II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 327

11.
Reigen
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wie selostverstandlich, ausschließlich eine Frage der
ästhetischen Kritik und die Politik hat dabei nicht
nitzureden. Ist aber der „Reigen“ ein künstlerisches
Werk, so kann und soll man es auch aufführen;
der Zensur darf bei Werken der Kunst kein
Raum gegönnt werden. Ohne Zweifel kann jedoch
auch ein künstlerisches Werk ein Werk sein,
von dem die Jugend ferngehalten werden
soll; wo der erwachsene Mensch die künstlerische
Idee zu empfinden vermag — woran sich nichts ändert,
daß wahrscheinlich stattlich viel Besucher der Kammer¬
spiele nicht wegen der künstlerischen Idee kommen und.
für sie unempfänglich bleiben —,
wird der junge¬
Mensch vielleicht in der erotischen Einkleidung
verstrickt bleiben; aber das führt beileibe nicht #
der Schlußfolgerung, daß man ein Stück, das der
Jugend nicht ersprießlich wäre, zu verbieten—
hätte, ruft vielmehr nur den Schluß hervor
daß man junge Menschen von dem Besuch des „Reigen##
auszuschließen habe. Wir würden deshalb der Forde¬
rung, die Zulassung zu den Aufführungen des „Reigen“
von einem bestimmten Alter abhängig zu machen,
keineswegs widersprechen; man kann wohl der Ansicht
sein, daß der Gedanke, die Projizierung des Liebesaktes
durch die verschiedenen Klassen zu verfolgen, seinen
künstlerischen Sinn hat, ohne zu übersehen, daß just
diese Betrachtung für werdende Metischen nicht gerade
taugt und kein angemessener Gegenstand für sie ist.
Aber sonst wüßten wir wirklich nicht, was da zu
verbieten wäre. Wem es ein Aergernis bereitet, daß
von der Sache, die, wie Schopenhauer einmal sagt,
die ist, an die die Menschen immer denken, auf dem
Theater gesprochen wird, kann sich von dem Aergernis
leicht befreien: indem er die Vorstellung einfach
meidet; daß es aber ein Aergernis gleichsam an sich
wäre, daß die Aufführung geschieht, ist natürlich ein
Unsinn. Da kann man nur sagen: es geschehen in dieser
herrlichen kapitalistischen Zeit Tag um Tag Dinge, die
ein ganz anderes Aergernis sind als die Aufführung
jenes „Reigens“, der den Dämon des Geschlechts¬
triebes mit ironisch=heiteren Augen betrachtet. Es ist
zum Exempel ein weit bösartigeres Aergernis, daß
die einen hunger, die anderen prassen, die einen in
Lumpen gehen, die anderen sich in sinnlosester Mode
nicht genugtun können; das ist wirklich ein Aergernis,
wenn sich eine feile Gesellschaft auch immer mehr
gewöhnt, es sozusagen als gottgewollte Selbstverständ¬
lichkeit anzusehen. Das Aergernis der Hetze gegen das
harmlose Stück ist sicherlich größer als das „Aergernis“
einer Aufführung.
Doch darum handelt es sich heute nicht mehr,
sondern diese Aufführung, die uns ansonsten weder zu
einem Eifer für noch gegen sie veranlaßt hätte, ist
nun in aller Form ein Politikum geworden. Der
angenehme Bundesminister für Inneres, der schon
ausreichend bekannte Herr Dr. Glanz, hat sich
nämlich auch hier zum Vollstrecker klerikaler Diktate
hergegeben und diese Vollziehung hat er, was bei ihm
ja auch nicht überraschend ist, mit einem dreisten
Uebergriff eingeleitet. Rechtlich steht die Sachlage so
darüber ist kein Zweifel möglich und eine Ver¬
dunkelung der Rechtslage wird nicht zugelassen werden —,
daß die Entscheidung über die Zulassung der Aufführung
eines Theaterstückes ausschließlich der politischen
Landesbehörde zusteht; der Minister des Innern kann
#ur gegen ein Verbot der Landesbehörde an¬
gerufen werden, keineswegs gegen ihre die Aufführung
zulassende Entscheidung. Es entscheidet also der Wiener
Magistrat als politische Landesbehörde, in letzter Hinsicht
der Wiener Bürgermeister als Landeshauptmann von
Wien als Bundesland. Die politische Landesbehörde
hat mit dem Bescheid vom 12. Jänner die Zulassung
zur Aufführung des „Reigen“ ausgesprochen; damit
ist rechtlich die Sache erledigt, und der Minister des
Innern hat dabei gar nichts zu tun; jedes wie immer
geartete Eingreifen ist ihm versagt. Das hat Herrn
Dr. Glanz nicht abgehalten, von dem Polizei¬
präsidenten einen Bericht „abzuverlangen“
aus welchen Gründen das Stück von der Polizeidirektion
zur Aufführung zugelassen wurde — dieser erstaunliche