II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 320

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Reigen
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Kein „Reigen“=Verbot.
Die bisherige Untersuchung gegen die
Leute, die vorgestern abend gegen die Auf¬
führung von S## „Reig in den
Kammerspielen demonstrierten, hat keinerlei
Ergebnis gezeitigt, das die Befürchtung
weiterer größerer Kundgebungen als stich¬
hältig erscheinen ließe. Die Polizei hat
natürlich die notwendigen Maßnahmen ge¬
troffen, um derlei störenden Demonstrationen
in Zukunft vorzubeugen; man glaubt aber
nicht, daß sich Vorkehrungen größeren Stils
als notwendig erweisen könnten. Von Bedenken
gegen die weitere Aufführung des Stückes oder
gas von einem Verbot aus Gründen der
öffentlichen Ruhe und Ordnung, wie es in
Rünchen infolge der dortigen Skandalszenen
erfolgen mußte, kann also keine Rede sein.
Die Zensurierung aller Theaterstücke wie auch
der Darbietungen von Kabaretten, Varietés,
Lichtspieltheatern mn erslgt auch unter dem
jetzigen Regime grundsätzlich in derselben Weise
wie im alten Staate. Bezüglich dieser Tatsache
konnte nach der Neuordnung der Verhältnisse
allerdings eine Zeitlang eine gewisse Unklarheit
bestehen. Die seinerzeitige provisorische
Nationalversammlung hatte in einer ihrer
ersten Beschlußfassungen — am 30. Oktober 1918
„jede Zenfur für aufgehoben“ erklärt. Diese
Fonmulierung wurde von beruflich interessierter
Seite (Theaterdirektoren usw.) dahin ausgelegt,
daß nunmehr auch jede Theaterzensur ab¬
geschafft sei, und tatsächlich bedurfte es in der
ersten Zeit meist mehrfacher energischer Auf¬
forderungen der Zensurbehörde, ehe die
ordnungsmäßige Vorlage der zur Erstauf¬
führung angesetzten Stücke erfolgte. Seither ist
jedoch eine Entscheidung des obersten zu¬
ständigen Forums erflossen, welche mit voll¬
kommener Klarheit die authentische Auffassung
des jetzigen Rechtszustandes zum Ausdrucke
bringt. Direktor Geyer (Neue Wiener Bühne)
hatte nämlich im Frühjahr 1920 die Vorlage
der Komödie „Dimpfl“ an die Zeusurbehörde
unter Berufung auf die früher zitierte Auf¬
hebung jeder Zensur verweigert und gegen die
ihm danach auferlegte Geldstrafe eine Be¬
schwerde „wegen Verletzung des durch die Ver¬
fassung gewährleisteten Rechtes auf Zensur¬
freiheit“ an den Verfassungsgerichts¬
hof gerichtet. Dieser entschied gegen Direktor
Geyer und stellte fest, daß das behördliche Recht
der Theaterzensur nach wie vor bestehe #nd
das Verfassungsgesetz der provisorischen
Nationalversammlung nur den Wenfall der
seinerzeitigen schikanösen Pressozensttr verfüge,
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AFE6 1927
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Nr. 31
Wien, Mittwoch
Theater
Ein „Reigen“=Skandal
in den Kamperspielen.
Störung der Aufführssc
Was zu erwarten war, ist eingetreten#gesirige Auf¬
führung des „Reigen“ in den Kammer###len wurde
durch eine Demonstration gestört. Eine Anzahl
junger Leute drang von der Straße in das Thater und
in eine Loge und rief von dort aus Schmählingen in den
Saal, wo eben Frau Olly und Herr Lackner auf
der Bühne standen. Die Demonstranten wurden hinausge¬
drängt, wobei sechs Verhaftungen vorgenommen
wurden. Die Vorstellung wurde sodann fortgesetzt. Die
Verhafteten sind drei Privatbeamte, ein Schloßergehilfe,
ein Optiker und ein Postbeamter. Nach Feststellung ihrer
Persönlichkeit wurden sie entlassen, doch wurde die Straf¬
amtshandlung eingeleitet.
Der „Reigen“ in München verboten.
Auch in München entfesselte Sonntag die Aufführung
des Schnitzlerschen Stückes einen großen Theaterskandal
im Schauspielhaus. Eine Besucherin rief vom ersten Rang
im dritten Bilde nach Verdunklung der Szene in den
Saal: „Das ist eine Schweinerei! So was
wagt man deutschen Frauen zuzumuten!“
Nunmehr tönte es von allen Seiten: „Saustall!
Gemeinheit! Unverschämtheit! Frechheit!“
und dabei wurde gezischt und gepfiffen. Inmitten des
Krawalles wurden vom ersten Rang Stinkbomben
auf die Bühne geschlendert und der eiserne
Vorhang mußte fallen, worauf das erregte Publikum das
Haus verließ.
Die Folge dieses Skandals war das polizeiliche
Verbot der weiter n „Reigen“=Aufführungen. Bezeichnerd
ist die behördliche Begründung dieses Verbotes, in der es
unter anderem heißt: „Die Polizeidirektion ist ohne Ver¬
nachlässigung wichtiger Aufgaben nicht in der Lage, der
Leitung des Schauspielhauses dauernd ein so großes
Polizelaufgebot zur Verfügung zu stellen, um die ruhige
Aufführung des Stückes zu gewährleisten, das jedem
gesunden Volksempf“t den Hohn spricht
Kenigkeits-Welt-Blatt
und daher mit Recht in weiten Kreisen der
Bevölkerung Anstoßerregt.“