11. Reigen
box 17/5
einen Idur verschönern, der Würselzucker zum englischen Tee, die
Faschingskrapfen und Eisbomben sind einsach so selbstverständlich,
wiederholen sich so unabänderlich, in allen Häusern, die Güste
bei sich sehen, daß man sie bereits ats sensationslose Jourmode
bezeichnen kann. Darüber verliert man kein Wort, will man nicht
als Peuling gelten, der von den landläufigsten Dingen keine
Ahnung hat.
Eine gütige Jourvorsehung hat jedoch so reichlich für
anderen Gesprächsstoff gesorgt, daß man sich ganz gut darauf
beschränken kann, die gebotenen Delikatessen allein mit Genuß zu
essen, ohne darüber zu reden. „Was sagen Sie zu der „Reigen“¬
Affäre?“ ist ein viel wichtigeres Thema. Hei, wie da die
Gemüter in Wallung geraten! Merkwürdige Auffassungen brechen
sich Bahn. Die mit Dr. Glanz harmonieren, sind weniger
christlichsozial als gegen die Sozialdemokraten, was durchaus nicht
dasselbe ist; Details der Aufführung werden erzählt, eine lebhafte
Diskussion über das, was — auf der Bühne — noch erlaubt
ist und was nicht mehr, fesselt alle Beteiligten, bis eine Dame
in schöner Ahnungslosigkeit erklärt: „Ich verstehe gar nicht, wie
man wegen der sechs oder sieben Szenen ein solches Aufsehen
machen kann.“ „Es find zehn Dialoge“ flüstert belehrend die
Dame, deren sittliche Entrüstung wahrscheinlich auf ganz genaue
Kenninis der Aufführung beruht.
Die Hausfrau fühlt die Verpflichtung, die Situation zu
retten. „Waren Sie schon bei der Flamme?“ Neuerlicher Aus¬
bruch noralischer Entrüstung. Ratürlich waren alle dabei, sogar
die Ratve von den „sechs bis sieben Reigenigenen“.
eniger Verständnis für das darin gezeigte Milieu, aber das
nteresse daran ist allen gemeinsam. „Nein, es ist wirklich zu
g. was man jetzt auf dem Theater zu sehen bekommt“, jammert
e Hausfrau. Hans Müller hat nämlich vor einer halben
tunde sein Erscheinen beim Jour abgesagt und das viel um¬
ritene Kind seiner Muse muß nun den ganzen Groll der tief
gektänkten Hausfrau auf sich nehmen. „Nur auf dem Theater?“
lächelt maliziös eine schöne Frau, deren Brillaptanhänger in
Gegenden verschwindet, die früher einmal wenigstens Tüll
Schleierstoff verhüllte. „Waren Sie auf der
Opernrevoute?“
„Das war wirklich ein Skandal.“
lischt sich da der Maler ein, der die Bridgepartie der Herren
verschmäßt und die Gesellschaft der medisierenden Damen vorzieht.
„Wenn die Damen wüßten, wieviel interessanter sie sind, wenn
sie ihre Reize nur ahnen lassen, statt sie gar so neidlos zu zeigen,
würden sie etwas weniger freigebig damit sein:“ „Sehen Sie,
di.ses Gefühl habe ich auch“ erkiert die Dame, deren Taille
chon am späten Nachmittag aus nicht viel mehr als zwei
schmalen Achselträgern besteht. „Es ist so traurig, daß die
meisten Frauen unserer Zeit ganz das Gefühl dafür verloren
haben, wie weit man eigentlich gehen darf.“ Ihr Blick fällt bei
diesen Worten gerade in den riesigen Spiegel gegenüber und
aftet stolz an den beiden Trägern, die ihren Anspeülchen voll¬
ändig zu genügen scheinen.
Die Herren scheinen tatsächlich durch nichts mehr zu ge¬
winnen zu sein. Weder das Gespräch über „Reigen“ und die
Flamme“, noch das über die Toile#en der Opernrédoute ver¬
mochte sie auf einen Verzicht der Bridgepar“: zu bewegen, ja
nicht einmal die Damen selbst fesselen sie. Läugst haben sie, ge¬
führt vom Hausherrn, an den Spieltischen Platz genommen und
obliegen eifrig ihrer liebsten Passion. Bei den Pausen, die durch
Mischen und Teilen entstehen, kommt es höchstens zu Bruchstücken
— „Wenigstens
sechzig Prozent wird ihnen geholfen sein!
werd', ich meine Kriegsanleihe los.“ Schüchtern trit da die
nalde kleine Frau ins Spielzimmer. Sie hat Glück,
denn der Herr, den sie speechen will, paßt gerade.
1000
„Herr Rat, varf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten?“
Aber jederzeit gerne, gnädige Frau, womit kann ich dienen?
„Ich möchte mir den „Reigen“ doch gerne ansehen und bin nicht
imstande, eine Karte zu bekommen. Sie haben sicher Beziehungen;
wollen Sie mir ein Billett besorgen?“ — „Mit Vergnügen.
meine Gnädige. Aber als Belohnung darf ich Sie doch be¬
gleiten?“ — Sie nickt nur flüchtig gewährend, denn soeben war
ihre Abwesenheit bemerkt worden und irgendwer ruft nach ihr.
„Ob ich „Die kleine Sklavin“ gesehen habe? Nein, ihr wißt,
ich interessiere mich durchaus nicht für solche Dinge und überdies
will mein Mann nicht, daß ich mir sie ansehe“, nimmt sie gleich
darauf das Gespräch im Damensalon wieder auf. — „Ihr Mann
Müller heute gekommen wäre, hätte er vielleicht mit Ihnen als
Vorbild nächstens eine Verherrlichung der anständigen Fraa ge¬
schrieben.“ Alle nicken zustimmend, während sie denken: „Das
würde sich kein Mensch anschauen!“
E. r.
box 17/5
einen Idur verschönern, der Würselzucker zum englischen Tee, die
Faschingskrapfen und Eisbomben sind einsach so selbstverständlich,
wiederholen sich so unabänderlich, in allen Häusern, die Güste
bei sich sehen, daß man sie bereits ats sensationslose Jourmode
bezeichnen kann. Darüber verliert man kein Wort, will man nicht
als Peuling gelten, der von den landläufigsten Dingen keine
Ahnung hat.
Eine gütige Jourvorsehung hat jedoch so reichlich für
anderen Gesprächsstoff gesorgt, daß man sich ganz gut darauf
beschränken kann, die gebotenen Delikatessen allein mit Genuß zu
essen, ohne darüber zu reden. „Was sagen Sie zu der „Reigen“¬
Affäre?“ ist ein viel wichtigeres Thema. Hei, wie da die
Gemüter in Wallung geraten! Merkwürdige Auffassungen brechen
sich Bahn. Die mit Dr. Glanz harmonieren, sind weniger
christlichsozial als gegen die Sozialdemokraten, was durchaus nicht
dasselbe ist; Details der Aufführung werden erzählt, eine lebhafte
Diskussion über das, was — auf der Bühne — noch erlaubt
ist und was nicht mehr, fesselt alle Beteiligten, bis eine Dame
in schöner Ahnungslosigkeit erklärt: „Ich verstehe gar nicht, wie
man wegen der sechs oder sieben Szenen ein solches Aufsehen
machen kann.“ „Es find zehn Dialoge“ flüstert belehrend die
Dame, deren sittliche Entrüstung wahrscheinlich auf ganz genaue
Kenninis der Aufführung beruht.
Die Hausfrau fühlt die Verpflichtung, die Situation zu
retten. „Waren Sie schon bei der Flamme?“ Neuerlicher Aus¬
bruch noralischer Entrüstung. Ratürlich waren alle dabei, sogar
die Ratve von den „sechs bis sieben Reigenigenen“.
eniger Verständnis für das darin gezeigte Milieu, aber das
nteresse daran ist allen gemeinsam. „Nein, es ist wirklich zu
g. was man jetzt auf dem Theater zu sehen bekommt“, jammert
e Hausfrau. Hans Müller hat nämlich vor einer halben
tunde sein Erscheinen beim Jour abgesagt und das viel um¬
ritene Kind seiner Muse muß nun den ganzen Groll der tief
gektänkten Hausfrau auf sich nehmen. „Nur auf dem Theater?“
lächelt maliziös eine schöne Frau, deren Brillaptanhänger in
Gegenden verschwindet, die früher einmal wenigstens Tüll
Schleierstoff verhüllte. „Waren Sie auf der
Opernrevoute?“
„Das war wirklich ein Skandal.“
lischt sich da der Maler ein, der die Bridgepartie der Herren
verschmäßt und die Gesellschaft der medisierenden Damen vorzieht.
„Wenn die Damen wüßten, wieviel interessanter sie sind, wenn
sie ihre Reize nur ahnen lassen, statt sie gar so neidlos zu zeigen,
würden sie etwas weniger freigebig damit sein:“ „Sehen Sie,
di.ses Gefühl habe ich auch“ erkiert die Dame, deren Taille
chon am späten Nachmittag aus nicht viel mehr als zwei
schmalen Achselträgern besteht. „Es ist so traurig, daß die
meisten Frauen unserer Zeit ganz das Gefühl dafür verloren
haben, wie weit man eigentlich gehen darf.“ Ihr Blick fällt bei
diesen Worten gerade in den riesigen Spiegel gegenüber und
aftet stolz an den beiden Trägern, die ihren Anspeülchen voll¬
ändig zu genügen scheinen.
Die Herren scheinen tatsächlich durch nichts mehr zu ge¬
winnen zu sein. Weder das Gespräch über „Reigen“ und die
Flamme“, noch das über die Toile#en der Opernrédoute ver¬
mochte sie auf einen Verzicht der Bridgepar“: zu bewegen, ja
nicht einmal die Damen selbst fesselen sie. Läugst haben sie, ge¬
führt vom Hausherrn, an den Spieltischen Platz genommen und
obliegen eifrig ihrer liebsten Passion. Bei den Pausen, die durch
Mischen und Teilen entstehen, kommt es höchstens zu Bruchstücken
— „Wenigstens
sechzig Prozent wird ihnen geholfen sein!
werd', ich meine Kriegsanleihe los.“ Schüchtern trit da die
nalde kleine Frau ins Spielzimmer. Sie hat Glück,
denn der Herr, den sie speechen will, paßt gerade.
1000
„Herr Rat, varf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten?“
Aber jederzeit gerne, gnädige Frau, womit kann ich dienen?
„Ich möchte mir den „Reigen“ doch gerne ansehen und bin nicht
imstande, eine Karte zu bekommen. Sie haben sicher Beziehungen;
wollen Sie mir ein Billett besorgen?“ — „Mit Vergnügen.
meine Gnädige. Aber als Belohnung darf ich Sie doch be¬
gleiten?“ — Sie nickt nur flüchtig gewährend, denn soeben war
ihre Abwesenheit bemerkt worden und irgendwer ruft nach ihr.
„Ob ich „Die kleine Sklavin“ gesehen habe? Nein, ihr wißt,
ich interessiere mich durchaus nicht für solche Dinge und überdies
will mein Mann nicht, daß ich mir sie ansehe“, nimmt sie gleich
darauf das Gespräch im Damensalon wieder auf. — „Ihr Mann
Müller heute gekommen wäre, hätte er vielleicht mit Ihnen als
Vorbild nächstens eine Verherrlichung der anständigen Fraa ge¬
schrieben.“ Alle nicken zustimmend, während sie denken: „Das
würde sich kein Mensch anschauen!“
E. r.