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11. Reigen
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box 17/5
Der Rühnenmierker.
Von Dr. Friedrich Wallisch.
III.—6.
In dieser Woche hat Wien eine ganz besonders
große Theatersensation erlebt. Im wahrsten Sinne
des Wortes. Denn nur Sensationssucht und Begierde
nach vollen Theaterkassen war die Veranlassung Ar¬
thur Sch##ehn Dialoge „Reigen“ die
nie fürs Theater gedacht sein konnten, auf die Bühne
zu bringen. Aber es sei sogleich vorweggenommen,
edie Aufführung in den Kammerspielen die
250
höchsten künstlerischen Werte vermittelt und geschaf¬
fen hat. Böse Absicht wendete sich also zum Guten.
Wäre dies nicht vorauszusehen gewesen, so hätte ein
so vornehmer Mensch und Dichter, wie es Schnitzler
ist, nie seine Einwilligung zu diesem Experiment ge
geben. Und es muß uns mit besonderer Genugtuung
erfüllen, daß gerade Bernau, der beste unter un¬
seren Theaterleitern, den Kassenerfolg ernten wird.
Es war dem Wiener Publikum, ja dem Dichter
sogar selbst bis vor wenigen Tagen unbekannt, daß
schon vor ungefähr sieben Jahren der ingeniöse Bu¬
dapester Direktor Dr. Bardos in seinem Theater „Uj
Szinpad“ einige (nicht autorisierte!) Aufführungen des
„Reigen“ veranstaltet hatte. Während des Weltkrieges
erlebte das Werk in Rußland (gleichfalls nicht auto¬
risierte) Serienaufführungen, was uns damals nicht
wundernehmen durfte, da sich die Bühnenkunst der
russischen Revolution auch nicht scheute, Stücke auf¬
zuführen, in denen Schauspielerinnen völlig unbe¬
kleidet vors Publikum traten. Ende 1920 nun kam das
Werk mit Einverständnis des Dichters an Gertrud
Eysoldts kleinem Schauspielhaus in Berlin heraus.
Schnitzler war vorsichtig genug, den Sturm des Für
und Wider in Berlin austoben zu lassen und erst
später die Wiener Aufführung zu genehmigen.
Die zehn Zwiegespräche rund um den Akt der
körperlichen Liebe bereiten, geschmackvoll dargestellt,
unüberwindbare Regiehindernisse. Wort und Spiel
kann sich in der Aufführung nicht decken. Aber es
war ein hoher künstlerischer Genuß, die Plastik der
Schnitzlerischen Dialektik in der Wiedergabe durch ein
erstklassiges Ensemble zu erleben. Elisabeth Markus
stand als Dirne auf halbverlorenem Posten, Nelly
Hochwald, die mit Lina Woiwode in der Rolle
des Stubenmädchens alterniert, schien unfrei, Traute
Carlsen als junge Frau setzte ihrem Spiele präch¬
tigste, fein abgetönte karikaturistische Lichter auf. Sie
übertraf alle Erwartung. Hinreißend in naivem Raf¬
finement war Hedwig Keller als süßes Mädel, mit
virtuosem Schwung gab die geniale Marietta Olly
die Schauspielerin. In seinem eigenartig trockenem
Tone spielte Oskar Sima, der mit Franz Kamm¬
f alterniert, ganz vorzüglich den Soldaten. Seine
Ben
nun beste Leistung bot der
als junger Herr Das
ein der
führen wir
gte das Spiel
jungen Frai
ds. Mit trefflichst abgewogener Dra¬
ig gab Hans Ziegler den Dichter, eine grandiose
Kopie aus k. u. k. Zeiten schuf Hons Sackner als
Graf
In rote Seitenteile und roten Rundvorhang wa¬
ren die Dekorationen mit weiser Sparsamkeit einge¬
EKKRKIEENKNNTF
Der So#ag
fügt. Verdunkelung der Bühne deutete den bisnun
auf dem Theater noch nicht dargestellten physiolo¬
gischen Vorgang an. Dr. Heinz Schulbaur hatte
prächtige Regieleistung voll¬
eine tiefst durchdachte,
bracht, die allerdings, insbesondere in den ersten Sze¬
nen, allzu vorsichtig allen Realismus vermied.
Wer Kunst suchte, kam ebenso auf seine Rechnung
der Sensationslüsterne.
wie
will heute — da die Woche kein zweites
Ich
noch kurz ein nicht all¬
Theaterereignis brachte —
tägliches Buch erwähnen, „Lieder aus dem Venus¬
sommer“ von Wilhelm Müller=Rüdersdorf, in
gefälliger Ausstattung im Norddeutschen Verlag, Stet¬
tin, erschienen: Ein Lyrik=Band, ganz wenige Ge¬
dichte, die über das Durchschnittliche (womit der Markt
immer wieder überschwemmt wird) hoch erhaben sind.
Liebeslyrik, stark erotisch, nicht ohne deutlichen maso
chistischen Einschlag, aber schlichte, echte Kunst: In
wenigen richtigen Worten viel kraftvolles, wahres Ge¬
fühl!
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Der Rühnenmierker.
Von Dr. Friedrich Wallisch.
III.—6.
In dieser Woche hat Wien eine ganz besonders
große Theatersensation erlebt. Im wahrsten Sinne
des Wortes. Denn nur Sensationssucht und Begierde
nach vollen Theaterkassen war die Veranlassung Ar¬
thur Sch##ehn Dialoge „Reigen“ die
nie fürs Theater gedacht sein konnten, auf die Bühne
zu bringen. Aber es sei sogleich vorweggenommen,
edie Aufführung in den Kammerspielen die
250
höchsten künstlerischen Werte vermittelt und geschaf¬
fen hat. Böse Absicht wendete sich also zum Guten.
Wäre dies nicht vorauszusehen gewesen, so hätte ein
so vornehmer Mensch und Dichter, wie es Schnitzler
ist, nie seine Einwilligung zu diesem Experiment ge
geben. Und es muß uns mit besonderer Genugtuung
erfüllen, daß gerade Bernau, der beste unter un¬
seren Theaterleitern, den Kassenerfolg ernten wird.
Es war dem Wiener Publikum, ja dem Dichter
sogar selbst bis vor wenigen Tagen unbekannt, daß
schon vor ungefähr sieben Jahren der ingeniöse Bu¬
dapester Direktor Dr. Bardos in seinem Theater „Uj
Szinpad“ einige (nicht autorisierte!) Aufführungen des
„Reigen“ veranstaltet hatte. Während des Weltkrieges
erlebte das Werk in Rußland (gleichfalls nicht auto¬
risierte) Serienaufführungen, was uns damals nicht
wundernehmen durfte, da sich die Bühnenkunst der
russischen Revolution auch nicht scheute, Stücke auf¬
zuführen, in denen Schauspielerinnen völlig unbe¬
kleidet vors Publikum traten. Ende 1920 nun kam das
Werk mit Einverständnis des Dichters an Gertrud
Eysoldts kleinem Schauspielhaus in Berlin heraus.
Schnitzler war vorsichtig genug, den Sturm des Für
und Wider in Berlin austoben zu lassen und erst
später die Wiener Aufführung zu genehmigen.
Die zehn Zwiegespräche rund um den Akt der
körperlichen Liebe bereiten, geschmackvoll dargestellt,
unüberwindbare Regiehindernisse. Wort und Spiel
kann sich in der Aufführung nicht decken. Aber es
war ein hoher künstlerischer Genuß, die Plastik der
Schnitzlerischen Dialektik in der Wiedergabe durch ein
erstklassiges Ensemble zu erleben. Elisabeth Markus
stand als Dirne auf halbverlorenem Posten, Nelly
Hochwald, die mit Lina Woiwode in der Rolle
des Stubenmädchens alterniert, schien unfrei, Traute
Carlsen als junge Frau setzte ihrem Spiele präch¬
tigste, fein abgetönte karikaturistische Lichter auf. Sie
übertraf alle Erwartung. Hinreißend in naivem Raf¬
finement war Hedwig Keller als süßes Mädel, mit
virtuosem Schwung gab die geniale Marietta Olly
die Schauspielerin. In seinem eigenartig trockenem
Tone spielte Oskar Sima, der mit Franz Kamm¬
f alterniert, ganz vorzüglich den Soldaten. Seine
Ben
nun beste Leistung bot der
als junger Herr Das
ein der
führen wir
gte das Spiel
jungen Frai
ds. Mit trefflichst abgewogener Dra¬
ig gab Hans Ziegler den Dichter, eine grandiose
Kopie aus k. u. k. Zeiten schuf Hons Sackner als
Graf
In rote Seitenteile und roten Rundvorhang wa¬
ren die Dekorationen mit weiser Sparsamkeit einge¬
EKKRKIEENKNNTF
Der So#ag
fügt. Verdunkelung der Bühne deutete den bisnun
auf dem Theater noch nicht dargestellten physiolo¬
gischen Vorgang an. Dr. Heinz Schulbaur hatte
prächtige Regieleistung voll¬
eine tiefst durchdachte,
bracht, die allerdings, insbesondere in den ersten Sze¬
nen, allzu vorsichtig allen Realismus vermied.
Wer Kunst suchte, kam ebenso auf seine Rechnung
der Sensationslüsterne.
wie
will heute — da die Woche kein zweites
Ich
noch kurz ein nicht all¬
Theaterereignis brachte —
tägliches Buch erwähnen, „Lieder aus dem Venus¬
sommer“ von Wilhelm Müller=Rüdersdorf, in
gefälliger Ausstattung im Norddeutschen Verlag, Stet¬
tin, erschienen: Ein Lyrik=Band, ganz wenige Ge¬
dichte, die über das Durchschnittliche (womit der Markt
immer wieder überschwemmt wird) hoch erhaben sind.
Liebeslyrik, stark erotisch, nicht ohne deutlichen maso
chistischen Einschlag, aber schlichte, echte Kunst: In
wenigen richtigen Worten viel kraftvolles, wahres Ge¬
fühl!