II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 391

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11. Reigen
Tagesbericht.
Der „Reigen“=Krawall.
Big Elgmnente, dis das Weh und Ach dieses Staates
aus dem Tudenpunkt h#en wollen, haben Mittwoch
abesZihe ausgebildete Jugend aus¬
rücken lassen. Die Affäre fiel in der Rotenturmstraße
vor und gipfelte in der Erstürmung eines Theaters.
Die Sache ging befehlsgemäß aus und wenn wir noch
Krieg hätten, so wäre uns der folgende Generalstabs¬
bericht serviert worden: „Nach kurzer Vorbereitung haben
Mittwoch abends brave Sturmtruppen Theater samt
Vorstellung gestürmt. 300.000 Gefangene, unser Ver¬
lust beträgt sieben Verhaftete. Sonst nichts Neues.
Höser.“ Es war sehr schön und die Schilderung des
Polizeiberichtes könnte ganz gut aus dem Kriegspresse¬
quartier stammen. Stinkbomben, Knüppel, Schlagringe,
faule Sier. Hurrahl „Niedarr mit 5ö Juden!“ Und
dann, nach getaner Arbeit „Deutschland, Deutschland
über alles!“ Wenige Straßenzüge von diesem Gesecht
entfernt, marschierte ein Zug von Staatsbeamten zum
Finanzministerium, um dort sein Leid zu klagen. Im
Budgetausschuß des Nationalrats waren alle Redner
einig, daß etwas geschehen müsse, und in Paris setzte
ein Delegierter der hohen österreichischen Regierung
zum soundsovielten Male die Not des Staates aus¬
einander. Aber die Vorgänge von vorgestern wollen
nicht leichtsinnig gewertet werden. Es ist natürlich kein
Protest gegen die Aufführung des „Reigen“ und es
handelt sich nicht um eine literarisch=künstlerische Frage,
die durch einen Theaterkrawall gelöst werden soll. Es
ist ein Rekognoszierungsgesecht der antisemitisch=reaktio¬
nären Elemente, die sich überzeugen wollen, ob die
Morgenröte schon da ist.
Inzwischen hat die Polizei, wie selbstverständlich,
aus Gründen der öffentlichen Ruhe den „Reigen“ ver¬
boten. Das ist natürlich vom künstlerischen Standpunkt
kein Unglück. Im Abendblatt der „Reichspost“ wird
bereits über ein Schreiben berichtet, in welchem die
„Deutscharischen Vereinigungen Oesterreichs“ die Ab¬
setzung des Müllerschen Stücks „Flamme“ vom Repertoire
des Deutschen Volkstheaters verlangen. In diesem Blatt
wird auch mitgeteilt, daß sich unter den Verprügelten
ein Graf Louis Salm und der Vizebürgermeister Emmer¬
ling befanden.


gemstung, Wien
18. Februar 1921
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schäftigung gefunden, die ihm mehr eintrug, weshalb er
den Dienst aufgegeben habe. Dragoweattsch wurde wegen
Desertion zu vier Monatenschweren Kerkers
verurteilt.
Kunst und Wissenschaft.
Eine Kundgebung (gegen Sexual¬
spiele
Um zur Entwürdigüyg des Theaters darch öffentliche
Aufführungen von Stücken iie Flaug“ und „Reigen
Stellung zu nehmen, versammelten sich, um 14. d. in den
Räumen des „Deutschen Klub“ Vertreter der
deutscharischen Vereinigungen Oesterreichs, die zum Grö߬
teil auch Kulturbelange der in den Ländern wohnenden
Stammesdeutschen zu hüten verpflichtet #sind. In dieser
Versammiung wurde beschlossen, ein Schreiben an den
Verein „Deutsches Volkstheater“ zu richten, darin dieser
gebeten wird, seiner im Gründungsjahre festgelegten idealen
Aufgaben eingedenk zu sein und auf Entfernung der beiden
genannten Werke aus dem Spielplan zu dringen. Das
Schreiben ist durch das mittlerweile erfolgte Aufführungs¬
verbot des „Reigen“ zum Teil zwar überholt, aber be¬
achtenswert bleibt aus der Begründung doch folgende
Stelle: „Die immer weitergreifende, auf Verfasser wie
Direktor in gleichem Maße bezügliche Entrüstung über
die genannten Aufführungen stellt keineswegs, bloß die
Aufmachung einer einseitig parteipolitischen („bürger¬
lichen") Hetze oder Kraftprobe dar; sie will vielmehr im
Sinne des bodenständigen Wien sowie des Kultur¬
zusammenhanges mit Deutschland und dem Norden be¬
Furteilt werden, wo Oesterreichs Not und Wiens Schande
reinlich geschiedene Erkenntnisse sind“. Wir erhoffen uns
von Theaterskandalen keine Hebung der Kunst und halten
die Unduldsamkeit für das schlechteste Mittel, um betrüb¬
liche Erscheinungen wie die „Reigen“=Aufführungen in
den Kammerspielen aus der Welt zu schaffen. Aber es
gibt Grenzen, die nicht ungestraft überschritten werden
dürfen und es ist traurig, daß es eines so kräftigen
Winkes mit dem Zaunpfahl bedurfte, um dem „Reigen“
um das goldene Kalb ein Ende zu setzen.
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