II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 300

box 17/5
11. Reigen
Theater.
Von Hans Liebstoeckl.
1.
Es bleibt der Schlußpunkt hinter Sc#huitlers
27 2
„Reigen“ zu setzen; festzustellen bleibt, was die Auf¬
führung für den Dichter zu tun vermochte; zu sagen
hab' ich, ob sie Einwände besänstigt, Bedenken zer¬
streut hat. Der Wiener Poet verfocht seine Sache gegen
M. Harden mit Geschick und die Berliner Behörden des
Poeten Sache gegen die Eiferer im Reiche mit erstaun¬
lichem Geschick und bei Behörden feltenem Wohlwollen.
Die zehn Stücke aber, biskret gedämpft, um die neun
Gefährlichkeiten glücklich herumgesteuert (bei verfinster¬
ter Bühne im entscheidenden Augenblicke) erwiesen des
Autors feine Beobachtungsgabe, sein Bescheidwissen um
die Beiwohnungsnot in allzu irdischen Zufallsliebeleien
und erwiesen vor allem große Opferwilligkeit der fünf
Schauspielerinnen, deren jede den Vorzug genoß, öffent¬
lich zu nehmen, indem sie gaben... Paarung ist Pri¬
vatsache zweier (höchstens dreier) Personen. Wer Paa¬
rung auf die Bühne bringt, müßte den Mut besitzen,
alles zu wagen, auch das Schlimmste vom Besten. Die
Aufführung des „Reigens“ gibt bloß den Kitzel, nicht
die Lösung. (Nach der nächsten Revolution wird man
nur noch die Lösung spielen). Die Aufführung gibt...
Die Aufführung gibt der Schauspielerin Keller
Gelegenheit, zu zeigen, wie einfach alle Schauspiel¬
kunst ist, wenn sie nicht als solche geübt wird Daß
inmitten der Unnatur, die auf unseren Bühnen heimisch
ist, natürliche, dem wahrhaftigen Leben abgelauschte
Geste und Worte ohne Umschweif auf das Herz des
Zuschauers losschreiten, daß es wirklich „süße Mädeln“
gibt, auch auf dem Theater, fast glaubt' ichs (wenn
von Nachwuchs die Rede ist) nicht mehr. Ohne Pausen
und Löcher, ohne Rucker spiele, so spielen, daß die
„Ralle“ nicht ab und zu leer läuft, daß plötzlich eine
Figur dasteht, die alles Theater verschwinden macht, das
ist wahrhaftig Kunst über dem, was sonst im Mimenreich
Kunst heißt. Neben der Keller war, aufs neue, die
Virtuosität im Sprechen zu bewundern, die Frau
Olly vor ihren Kolleginnen auszeichnet. Wenn das
Wort richtig sitzt, wenn die Schauspielerin iebendig
spricht (bei milde funkelnden Vokalen, die scharf und
sein in Konsonanten gefaßt sind), kommt alles übrige
von selbst; ich sagt' es oft: das Wort macht die dar¬
98
*
stellende Kunst. Aehnliches gilt von Herrn Lackner;
er spricht und spielt famos, er kann zeichnen, er gibt
in einfachsten Linien das volle Bild. Und nun, da der
Streit um den „Reigen“ vorbei ist, bleibt es bei dem,
was ich kürzlich schrieb: gebt von der Geschlechtlichkeit
Zauber nur das Notwendige, nur die edlerer Naturen,
solange keine Bühne für ideale Zuschauer dasteht. Keine
sittliche, eine ideale Forderung stell' ich, und das trennt
mich von Rom, in dessen Hand sich alles in Politik
verwandelt.
Schnitzlers „Reigen“ in Wien.
Unfer Winer lilerarister Verfreheh schteibt und: Wenn ein
Bülziendichter durch ein Vierteljahrhundert die Bekanntschäft
mit einem Werk nur im Wege des Büchhandels vermittelt, ob¬
zwar es sich um kein sogenanntes Bu#l#rama handelt, so ist es
einleuchtend, daß er hierzu zwingende Gründe hat. Arthur
Schnitzler hat die zehn al fresco hins###orfenen Skizzen aus
dem Liebesleben, die Menschliches, allzk Menschliches in einer
allerdings mitunter entzückenden und sstets Niveau=haltenden
Form behandeln, 1896 in einer seiner AiatolsStimuen ver¬
faßt, dabei aber, wie er mir oft und ft lersiche##e. ans Theater
absolut nicht gedacht. Seit vielen Jahren haben nun die Teater¬
direktoren um den Dichter des „Reigen“ förmlich einen Reigen
aufgeführt, um ihn zu bewegen. das Interdikt, mit welchem er
sein Werk beleat bat. anfaubeben. Veraebliche Mühe. bezichunas¬
weise in diesem Falle vergebliche — Liebesmüh'! Endlich hat sich,
umsomehr als auch die Zensurfesseln seit dem Umsturz erheblich
gelodert wurden, Schnitzler bestimmen lassen, unter gewissen
Voraussetzungen die Bedenken zurückzustellen, welche ihn bisher
von einer Bühnenaufführung seines „Reigen“ abhielten. Es
waren gewiß berechtigte künstlerische Bedenken, und fern von
aller Prüderie kann man nur lebhaft bedauern, daß Schnitzler
den Lockungen gegenüber nicht standhaft geblieben ist. Sein
Dichterruhm wird allerdings durch die Aufführung enso wenig
geschmälert, als erhöht werden. Das erovische Moment, welches
in einer bisher noch nicht dagewesenen Unverhülltheit sozusager
den Liebesreigen anführt, wird in der Aufführung de¬
Kammerspiele des Deutschen Volkstheaters tun
lichst zurückhaltend dargestellt. Erns mirs ein ansate##