. Nicht ohne Interesse war die Haltung des Publikums¬
es war gefesselt, traute sich aber nicht, seine wahre Meinung irgend¬
wie kundzugeben.
R. Holzer.
Kammerspiele. Das auf das Aergste gefaßte Publikum,
84
—
das der Erstaufführung des „Reigen“ beiwohnte, erschraf
nur über die vornegxaphische Brutalität der ersten Dialoge,
unterhielt sich ab## später, als es „feiner“ wurde, mit der
„Ueberlegenheit hon Menschen, die dem Grundsatz huldigen:
WAlles verstahen, heißt alles verzeihen. Anfangs sehr zurück¬
haltend, weste sich später schüchterner Beifall hervor und
##nach dem letzten Fallen des Vorhangs riesen die Anhänger
Sch#islers nach dem Dichter. Dieser überließ es Direktor
Aomnau für ihn zu danken. Um einem dringenden Bedürfnis
Fahlungsfähiger Schnitzler=Verehrer zu entsprechen, gibt
∆ Direktor Bernau de
eigen“ jetzt alle Abend. treu—.
Pratudien zur Wiener Aufführung von Schnitzlers
Reigen“. Aus Wien untd ims telegraphiert=V#r mehreren
Tagen war in der Reichspost ein sehr hestiger Artikel gegen
die Aufführung von Schnitles „Reigen“ in den Wiener
Kammorsvielen erschienen. Der Artiker enthielt auch Drohun¬
zen, daß die Wiener Bevöllerung die Aufführung solcher
unsittlichen #####ke sich nicht gefallen lassen werde. Heute
befürchtete man, daß katholische Studenten während der Auf¬
führung des „Reigen" Demonstrationen veranstalten werden.
Der Beginn der Vorstellung verlief ohne jede Störung
1eyd, Radapee
FER I97,
n
11. Reigen
Wiene. Stimmen. Wier
3. Februar 1921
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Schnitzlers „Neigen“.
Durch alle Sträßen We###lang
Von unserer Kinder Not sday Werkel.
Der Jnd' schrie: „Konjunktut!“ und sprang,
Jetzt anzubringen seine — Ferkel.
Ego.
Keine Trinkgelder bei Begräbnissen.
Mit dem gestrigen Tage ist das Verabreichen von Trink¬
geldern an die Bediensteten der städtischen Leichenbestattung
abaeschafft worden. Die Bediensteten haben bei Erneueruna
des Kollektivvertrages selbst erklärt, auf die üblichen Trink¬
aelder vernichten zu wollen. Sie erhalten dafür nach den mit
den Unternehmungen geschlossenen Vereinbarungen bei jedem
Begräbnisse eine Prämie. Mit Rücksicht auf diese Verein¬
darungen hat die Direktion der Wiener städtischen Leichen¬
bestattung die Annahme von Trinkaeldern verboten.
Die Aufführung von Händels „Messias“
am Freitag, den 4. d., im großen Musikvereinssaal durch den
Sängerbund „Dreizehnlinden“, veranstaltet von der Cbristlichen
Kunststelle, beginnt bereits um ½7 Uhr abends
(nicht erst 7 Uhr abends, wie auf den Karten irrtümlich an¬
gegeben ist).
Theater für morgen, Freitag, den 4. Februar.
Burgtheater: „Hamlet“. —
Staatsoper: „Alda“.
— Volksoper: „Taanhäuser“. — Deutsches Volks¬
theater: „Androllus und der Löwe“. — Kammer¬
spiele: „Reigen“. Nachtvorstellung „Theodore u. Cie.“
Carltheater: „Liebesrausch“. — Theater an der
Wien: „Die blaus Mazur“.
Raimundtheater:
„Der Tanz ins. Glück“. —
Wiener Stadttheater:
„Die Welt ohne Männer“.
Johann=Strau߬
Theaier: „Das Hollandweibchen“. — Neue Wiener
Bühne: „Lisistrata“.
Theater in der Joses¬
stadt: „Alles aus Liebe“. — Wiener Bürgertheater:
„Hol' mich der Teufel!“
Lustspieltheater:
„Familie Hannemann“. — Wiener Komödienyans:
„Das Sverrsechserl“.
Renaissance = Bühne:
„Geständnis“.
Paumgartners wieder den günftigsten Eindruch.
0. —
& Aelhur Schnihlers „Reigen“. (Erstaufführung in den Wiener
Kammerspielen.) Diese zehn Dratoge wurden, äh.lich wie Wedekinds
„Frühlingserwachen“, nicht für die Bühne geschrieben und wurden
trotzdem für jene literarische Strömung, die sich „Jung=Wien“ nannte,
programmatisch, stilbildend. Der „Reigen“ ist nicht bloß für das
Lebenswerk Schnitzlers von höchster Bedeutung: er drückte zuerst
und in origineller Form, die Empfindungswelt und Geistigkeit einer
Gesellschaftsschichte und Generation Wiens aus. Aus diesen zehn
Szenen und dann noch aus dem „Anatol“ ließe sich die dichterische
Persönlichkeit Schnitzlers, gingen seine übrigen Werke verloren, er
kennen. Die zehn Szenen behandeln ein nach landläufigen Begriffen
„gewagtes" Thema, gewagt aber doch nur, wenn der Belseteiler miit
dreckigen Gedanken ihnen naht. Jede der Szenen gipfelt in dem
geschlechtlichen Finden eines Weibes und Mannes, der „Reigen“ be¬
deutot nichts anderes als das ewig menschlichste, das Geistige im
Triebleben. Es kommt in allen diesen Szenen der Augenblick, der
auf der Bühne nicht gespielt und gezeigt werden kann. Dr. Schul¬
baur als der Regisseur der Vorstellung ließ da die Bühne in Dun¬
kelheit versinken. Ich muß gestehen, diesen szenischen Gedankenstrich
durchaus nicht als „Schweinerei“ empfunden zu haben; einigermaßen
kultivierte Theaterbesucher können nicht den Augenblick der Vereini¬
gung als Hauptsache empfinden, dagegen teilnahmslos bleiben dem
tieferen Sinn, der Ironie und der Menschlichkeit gegenüber. Die
atirische überlegenheit und Feinheit in der Zeichnung der jungen
Frau, des Ehemannes, des Dichters, des Grafen, der Schauspielerin
kennzeichnen den „Reigen“ eben als Kunstwerk; es bedarf eigentlich
keines ernsteren Wortes, daß Schnitzler turmhoch über „Pornogra
phie“ steht; es bedarf ferner keines ernsthafteren Wortes, daß nie
Lüsternheit gegeben oder erzeugt wird. Die einzelnen Szenen er
fuhren vollendete und schwache Darstellungen. Mittlere Leistungen
fehlen merkwürdigerweise. Von unbeschreiblicher Wirkung sind Frl.
Keller als süßes Mädl, Frau Olly als Adele Sandrock — pardon:
## als Schauspielerin. Vortrefflich kennzeichnet Frau Carlsen die be¬
schränkte, oberflächliche Dame der Gesellschaft. Prachtvoll Lackner
als Graf. Nicht ohne Interesse war die Haltung des Publikums¬
es war gefesselt, traute sich aber nicht, seine wahre Meinung irgend¬
wie kundzugeben.
R. Holzer.
Kammerspiele. Das auf das Aergste gefaßte Publikum,
84
—
das der Erstaufführung des „Reigen“ beiwohnte, erschraf
nur über die vornegxaphische Brutalität der ersten Dialoge,
unterhielt sich ab## später, als es „feiner“ wurde, mit der
„Ueberlegenheit hon Menschen, die dem Grundsatz huldigen:
WAlles verstahen, heißt alles verzeihen. Anfangs sehr zurück¬
haltend, weste sich später schüchterner Beifall hervor und
##nach dem letzten Fallen des Vorhangs riesen die Anhänger
Sch#islers nach dem Dichter. Dieser überließ es Direktor
Aomnau für ihn zu danken. Um einem dringenden Bedürfnis
Fahlungsfähiger Schnitzler=Verehrer zu entsprechen, gibt
∆ Direktor Bernau de
eigen“ jetzt alle Abend. treu—.
Pratudien zur Wiener Aufführung von Schnitzlers
Reigen“. Aus Wien untd ims telegraphiert=V#r mehreren
Tagen war in der Reichspost ein sehr hestiger Artikel gegen
die Aufführung von Schnitles „Reigen“ in den Wiener
Kammorsvielen erschienen. Der Artiker enthielt auch Drohun¬
zen, daß die Wiener Bevöllerung die Aufführung solcher
unsittlichen #####ke sich nicht gefallen lassen werde. Heute
befürchtete man, daß katholische Studenten während der Auf¬
führung des „Reigen" Demonstrationen veranstalten werden.
Der Beginn der Vorstellung verlief ohne jede Störung
1eyd, Radapee
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