II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 321

Reigen
box 17/5
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Nr. 20278
Wien, Donnerstag
Die Bundesregierung gegen Schnitzlers
„Reigen“.
Kein Verboi der weiteren Vorstellungen.
Um die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ in der
Kammerspielen wird hinter den politischen Kulissen eir
jäher Kampf geführt. Die Generalprobe hatte, wie erinnerlich
n Anwesenheit von Vertretern der zuständigen Behörden
vor allem der Landesregierung, stattgefunden. Die
Meinungen über die Eignung des „Reigen“ zur Bühnen
aufführung in Wien vom polizeilichen Standpunkt aus waren
geteilt. Die Landesregierung entschied sich aber für die
Zulassung, und die Bewilligung wurde gegeben. Von christlich
sozialer und alldeutscher Seite wurde nun die Sache vom
anderen Ende her angepackt und versucht, Handhaben zu
einem behördlichen Einschreiten nach den Kautschuk¬
bestimmungen des Patents über die Wahrung der öffentlichen
Ruhe und Ordnung zu bieten. Die Hetze führte
bekanntlich vorgestern zu dem allerdings mißlungenen Vor¬
haben, die Vorstellung durch das gewaltsame Eindringen
von nicht mit Eintrittskarten versehenen Personen in das
Theater zu stören. Trotzdem scheinen die Drahtzieher der
Bewegung den Vorfall für geeignet gehalten zu haben, die
Sache nun bei der Bundesregierung selbst weiter zu betreiben.
Im Namen der Regierung richtete der Minister für
Inneres Dr. Glanz ein Schreiben an die zuständige
Stelle, in dem „nahegelegt wurde“, die Fort¬
setzung der Aufführungen des „Reigen auf Grund der
erwähnten Bestimmungen zu verbieten. Dieser merk¬
würdige Schritt der Regierung blieb ohne den gewünschten
Erfolg. Ob es die Landesregierung oder das Polizeipräsidium
war, an deren Adresse sich diese „Nahelegung“ richtete, ist
bei dem nichtoffiziellen Charakter des Schriftstückes nicht
festgestellt. Im Interesse einer geordneten Verwaltung steht
aber die erfreuliche Tatsache fest, daß dieses durchaus vor¬
märzliche System, das gekennzeichnet ist, durch die Furcht
vor der Verantwortung und durch das Bestreben, andere vor¬
zuschieben, um nicht selbst Gehässigkeiten auf sich zu laden,
von der unteren Instanz die gebührende Nichtbeachtung ge¬
funden hat. Landesregierung oder Polizeipräsidium waren
vollständig im Recht, auf ein Begehren, für das in der Re¬
publik kein Raum mehr sein darf, nicht einzugehen. Entweder
ein Stück gefährdet die öffentliche Sittlichkeit, dann muß
nach den gesetzlichen Bestimmungen gehandelt werden, oder
es ist dies nicht der Fall, dann hat niemand ein Recht,
einzugreifen.
An der erteilten Bewilligung zur Aufführung des
„Reigen“ in den Kammerspielen, ist demnach nichts
geändert worden. Die heutige Vorstellung ist, so wie
die gestrige, in Ruhe verlaufen. Solange sich an dieser
Sachlage nichts ändert, ist für die Polizei auch kein Anlaß
zum Einschreiten im eigenen Wirkungskreise gegeben. Wird
ein solches „von oben gefordert, dann muß die Landes¬
regierung als Oberinstanz der Polizeidirektion bei der Ver¬
botserteilung mitwirken. Dazu wäre aber für die Landes¬
regierung keine Veranlassung gegeben, wenn das Ministerium
sich direkt mit dem Polizeipräsidium ins Einvernehmen setzt.
Die Landesregierung von Wien=Land hat, soweit Wien in
Betracht kommt, in erster Linie zu entscheiden, welche Ma߬
nahmen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, be¬
ziehungsweise zur Verhütung von Ruhestörungen zu treffen
sind. Die „Nahelegung“ der Bundesregierung scheint also
auch mit Außerachtlassung des Kompetenzweges erfolgt
zu sein.
Der Direktion der Kammerspiele ist keinerlei amtliche
Mitteilung über ein beabsichtigtes Verbot der weiteren Auf¬
führung des „Reigen“ zugekommen.
Wiehen h#tung, Wer
uat 1921
10 S 165 52
Thealer
4

Der Kampf um den
„Reigen
Es tritt immer deutlicher zu Tage, daß um
dem „Reigen“ respektive um dessen Aufführung
einé Art
politischen Kampfes
geführt wird. Es werden, zwar nicht offiziell.
aber darum nicht weniger unverkennbar die ver¬
schiedensten Versuche unternommen, ein nach¬
trügliches Aufführungsverbot des „Reigen“
durchzusetzen. Ein heutiges Morgenblate be¬
hauptet außerdem, daß auch der Bundes¬
minister des Innera an die Polize#
eine Art
privaten Schreibens
gerichtet habe, in welchem er vorschlug, mit Rück¬
sicht auf die kürzlich stattgefundenen Demonstra¬
tionen mit einem Verbot des „Reigen“ vorzu¬
gehen. Die Polizei habe jedoch schon aus rein
formalen Gründen diesen Vorschlag zurück¬
weisen müssen.
Sollte sich diese Nachricht bestätigen, so läge
hier ein Fall vor, der in der Verwaltungs¬
geschichte wohl einzig dastehend wäre
und man könnte dann übrigens nur annehmen,
daß der Bundesminister, der selbst ein partei¬
oser Beamter ist, unter politischem
Druck diesen ungewöhnlichen Schritt tat.
Der Standpunkt der Polizei ist natürlich
der, daß ein Verbot der Aufführungen des
„Reigens“ von ihr, die als Zensurbehörde ja nur
eine Unterinstanz bildet, einzig und allein
aus Sicherheitsgründen
verfügt werden könnte. Das wäre etwa,
wenn sich Demonstrationen zreignen sollten, von
solchem Umfange, daß wirklich von einer Ge¬
fährdung der öffentlichen Ruhe und
Sicherheit gesprochen werden könnte.
Ausgeschlossen erscheint jedoch die
Möglichkeit eines nachträglichen
Zensurverbotes oder wäre zumindest
ebenfalls ein Novum. Denn die Zensur hat
diesmal nach einer sehr reiflichen Prüfung und
nachdem sogar für die Delegierten der Zensur¬
behörde eine
eigene Generalprobe
abgehalten worden war, die Aufführung ge¬
stattet. Seither haben die Urteile der Presse
mit einer einzigen Ausnahme, eben der eines
ausgesprochenen Parteiblattes, übereinstimmend
vor allem den dichterischen Charakter des Wer¬
kes und die unleugbare Diskretion der Auf¬
führung festgestellt.
Zu einem Verbot könnte es also, wie ge¬
sagt, nur kommen, wenn die Aufführungen des
„Reigen“ Gegenstand großer öffentlicher
Skandalszenen würden. Die letzte Demonstra¬
tion war nun in jeder Beziehung eine direkt
lächerliche und alle übrigen Aufführungen
haben unter vollkommener Ruhe
und Disziplin des Publikums stattge¬
funden. Es ist daher
kaum anzunehmen,
daß außer auf dem Wege eines bestellten und
organisierten
Tumultes sich irgendwelche
Zwischenfälle
ergeben könnten.
Direktor Bernaudementiert die
Verbotsmel